Immer ordentlich Autotune

Reizvoll hingerotzt auf Europaletten: Die Hamburger Rapperin Haiyti absolviert eine kleine Berliner Club-Tour. Es ist ein Heimspiel für sie

Sie rappt, schreit, singt sie – mal wehmütig, mal wollüstig: Hayiti Foto: André Wunstorf

Von Laura Sophia Jung

Normalerweise suche ich mir, wenn ich über ein Konzert schreibe, zielsicher einen Platz am Rand. Da hat man den Überblick. Am Freitag im ausverkauften About Blank aber geht das nicht. Schon eine Stunde bevor Rapperin Haiyti auftritt, gibt es in dem kleinen Gewölbe keinen Rand mehr. Alles ist Menge.

Es ist das erste Konzert ihrer dreitägigen Berlin-Tour; laut eigener Aussage die erste Berlin-Tour überhaupt. Typisch für Haiyti: eine simple Idee, der etwas von Faulheit oder Schlamperei anhängt, brillant umgesetzt mit Liebe zum Detail. So gibt es zum Beispiel Perroquets an der Bar. Nach dem türkisen Drink (Pastis und Minzsirup) ist ihr im Juni erschienenes Album benannt. Darauf rappt, schreit, singt sie – mal wehmütig, mal wollüstig, aber immer mit ordentlich Autotune. Man kann sagen: Niemand klingt wie sie. Nicht mal sie selbst.

Dafür ist das Publikum hier: für exaltierten Individualismus. Irgendwas zwischen Falco, dem goldenen Hollywood und einem Kiez-Proll. Die meisten haben sich entsprechend gekleidet: gegelte Haare und Lederjacke, Pelzweste und Sonnenbrille, Adidas-Jogger aus Fallschirmseide – dabei ist es von Anfang an eigentlich zu heiß für derartige Outfits. Schon Rapper Doxmv, der als Support aus Paris angereist ist, sorgt mit Afrotrap und Tanzeinlagen.

„Uuargh“

Dann betritt Haiyti den Raum mit ihrem berühmten sogenanntem Ad-lip: dem rauchigen „uuargh“. Schnell ist klar, warum die Hamburgerin Berlin für ihre Stadt-Tour gewählt hat: Es ist ein Heimspiel. Die Fans singen alles enthusiastisch mit, selbst wenn die Hook nur aus zwei Worten besteht („Es kostet“). Es scheint auch niemanden zu stören, dass man von ihr oft nicht mehr als ihre Cap oder – später – ihre Haare sehen kann. Denn ­Haiytis „Bühne“ besteht aus zwei aufeinandergelegten Europaletten hinter einer kleinen Absperrung. Wieder die für sie typische Improvisation – reizvoll hingerotzt. Und es funktioniert: Weil eben nicht alle permanent auf die Bühne starren oder Handyvideos machen, wird getanzt, gefeiert.

Klar, einige Insta-Stories werden gepostet. Vor allem, wenn sie Hits wie „Coco Chanel“ spielt oder als Rap-Kollege Fruchtmax für sein Feature „Milliardärslounge“ auf die Euro­paletten kommt. Hauptsächlich Männer wollen diese Momente festhalten. Irgendwie berührt sie diese hippen Großstädter mit ihren brutalen Texten, die immer ein bisschen Verletzlichkeit durchschimmern lassen. Ihre lässige Selbstinszenierung – entrückt, verpeilt, knallhart – kommt an.

An diesem Abend zeigt sie aber auch, dass es ein Jenseits der Inszenierung gibt: Sie strahlt, freut sich ganz ehrlich über den Zuspruch, bittet die Kiffer nach vier Songs lachend, doch etwas weiter nach hinten zu gehen. „Ich halt das hier sonst nicht durch“, sagt sie mit ihrer Autotune-Stimme und rappt dann souverän anderthalb Stunden durch.

Haiyti bittet die Kiffer lachend, doch etwas weiter nach hinten zu gehen

Ihr gelingt es immer wieder, die Menge noch ein bisschen mehr aus der Reserve zu locken. Bei jedem Song denkt man, dass jetzt aber wirklich das Maximum erreicht ist. Zwischen „Pete Doherty“ und „City Tarif“, Songs aus der Zeit, als ­Haiyti noch ein echter Geheimtipp war, entsteht der erste Moshpit. Es ist mehr eine Hüpfburg – in der dicht gedrängten Menge ist einfach kein Platz für einen Kreis.

Und dann „Ein Messer“: Jede*r Einzelne im Publikum brüllt den Refrain mit, fühlt mit. Vielleicht weil kein Song besser das Spannungsfeld Haiyti auslotet: energiegeladener Trap gepaart mit Texten über Drogenmissbrauch, Depression, Wut – der vertonte Totalausfall am Ende einer durchfeierten Nacht.

Zwei Zugaben bekommt das Publikum. Erst spielt Haiyti das melancholisch-schöne „American Dream“, dann noch mal „Coco Chanel“ – vielleicht, weil sie wirklich nicht mehr weiß, was sonst noch spielen; vielleicht, weil sie genau weiß, dass es egal ist. Das Publikum ist ihr längst in den Songs abhanden gekommen. Als sie abgeht und ihre Stimme nur noch vom Band läuft („Ich komm aus dem Club nicht raus, nicht in 120 Jahren“) machen alle einfach weiter. Tanzen, singen wie in Trance. Erst als die Musik aus- und das Licht angeschaltet wird, realisiert die Menge, dass es wirklich vorbei ist.