Kunstinstallation in Hamburg: Die Flagge brennt

Auf Hamburgs Rathausmarkt brennt eine Rauchflagge auf LED-Leindwand. Künstler John Gerrard will auf den Kohlendioxidausstoß aufmerksam machen.

Brennende Flagge aus Rauch

Kunst oder Realität? Irgendwie beides Foto: John Gerrard, courtesy Thomas Dane Gallery, London und Simon Preston Gallery, New York

HAMBURG taz | Wer zu früh kommt, ist selber schuld: Warum hat er auch versäumt auszurechnen, dass es in Texas sieben Stunden später hell wird als bei uns. Und dass, folglich, die „Texas“-LED-Wand am Hamburger Rathausmarkt noch schwarz sein wird, erscheint man morgens um 9.30 Uhr.

Ein riesiger, bedrohlich schwarzer Kubus blickt einem da entgegen, die Passanten wundern sich und lachen ein bisschen, bis der zuständige Security-Mann freundlich erklärt, dies sei eine Nachtaufnahme; wann es hell werde, wisse er nicht genau.

Noch bis zum 15. September soll der vom irischen Künstler John Gerrard bespielte Kubus in Hamburgs Innenstadt stehen. „Western Flag“ hat er ihn genannt, und als man gegen 15 Uhr wiederkommt, ist es Tag auf dem Video, und man sieht: einen Flaggenmast mit schwarzem Rauch im Wind, drumrum eine öde Landschaft. Die Kamera umrundet den Mast – und der Betrachter mit. Gezeigt wird der Ort Spindletop in Texas, wo 1901 der erste große internationale Ölboom begann und die Natur dort nachhaltig verwüstete.

Viele Male hat der Künstler die Landschaft bei Tag und Nacht fotografiert, um die Bilder zu einer Videosimulation zu montieren, die das (ewige) Leben dieser fiktiven Flagge porträtiert. Der Rauch stehe, sagt Gerrard, für das pausenlos ausgestoßene Kohlendioxid.

Zwischen Realität und Illusion

Man kann aber auch brennende (US-)Fahnen etwa in Nahost, im Iran, in Afghanistan assoziieren, oder brennende Ölfelder im Irak. Auch die 1954 gemalte US-Flagge des Pop-Art-Künstlers Jasper Johns kommt einem in den Sinn mit ihrer süffisanten Frage, ob sie eine Flagge oder ein Gemälde sei; auch dies ein – wenn auch offeneres – Spiel mit der Illusion.

Genau von diesem Schillern zwischen Realität und Illusion, wobei das Bewusstsein ja nicht zwischen 2-D-Bild und 3-D-Realität oder gar Animation unterscheidet, lebt die „Western Flag“. Denn die echt wirkende Landschaft ist computergeschaffen, die Tageszeit durch einen Computer-Algorithmus programmiert; ist die jetzt echt?

Andererseits: Ist Öl nicht ein aussterbender Rohstoff, und sind aktuell nicht eher AKW, Kohlekraftwerke und Fracking problematisch? Auch könnte man fragen, welchen ökologischen Fußabdruck dieses Kunstwerk hinterlässt, initiiert vom aktuellen Hamburger Stadtkurator im Zuge des Zweijahres-Projekts „Hamburg Maschine“.

Löblich ist indes, dass die oft als elitär verschriene Kunst hier zu den Menschen kommt, und für Computerfreaks vergnüglich ist sie außerdem. Am stärksten wirkt die „Western Flag“ allerdings, wenn man nicht um die Simulation weiß und das Ganze wörtlich nimmt. Dann wird einem schon sehr mulmig, wenn man sieht: Da ist ein Ort, der brennt und brennt, und wir gucken einfach zu.

John Gerrard: Western Flag /(Spindletop, Texas), 2017: bis 15.9., Hamburger Rathausmarkt

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