DawächstnunGrasdrüber

Foto: Die verlassene Tankstelle an der Berliner Sonnenallee. Foto: André Wunstorf

Die Autos sollen aus den Innenstädten verschwinden. In Berlin sind die Autos noch da, stattdessen verschwinden schon mal die Tankstellen. Vorsorglich? Der Mineralölkonzern Esso geht mit gutem Beispiel voran, wenn wohl auch nicht aus Gründen des Umweltschutzes oder der Bürgerliebe. Schon im letzten Jahr wurde die in Berlin legendäre Tanke an der Sonnenallee, heute auch bekannt als „arabische Straße“, geschlossen; die Filiale am Tempelhofer Damm, direkt gegenüber dem alten Flughafengebäude, folgt nun nach: „Sehr geehrte Kunden. Die Tankstelle schließt Ende des Monats und wird danach abgerissen. Wir danken Ihnen für Ihre Treue.“ Wie bitte? Auf Nachfrage erklärt ein Mitarbeiter, der seinen Namen nicht genannt wissen möchte, dass der Verkauf des Grundstücks angesichts der Berliner Immobilienpreise eben mehr Profit bringe als jahrelanges Ben­zin- und Bockwurstverkaufe und die daraus resultierenden Pachteinnahmen.

Die Tankstelle in der Sonnenallee, ehemals höchst vitaler Treffpunkt von Taxifahrern, Kiezbewohnern und Touristen, sieht mittlerweile eher nach Tschernobyl aus als nach arabischer Straße. Bäumchen wachsen auf dem Dach der Anlage, die kurz vor dem Verkauf noch einmal schön saniert worden war von dem netten Pächter, in dessen Diensten hübsche Arab-Boys an Berliner Pumper Kippen, Schinken-Käse-Croissants und im Umfeld der Partnerfiliale Schönefeld angefertigte, hausgemachte Buletten verkauften, rund um die Uhr. Hat hier eigentlich jemals jemand getankt? Die Waschanlage hat ja auch kaum jemand benutzt (außer vielleicht mal nachts für einen Quickie im Stehen), dafür aber durften die Radfahrer hier kostenlos Reifen aufpumpen. Und natürlich wurde im unmittelbaren Umfeld der Zapfsäulen geraucht, meist allerdings „en passant“, da das Gelände von den meisten Kiezbewohnern als Teil des öffentlichen Raums begriffen wurde, also auch als Abkürzung in Richtung Hermannplatz. Neukölln halt, was soll schon passieren.

Passiert aber doch was, Gentrifizierung nämlich. Die bedeutet aber jetzt erst mal Graffiti, Müll und Unkraut, denn welche Immobilie nun genau profitbringend in das Gelände gerammt wird, das erst mal von Tanks und Sondermüll befreit werden soll, steht scheinbar noch nicht fest. Ist aber ja auch schon egal, denn wenn tatsächlich in naher Zukunft der gegenüberliegende Karstadt am Hermannplatz abgerissen wird, um einem historisierenden Protz-Neubau zu weichen, verschwindet ohnehin der gesamte Kiez in genau dem schwarzen Loch, das dann entsteht. So hatten wir es jedenfalls mal vorausgesagt bei einer nächtlichen Debatte unter Kiezbewohnern, an der Tanke cornernd. Aber vielleicht ist das ja auch Quatsch. Nichts als Benzindämpfe. Martin Reichert