Die Wahrheit: Reptilien brauchen Immobilien

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (85): Sind Eidechsen hinter Gittern und Glas glücklich? Oder in einem italienischen Bett?

ein Mensch mit dick gepolsterten Handschuhen hält einen sehr großen Leguan

Der kürzlich ausgebüxte und wieder eingefangene Leguan „Freddy“ Foto: dpa

Auf YouTube findet man einen Clip: „Eidechse vs Kater“: Eine kleine Zauneidechse greift einen großen Kater an, der sie jedoch nicht ernst nimmt. Ich besaß einmal zwei amerikanische Rotkehlanolis. Wenn ich denen zu nahe kam, guckten sie mich so wütend an, als wüssten sie noch, dass es einmal umgekehrt war: Einst waren sie so groß wie Dinosaurier, und ich war so klein wie eine Spitzmaus.

Die Reptilien entwickelten sich vor 300 Millionen Jahren – aus den Amphibien. „Sie gingen aus dem Wasser an Land“, heißt es auf wissen.de. Und dann diversifizierten sie sich. Allein von den Eidechsen gibt es 400 Arten. Meine kleinen Rotkehl­anolis fraßen Würmer und Fliegen. Im Gegensatz zu ihnen sind die viel größeren Leguane Pflanzenfresser. Und sie gucken nicht so tiefgründig hasserfüllt. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein: Dass ich überhaupt die Nahrung als Unterscheidungsmerkmal hier anführe, ist womöglich bloß dem Zeitgeist („Du bist, was du isst“) geschuldet.

Drachen statt Katzen

Der Betreiber des taz-blogs „Reptilienfonds“ Heiko Werning lässt sich gern mit einem Leguan auf der Schulter fotografieren. Kürzlich sogar mit mehreren – unter der Überschrift „Wer braucht denn Katzen?“. Das war in der taz unter anderem gegen mich, als Katzenliebhaber, gerichtet. Werning züchtet die Leguane nicht nur, er gibt auch die Magazine Terraria, Draco und Reptilia heraus. Dieses thematisierte zuletzt „baumbewohnende Leguane“. „Das sind keine Tiere, die man sich aus einer Laune heraus anschaffen sollte“, schreibt Werning im Editorial.

Dennoch sind Berichte über solch einen „Spontankauf“ Leguan interessant, zum Beispiel der von der Schriftstellerin Annemarie Beyer: „Mein Leben mit Igor. Eines Tages verlor ich den Verstand und kaufte einen grünen Leguan“ (2007). Das Jungtier befand sich mit seinen Geschwistern in einer Tierhandlung. Wenn man ihrem Terrarium zu nahe kam, flüchtete es als einziges nicht, wehrte sich aber auch nicht. Die alleinlebende Autorin erwarb den kleinen Leguan quasi in einem Anflug mütterlichen Mitleids – und bereute es nicht, denn nach einigen Widerständen in der „Eingewöhnungsphase“ kamen beide „gut miteinander aus“. Natürlich musste sie ihre Wohnung leguankommod umgestalten. Und überhaupt scheint Igor ihr Leben verändert zu haben. Das geschieht oft, wenn man sich auf Tiere einstellt – und nicht umgekehrt. Igor hat inzwischen einen Garten in Italien und darf mit im Bett schlafen.

Ich glaube, der Evolutionist Heiko Werning würde das missbilligen, seine Leguane leben in Terrarien. Das tierforum.de empfiehlt das Igor-Buch als Leguan-Ratgeber. Werning setzt sich für eine „artgerechte Haltung“ ein. Natürlich kann man sich fragen: Ist Igor mit seiner italienischen „Sommerresidenz“ glücklich? Aber Leguane hinter Gittern und Glas sind es sicher nicht. Während es dabei um die Aufzucht von Leguanen geht, um Biologie sozusagen, also um etwas abstrakt Konkretes, ist es im Falle von Jgor das Gegenteil: Er ist konkret, weswegen das abstrakte Glück eines Leguans die Erforschung seiner Bedürfnisse im ständigen Kompromiss mit den eigenen ist. Im Grunde ein Tierexperiment, ein Projekt, aber eben im Zusammenleben, was die Trennung von Subjekt und Objekt auf sich beruhen lässt. Werning hat mit anderen Reptilienfreunden ein Buch über „Grüne Leguane“ veröffentlicht sowie eins über „Wasseragamen und Segelechsen“. (2002)

Die asiatischen Wasseragamen leben bevorzugt, wie ihr Name schon sagt, am Wasser, in das sie bei Gefahr tauchen. Zu den Leguanen im weitesten Sinne zählt man die großen Meerechsen auf den Galapagos-Inseln, die nach Algen und Tange tauchen und Salz ausschwitzen. Wegen ihrer extravaganten Lebensweise sollte die Biologin Carmen Rohrbach im Auftrag des „Max-Planck-Instituts für Verhaltensphysiologie“ diese endemische Art nach Strich und Faden erforschen. Dazu gehörte, die Tiere durchzunummerieren (auf dem Rücken), sie humboldtmäßig zu vermessen und zu wiegen.

Als das Forschungsjahr um war und ihre Notizbücher voller Daten, gab sie ihren Beruf auf und wurde Reiseschriftstellerin. Sie lebte zwar gern auf der einsamen Tropeninsel, erklärte sie, „aber auf Kosten der Meerechsen, gerade dieser Tiere, die die Friedfertigkeit und das zeitlos paradiesische Leben am vollkommensten verkörpern. Ausgerechnet diese Tiere mußte ich mit meinen Fang- und Meßmethoden verstören und belästigen.“

Auch die Wasseragamen leben am Wasser, am Süßwasser allerdings, sie tauchen nur bei Gefahr und sind sowohl Pflanzen- als auch Fleischfresser. In China nennt man diese knapp einen Meter lang werdende Agamenart „Wasserdrachen“. Wie Drachen oder Saurier sehen jedoch eher die viel kleineren afrikanischen Gürtelechsen aus mit ihren dornigen Schuppen und ihrem scharfen Blick.

Während der „Wasserdrache“ sich zur Not ins Wasser (zurück)flüchtet, entkommt der „Flugdrache“ durch die Luft. Er lebt auf hohen Bäumen und segelt bei Gefahr davon. Er hat dazu verlängerte Rippen, die mit einer Haut bespannt sind, die er ausbreiten kann. Damit können die nur zwanzig Zentimeter groß werdenden Flugdrachen bis zu sechzig Meter gleiten.

Waran gegen Büffel

Werning hat über „Segelechsen“ geschrieben, auch eine Agamenart, die auf den Philippinen lebt, meist in Wassernähe. Sie haben ein Hautsegel auf dem Rücken, das bei den Männchen bis zum Schwanzende reicht. Die bis zu einem Meter lang werdenden Tiere können damit aber nicht segeln – nur gefährlich aussehen. Noch größer ist der Komodo­waran, er ist nicht nur die größte und schwerste Echse, sein Biss ist auch noch giftig. Auf YouTube gibt es einen Clip, der zeigt, wie ein Komodowaran einen Büffel damit tötet.

Noch drachenähnlicher sieht allerdings der in Mittelamerika lebende Federbuschbasilisk aus. Er hat Häute hinter dem Kopf und auf dem Rücken, die er aufrichten kann, wird aber höchstens achtzig Zentimeter lang und kann bei Gefahr auf seinen Hinterbeinen, die verbreiterte Zehen haben, über das Wasser laufen. Bei geringerer Gefahr reicht sein „durchdringender“ Basiliskenblick, wie Joachim Sartorius in seinem „Portrait Eidechsen“ (2019) schreibt.

Der Dichter und Kulturdiplomat ist in Tunesien aufgewachsen: Überall gab es dort Eidechsen, sie waren beliebt, weil sie Fliegen und Mücken fraßen. Sartorius ist darüber zu einem Echsenfreund und -kenner geworden, es gibt davon 2.700 Arten. Unter anderem erwähnt er die schon von Alfred Brehm beschriebene neuseeländische Brückenechse. Es sind „lebende Fossilien“, die laut Wikipedia „ihre Blütezeit“ schon lange hinter sich haben – nämlich „150 Millionen Jahre“. Der männlichen Brückenechse fehlt ein Kopulationsorgan, schreibt Sartorius, „das unterscheidet die Art von anderen Echsen“, sie verpaaren sich „durch Kloakenkuss“.

Bei den Armenischen Felseneidechsen fehlen die kompletten Männchen. Sie vermehren sich über Jungfernzeugung, dazu müssen die Weibchen von einem anderen Weibchen bestiegen und stimuliert (wenn nicht gar simuliert) werden – wie bei amerikanischen Rennechsen.

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