Der Inkluencer

Der Berliner Rapper Graf Fidi hat eine Behinderung und geht offensiv in seinen Texten damit um. Er selbst sieht sich als Inklusionsbotschafter. Am heutigen Samstag tritt er beim Spaceberg Festival auf

Eine coole Art, über zu kurze Arme oder zu lahme Beine zu singen: Graf Fidi Foto: Karsten Thielker

Von Jens Uthoff

Eine nicht unwesentliche Qualität im HipHop ist es, Dinge auf den Punkt zu bringen oder, wie man im Slang sagt, Punch­lines zu setzen. Graf Fidi, der Mann, der in Jogginghose, Superman-T-Shirt und mit NY-Käppi auf dem Kopf in seinem Apartment in Wilmersdorf am Schreibtisch sitzt, weiß das. Der 38-Jährige schreibt seit rund zwanzig Jahren Rap-Songs, und die Direktheit, das „In-Your-Face“ des HipHop hat ihn von Beginn an gereizt: „Natürlich habe ich das Rappen dazu genutzt, um auf die Kacke zu hauen. Das war mir ganz wichtig.“

Als Graf Fidi Ende der Neunziger mit dem HipHop begann, war das Auf-die-Kacke-Hauen für ihn auch deshalb so bedeutend, weil er auf diese Weise offensiv mit seiner Behinderung umgehen konnte. Hans-Friedrich Baum, so sein bürgerlicher Name, hat aufgrund einer Frühgeburt – er kam drei Monate zu früh zur Welt – einen „verkrüppelten“ rechten Arm, wie der Mann, der die Dinge gern beim Namen nennt, selbst sagt. An diesem Arm hat er nur einen Finger. Medizinisch würde man Dysmelie dazu sagen.

Im Alter von sechs Jahren kam eine Gehbehinderung aufgrund einer infantilen Zerebralparese (eine frühkindlichen Hirnschädigung) hinzu, seither hat er eine Spastik in den Beinen, kann längere Strecken nur mit dem Rollstuhl zurücklegen. „Als ich damals begonnen habe, über meine Behinderung zu singen, habe ich das eigentlich immer mit einem humoristischen Ansatz getan. Oft nehme ich mich in meinen Texten ja selbst auf die Schippe“, sagt er. Er redet dabei fast so schnell, wie er rappt, gestikuliert mit den Armen, die an beiden Seiten tätowiert sind. Am linken Arm prangt, passend zu seinem Künstlernamen, ein Graffito.

Die Wohnung von Graf Fidi – „Fidi“ ist seit Kindheitstagen sein Spitzname – lässt darauf schließen, dass der Mann etwas mit Rap am Hut haben könnte: An den Wänden hängen LP-Cover alter US-Rapper wie Mobb Deep und The Odd Couple, in der Ecke des Raums hat er sich ein lärmgedämmtes Aufnahmestudio in der Größe einer Telefonzelle eingerichtet. Auch sein Wording klingt nach Rap: Wenn ihm etwas nichts ausmacht, sagt er, „das hittet mich nicht“, Anerkennung drückt er in „Props“ aus.

Berlin hat ein neues inklusives Musikfestival, das Spaceberg Festival. Die Macher_innen der Spaceship-Reihe im Mensch Meier haben sich dafür mit den Veranstalter_innen des Rock Am Berg zusammengetan. Die Sause startet heute, Samstag, um 15.30 Uhr in der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36.

Neben dem hier porträtierten Graf Fidi treten unter anderem 21Downbeat & T.Raumschmiere, BudZillus, Ickmachwelle, die Nogat Singers und Van Holzen auf. Das Festival wird unterstützt von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Der Eintritt kostet 2 Euro.

Dass Selbstironie zu seinen Stärken gehört, kann man an seinen Albumtiteln ablesen. „Ich mach das mit Links“ heißt eines seiner Werke aus dem Jahr 2015, sein jüngstes Album hat er „Schlimmer Finger“ (2018) genannt. Songs wie „Verschieden“ (2012) über Sex mit Behinderung kommen dabei auf mehr als 40.000 Klicks bei YouTube. Während er in früheren Jahren in mehreren Crews rappte, ist er inzwischen hauptsächlich als Solokünstler unterwegs.

Aufgewachsen ist Graf Fidi dort, wo er heute wieder wohnt: in Wilmersdorf. Die Liebe zur Musik und zur Sprache begleitet ihn von früh auf: Seine Mutter spielt im Radiosinfonieorchester, sein Vater spricht viele Fremdsprachen und arbeitet unter anderem als Synchron­sprecher. Während er in den späten Grundschuljahren von Mitschülern extrem gemobbt wird – ein wütendes Stück darüber schreibt er später mit „Mitten im Leben leben“ (2015) –, läuft es in der weiterführenden Schule besser: Die Sophie-Scholl-Schule verfolgt einen inklusiven Ansatz, er ist mit mehreren behinderten und nichtbehinderten Kindern in einer Klasse. „Dort habe ich eine Form der Wertschätzung kennengelernt, die mir vorher völlig fremd war.“ Einer seiner Mitschüler ist seinerzeit Raul Krauthausen – heute Kommunikationswirt und sozialpolitischer Aktivist.

In den Neunzigern kommt Deutschrap in sein Leben. „Damals waren Gruppen wie Die Fantastischen Vier, Rödelheim Hartreim Projekt und Advanced Chemistry prägend für mich, viel mehr gab es ja zu der Zeit in Deutschland nicht.“ Als er etwa 18 Jahre alt ist, beginnt er selbst Texte und Songs zu schreiben. Wie Tagebuch führen sei das gewesen. Es dauert nicht lange, dann traut er sich auch auf die Bühne mit den Tracks. Er nimmt an Rap-Battles wie Rap am Mittwoch und dem VBT (Videobattleturnier) teil, steigt zum Wortgefecht in den Ring. Dort muss er einstecken, teilt aber auch aus. „Klar, haben sich da manche auch auf meine Behinderung bezogen. Damit muss man umgehen, beim Batteln gehört es dazu, auf die Fresse zu geben und auf die Fresse zu bekommen.“

Die eindeutigen Botschaften ziehen sich auch durch sein Werk. So hat er einen Text an die Adresse von Reportern geschrieben, die Menschen mit Behinderung zu Opfern stilisieren. „Klartext“ heißt das Stück. „Lieber Journalist, ich bin nicht an den Rollstuhl gefesselt / schreib doch lieber, dass ich Spaß hab und auch voll gut im Rap bin“, heißt es darin. Und weiter: „Mhm, nein, ich leide nicht an einer Behinderung / ich fühl mich gut, so wie du / schreibt das auf, ich bin gesund.“ Auch wenn er über sich selbst singt, über seine Stärken und Schwächen, redet er Klartext: „Wer ich bin? / Eine Mischung aus ’nem Herzensbrecher und ’nem Schwerverbrecher / der schlimme Finger … ich bin Friedrich dein Held / doch manchmal liebt er sich selbst / der schlimme Finger/ wer ich bin? Heute bin ich bester Schüler / morgen mach ich krumme Dinger“, rappt er im Song „Schlimmer Finger“.

Er versucht, Leute dazu zu bewegen, über ihren Sprachgebrauch nachzudenken

Weil er heute auch vor Politikern spricht, Vorträge hält und Workshops zum Thema Inklusion gibt, versteht er sich mittlerweile auch als Inklusionsbotschafter oder „Inkluencer“. „Kein Rapmusiker kann eine solche Doppelfunktion besser ausfüllen als ich, denn ich bin ja gelebte Inklusion. Ich kann von dem berichten, was ich selbst erlebt habe“, sagt er. Seine Fans sind oft Menschen mit Behinderung, seine coole Art, über zu kurze Arme oder zu lahme Beine zu singen, kommt bei ihnen gut an. Wird er aus der Szene dafür angefeindet, dass er Rapper und Sozialbotschafter zugleich ist? „Die erfolgreichen Rapper kennen mich oft gar nicht, für die fliege ich unter dem Radar. Inklusion ist denen überhaupt kein Begriff.“

Für ihn aber hat sich etwas geändert, seit er selbst für die Belange von Menschen mit Behinderung ein- und auftritt. „Ich versuche, Leute dazu zu bewegen, über ihren Sprachgebrauch nachzudenken“, sagt er. „Zum Beispiel werden die Wörter ‚Spast‘, ‚Krüppel‘ und ‚behindert‘ ja auf Schulhöfen inflationär als Schimpfworte benutzt. Ich habe früher auch so gesprochen, ohne darüber nachzudenken. Heute versuche ich, Leute davon zu überzeugen, dass diese Worte beleidigend sind.“

Zu diesem Wandel beigetragen hat vielleicht auch, dass Fidi Baum neben dem HipHop heute als Sozialpädagoge für die Caritas arbeitet. Vater eines Sohns ist er auch, wobei eine komplizierte Geschichte dahintersteht, die Privatsache bleiben soll. Weitere Erfahrungen, die prägen, sind es allemal. Dass er aus all dem gestärkt hervorzugehen scheint, liegt wohl auch an dem Ablassventil HipHop, das er für sich entdeckt hat. Denn am Ende ist das Leben ja auch nichts anderes als ein Rap-Battle: Man bekommt auf die Fresse und muss auch mal zurückschlagen.