Darren McGarvey über Armut: Aus der verwalteten Schicht

Rapper McGarvey schreibt in seinem Buch „Armutssafari“ über die englische Unterschicht. Er fordert, dass sich die Debatte über Armut ändern muss.

Eine verlassene Straße mit Backsteinhäusern in England

Prekäre Existenzen am Rande, zerbrochene Familien: darum geht es in McGarveys Roman Foto: imago images / Photocase

Eigentlich schreiben Männer wie Darren McGarvey keine Bücher. Männer wie er, die in den Randbezirken der britischen Großstädte leben, mit Drogenkonsum den bohrenden Schmerz in sich betäuben und obendrein von Obdachlosigkeit bedroht sind, verfügen für gewöhnlich nicht über die nötigen Ressourcen – sprachlicher oder materieller Natur. Trotzdem hat McGarvey mit „Armutssafari“ ein Buch vorgelegt. Und was für eines!

Um die englische Unterschicht geht es. Um prekäre Existenzen am Rande, um zerbrochene Familien. Aber auch um die politischen Auswirkungen für eine Gesellschaft, die einen Teil von sich wahlweise als Schmarotzer oder Adressaten gut gemeinter, aber schlecht umgesetzter Hilfsprogramme betrachtet.

Streckenweise liest es sich wie ein Rant, eine Wutrede, die im Flow eines Raps daherkommt. Dabei gelingt es McGarvey, beim Leser Verständnis für die Rand­existenzen zu erzeugen, ohne je zu verharmlosen, dass Teile ihrer Probleme hausgemacht sind. McGarvey spielt gekonnt mit den Bildern, die die Mittelschicht sich von einem wie ihm macht.

Natürlich bedient er den Topos des angry young man, des vermeintlich einfachen Mannes aus der Arbeiterklasse, der sich eine Stimme erkämpft hat. Etwas unterscheidet McGarvey von vielen anderen Männern aus Pollok, dem Randbezirk von Glasgow, in dem er aufwuchs und in dem die alkoholkranke Mutter ihn und seinen Vater zurückließ: Die Rapkultur verlieh ihm eine Stimme.

Darren McGarvey: „Armutssafari. Von der Wut der abgehängten Unterschicht“. Aus dem Englischen von Klaus Berr. Luchterhand Literaturverlag, 320 Seiten, 15 Euro.

Eher zufällig mauserte sich der junge Mann zudem zum Vorzeigekommentator, wenn es darum ging, dem BBC-Publikum von jener seltsamen Lebensform, die die deutsche Soziologie mit dem Begriff „abgehängtes Prekariat“ bedenkt, zu berichten.

Die Story von der aggressiven, drogenabhängigen, sehr früh verstorbenen Mutter, die er auch in „Armutssafari“ schildert, verschaffte dem jungen Mann Aufmerksamkeit, man ließ ihn gar Radiosendungen moderieren. Aber alle Empfänglichkeit für seine Geschichte endete stets da, wo er konkrete Forderungen an die ­Politik stellte oder die Missstände der Armutsindustrie aufzeigte.

Der Unterschied zu anderen Wütenden

Und das ist der Kern dieses Buches: Die autobiografische Erzählung und die Bilderflut vom gesellschaftlichen Rand sind das Vehikel, mit dem McGarvey seine eigentliche Botschaft transportiert: Längst hat sich eine ganze Industrie um die Armut gebildet, die sie einhegt und soziologisch betrachtet. Ihr Ziel scheint die Verwaltung der Armut zu sein, nicht ihre Abschaffung.

Während Gesetze und Regularien Bürgerinitiativen vor Ort eher behindern und ihnen Geldmittel verweigern, werden teure, fernab von den betroffenen Communities erdachte Sozialprogramme in den Problemvororten implementiert.

Sie kreieren Jobs für wohlmeinende Bürger der Mittelschicht – für all die Sozialarbeiter, Juristen und Studenten auf der Suche nach praktischer Lebenserfahrung und sozialem Engagement, das sich gut auf ihrem Curriculum Vitae macht. Aber sie schweben oft genug als Fremdkörper in einem sozialen Raum, der sie mit Argwohn betrachtet. McGarvey geht es nicht darum, einseitig die Austeritätspolitik der Tory-Regierungen der letzten Jahre zu brandmarken, obwohl sie Anteil hat an der weiteren Verelendung der Problembezirke.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Stattdessen formuliert er einen Appell an alle politischen Verantwortlichen, den Randständigen und prekären Existenzen Mittel zur Selbsthilfe zukommen zu lassen. Und all das mit den rhetorisch glänzenden Mitteln eines Autors, der ­angeblich nicht den langen Atem für Buchlektüren aufbringen kann. Was man als britisches Understatement werten könnte, ist tatsächlich brillant kalkuliert.

McGarvey findet eine Sprache, die Wut und Trauer transportiert, aber die Empfängerin seiner Botschaft, die Mittelschicht, nicht entfremdet. Das unterscheidet ihn von den anderen Wütenden, die nicht die sprachlichen Register ziehen können, die sie zu BBC-Auftritten befähigen. Allenfalls landen sie als Objekte des Spotts in Armutspornos wie „Benefits Street“.

Darren McGarvey findet die richtigen Worte für seine Message. Man kann nur hoffen, dass sie irgendwann politische Folgen hat.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.