Hitze- und trockenresistenter Wald: Superbäume gesucht

Forstwissenschaftler fahnden nach Baumarten, die auch Trockenperioden und Hitzestress überleben. Zudem sollen sie weiterhin CO2 speichern.

Blick in die Baumkronen: ein abestorbener Baum ist von grünen Laubbäumen umgeben

Einzelne Bäume reagieren empfindlich auf Trockenperioden Foto: imago images/Hermann J. Knippertz

FREIBURG taz | Die Buche lässt die Blätter hängen. Obwohl es Hochsommer ist, ragen ihre Astspitzen bereits kahl in den Himmel. Roland Hoch lässt das Fernglas auf seine Brust sinken. Dann schaut er seinen Kollegen an: „Ich würde sagen: 50 Prozent“, sagt er.

Forstwissenschaftler Stefan Meining nickt. 50 Prozent, das heißt, dass die Baumkrone nur noch zur Hälfte Blätter trägt. Meining notiert die Zahl in sein Tablet.

Hoch und Meining arbeiten als Forstwissenschaftler für die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg. An diesem sonnigen Vormittag begutachten sie ein Waldstück östlich von Freiburg. Zwischen Mitte Juli und Mitte August fahren die Forscher jedes Jahr festgelegte Stichprobenpunkte im Wald an, um Baumkronen zu begutachten. Ihre gesammelten Daten fließen in den Waldzustandsbericht 2019. Im Herbst soll er erscheinen. Darin wird stehen, wie es dem Wald aktuell geht. Die ersten Beobachtungen lassen nichts Gutes erwarten.

Seit Mitte Juli stapfen Meining und Hoch täglich durch den Wald. Gegen halb zehn Uhr erreichen sie den Stichprobenpunkt im Attental. Es handelt sich um einen Pflock, der in den Boden getrieben wurde. Ihn umgeben 24 markierte Bäume. Ganz Deutschland ist überzogen mit einem Raster dieser Stichprobenpunkte, die sich auf einem Abstand von 16 mal 16 Kilometer verteilen. Hier in Baden-Württemberg sind es sogar 8 mal 8.

Die beiden Forscher messen die Baumkronendichte in Fünf-Prozent-Stufen: Null Prozent entspricht einer voll belaubten Baumkrone; 100 Prozent meint einen toten Baum. Der Buche am Stichprobenpunkt geht es nicht gut. Sie ist kein Einzelfall. In Nordrhein-Westfalen weisen laut Schätzungen 5 Prozent der Buchen Trockenphänomene auf. Und auch im Schwäbischen macht ihnen die Dürre zu schaffen.

Wassertransport gestört

Roland Hoch zückt ein Messer und treibt es unter die Rinde eines gefällten Baumes am Wegrand. Die so freigelegten Larven des Borkenkäfers leben noch und zwatzeln in den Gängen. Dass die Larven unter der Rinde aufwachsen, hat seinen Grund: Dort gelangen sie an die Nährstoffe des Baumes und hindern ihn daran ungestört Wasser hoch und runter zu transportieren. Eigentlich kämpfen vor allem Fichten und Tannen mit dem Borkenkäfer. „Dass der Buchenborkenkäfer jetzt immer öfter auch an die Buchen geht, ist kein gutes Zeichen“, sagt Hoch. Der Baum ist angeschlagen.

Eine Buche im Trockenstress klappt als Erstes die Blätter zusammen, um weniger Verdunstungsfläche anzubieten. Die Blätter bilden dann eine typische Schiffchenform. Hilft auch diese nichts, wirft sie ihr Laub komplett ab. „Nährstoffe, die eigentlich in den Stamm zurückfließen sollten, gehen so verloren“, sagt Roland Hoch.

Eine Buche im Trockenstress klappt als Erstes die Blätter zusammen, um weniger Verdunstungsfläche anzubieten. Hilft das nicht, wirft sie ihr Laub komplett ab

Dass ausgerechnet sie – die Mutter des Waldes – an vielen Orten dahinsiecht, alarmiert selbst Wissenschaftler, denen Panikmache missfällt. Lässt sich der Wald, so wie man ihn kennt, also noch retten?

An vielen Orten Deutschlands hat deshalb ein Casting der anderen Art begonnen: „Deutschland sucht den Superbaum“. Forscher fahnden nach Bäumen, die widerstandsfähig genug sind, um dem Klimawandel zu trotzen. Und dabei gleichzeitig viel CO2 binden, sprich: dicke Stämme haben und sehr groß werden. Der Baum der Zukunft muss resistent gegen Trockenheit, Schädlinge und Hitze sein und obendrein noch Erträge erwirtschaften.

Der Freiburger Forstwissenschaftler Martin Kohler hat schon seit zwölf Jahren ein paar Kandidaten im Blick. Seit 2008 wachsen auf einem Acker im Mooswald vor Freiburg, Bäume, die in Zukunft eine wichtige Rolle spielen könnten. Der Acker gehört der Stadt Freiburg, die das Gelände der Universität zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt hat. Auf dieser Versuchsfläche recken 14 verschiedene Baumarten ihre Wipfel in den Himmel – oder 8.700 Bäume, die jährlich Daten abwerfen. Die drei Hektar große Fläche ist aufgeteilt in 56 Sektoren. Jeder Sektor ist 500 Quadratmeter groß. Ein Flickenteppich der Baumvielfalt.

Baumarten im Vergleich

Auf den einzelnen Sektoren stehen heimische Baumarten wie Buchen, Eschen, Kiefern, direkt neben eingeführten wie Douglasie, Roteiche, Zerreiche und Robinie. Dass der Boden, auf dem diese Bäume stehen, homogen ist, erleichtert den Forschern die Vergleichbarkeit. So kann Martin Kohler genau beobachten, welche Bäume die Hitze besser aushalten.

Wie kompliziert das Vermessen eines Ökosystems sein kann, zeigt sich schon zu Beginn der Exkursion: Martin Kohler entsteigt dem Wagen, mit Diagrammen, Tabellen und Karten. Auf dem Weg zum Wald redet er von Staunässe, Anwuchsprozenten und innerortlicher Konkurrenz.

Nach ein paar Metern hält Kohler vor einer Zerreiche. Er streckt den Arm aus und zieht einen Ast zu sich heran. Die Ränder der ovalen Blätter bilden tiefe Buchten, an deren Ende die filigranen Seitenrippen münden, welche das Blatt wie Adern durchziehen. Die aus Kleinasien stammende Eichenart kann bis zu 200 Jahre alt werden und eine Höhe von 35 Metern erreichen. Sie bevorzugt sommerwarme, nährstoffreiche Böden.

Nachdem Kohler seine Unterlagen auf dem Waldboden ausgebreitet hat, zieht er ein Diagramm hervor. Mit Hilfe der Grafik erläutert er die Messungen. Zusammenfassend lasse sich sagen, dass die Zerreiche die Feinwurzeln auch in tieferen Bereichen angelegt habe, als die heimische Stieleiche; eine höhere Photosyntheseleistung vorallem nach den vergangenen trockenen Sommern aufweise – entsprechend also mehr CO2 binde und eine recht hohe Transpirationsrate habe, sagt Kohler.

Um die Wurzelbildung zu untersuchen, entnehmen die Forscher regelmäßig sogenannte Bodensäulen. Stoßen sie auf viele feine Wurzeln, die auch mal tiefer reichen, ist das ein Hinweis darauf, dass der Baum auch in trockenen Perioden gut Wasser ziehen kann.

Jahresringe zeigen Wachstumsraten

Wie gut die Bäume klarkommen, lässt sich auch an den Wachstumsreaktionen ablesen. Diese messen die Forscher über Bohrkerne. Dazu entnehmen sie dem Stamm des zu beprobenden Baumes eine Holzsäule. Der Abstand der Jahresringe gibt Aufschluss über die Wachstumsraten. Auch hier stellten die Zerreichen auf dem Uni-Versuchsgelände ihre Resistenz und Anpassungsfähigkeit unter Beweis.

Von fünf angepflanzten Eichenarten war sie die einzige, die nach Trockenzeiten ein Wachstumsplus zu verzeichnen hatte. Und einen weiteren vielversprechenden Kandidaten stellt Martin Kohler vor: die Robinie. Er bleibt plötzlich stehen und legt den Kopf in den Nacken.

„Die Robinie wächst in ihrer Jugend recht schnell, bringt den Waldbauern auf Grund der hohen Biomasse rasch Erträge“, sagt er. Zudem binde sie viel CO2. Nachteil der Robinie: Bekommt sie viel Licht, ist sie kaum mehr zurückzudrängen – und nimmt den anderen Baumarten die Sonne. Das muss man eben wissen und sie nicht an Waldhainen anpflanzen

Es ist also kompliziert mit dem Wald. Denn selbst wenn sich unter den mediterranen Baumarten welche finden, die eine echte Alternative zu den bedrohten heimischen Waldbäumen darstellen – es kostet Jahrzehnte, bis Bäume ausgewachsen sind. Also müssen die Verantwortlichen jetzt handeln.

Freie Wahl haben die Förster dabei nicht: EU-Richtlinien und die Standards der Waldzertifizierung geben vor, dass in ausgewiesenen Habitatwäldern überwiegend mit „natürlicher Vegetation“ verjüngt werden darf. Also mit den heimischen Bäumen. Das heißt: In ursprünglichen Eichenwäldern sollten auch nur Eichen eingepflanzt werden.

Ob Hochleistungsbäume, die viele Erträge abwerfen, wie die Douglasie im großen Stile angepflanzt werden dürfen, wird sich also erst noch zeigen müssen. Eins ist jedoch klar, den einen Superbaum gibt es nicht: Es braucht einen Baumarten-Mix. Denn nur ein vielfältiger Wald ist robust genug, um den Klimawandel zu trotzen.

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