Wahlen in Brandenburg und Sachsen: Sieben grüne Gebote

Die Grünen haben in Sachsen und Brandenburg glamouröse Prozentzahlen verpasst. Aber entscheidender ist, was sie daraus machen.

Benjamin Raschke (l-r) und Ursula Nonnemacher, Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in Brandenburg von Bündnis 90/Die Grünen und Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende

Grüne Spitzenkandidaten auf einer Wahlparty in Brandenburg Foto: dpa

Zum grünen Höhenflug hat der Brandenburger Spitzenkandidat Benjamin Raschke vor drei Wochen einen im Rückblick klugen Satz gesagt: „Wir bleiben auf dem Teppich, auch wenn der Teppich fliegt.“ Tatsächlich ist es nämlich so, dass der Teppich nicht dort gelandet ist, wo es sich die Partei gewünscht hätte. Jedenfalls nicht, wenn man sich an die Äußerung von Raschkes Brandenburger Mitstreiterin Ursula Nonnenmacher erinnert, die sich ein wenig verfrüht als Ministerpräsidentin empfahl. Jetzt sind es in Brandenburg bloß 10,8 Prozent geworden und in Sachsen 8,6 Prozent: eher ein Höhenflügchen.

So schnell und hoch hinaus geht es eben nicht. Den Aufstieg einer Partei muss man sich eher wie eine Treppe vorstellen, die man Stufe für Stufe nehmen muss. Die Grünen sollten mal durchatmen und überlegen, wo sie stehen. Seit Annalena Baerbock und Robert Habeck die Partei führen, haben sie in Bayern, Hessen, Bremen und bei der Europawahl Stimmen hinzugewonnen. Die vielen Mandate in den Parlamenten haben die Gestaltungsmacht der Partei nur sehr begrenzt erweitert, denn sie regieren ebendort, wo sie schon vorher regierten.

Nun aber kommen zwei Länder dazu, in denen die Grünen gute Chancen haben zu regieren. In Brandenburg sind Rot-Rot-Grün und Rot-Schwarz-Grün die möglichen Koalitionen, daneben gibt es noch eine Option mit SPD, CDU und Freien Wählern und – sehr unwahrscheinlich – eine SPD-geführte Regierung mit CDU und Linkspartei. In Sachsen geht sogar nur eine schwarz-grün-rote Keniakoalition, weil Ministerpräsident Michael Kretschmer für seine CDU eine Zusammenarbeit mit der Linken oder der AfD ausgeschlossen hat

Der Erfolg einer Partei bemisst sich nicht in reiner Zustimmung, sondern daran, ob sie diese in Gestaltungsmacht umsetzen kann. Die Frage ist nicht, wie glamourös die Prozentzahlen der Grünen sind. Die Frage ist, was sie daraus machen. Sieben Punkte sind wichtig:

Erstens: Die Grünen müssen verinnerlichen, dass sie es nun sind, die den Staat verteidigen. Die Partei hat eine staatskritische Tradition, von der sie sich den scharfen Blick auf die Bürgerrechte unbedingt erhalten muss. Aber aus ihrer Geschichte heraus pflegt sie auch gern bequeme Feindbilder. Gerade in Sachsen ist es in fast drei Jahrzehnten CDU-Regierung von Biedenkopf und seinen Nachfolgern zum Selbstverständnis der Grünen geworden, sich als Rebellen wider die Staatsmacht zu sehen. Der wackere Underdog, moralisch stets im Recht – das ist auch von Brandenburg bis Bayern immer noch eine klare, einfache Rolle vieler Grünen.

Erst langsam vollzieht sich der Rollenwechsel, und der Partei dämmert, was auf dem Spiel steht. In diesem Jahr ging eine Grüne einen wichtigen Schritt in dieser Beziehung: In Görlitz steckte Franziska Schubert bei der Oberbürgermeisterwahl zugunsten des CDU-Kandidaten zurück, um den AfD-Bewerber zu stoppen. Das war richtig. Jetzt muss den Grünen klar sein, dass es um das Grundgerüst der Republik geht: Scheitert Kretschmer, scheitern wir.

Zweitens: Die Grünen dürfen sich nicht abspeisen lassen. Sie können selbstbewusst übers Regieren verhandeln. Michael Kretschmer ist jetzt belastbar. Sein Vorgänger Stanislaw Tillich trat zurück, nachdem die sächsische CDU bei der Bundestagswahl auf 26,9 Prozent gefallen war. Dagegen sind die 32,1 Prozent von diesem Sonntag stattlich. Der Erfolg – im Übrigen auch in seinem Görlitzer Wahlkreis – festigt Kretschmers Position gegenüber den Rechtskonservativen in seinem Landesverband, die durchaus mit der AfD was versuchen würden. Wäre der Ministerpräsident geschwächt, würden sie sich womöglich durchsetzen.

Chance, nicht Notgemeinschaft

Dann gibt es noch etwas, das sich die Grünen von der CDU teuer abkaufen lassen können: Strategisch bietet eine Regierung mit den Grünen der Union nämlich die Chance, sich zu modernisieren und in den Großstädten den Anschluss zu finden. Das gilt genauso für die unfassbar müde brandenburgische SPD von Dietmar Woidke, die neidisch auf die Grünen-Erfolge im Berliner Speckgürtel blickt. Wenn die Ministerpräsidenten klug sind und ihre Partner der anderen Parteien auch, dann begreifen sie ihr Bündnis nicht als Notgemeinschaft, sondern als Chance.

Drittens: Die Grünen müssen Themen dazugewinnen. Die Wahlen in Brandenburg und Sachsen spitzen das Problem zu, dass der Partei im Klimaschutz sehr viel zugetraut wird – aber nicht in Ressorts wie Verkehr oder Landwirtschaft, die doch für die Bewältigung der Klimakrise wichtig sind. Während nach einer Befragung der Forschungsgruppe Wahlen 39 Prozent der Sachsen die Grünen für kompetent im Klimaschutz halten, sagen das zum Beispiel nur 4 Prozent für den Bereich Infrastruktur.

In Schleswig-Holstein fuhren die Grünen gut damit, sich durch das Finanzressort übergreifend Einfluss zu sichern, sich aber zweitens durch das Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Digitalisierung thematisch zu erweitern. In Hessen beispielsweise kombiniert Tarek Al-Wazir im Wirtschaftsressort Energie und Verkehr. Die Zeiten, in denen die Grünen standardmäßig das Umweltressort und halt noch irgendwas Zweites bekamen, sind vorbei, denn dazu – siehe zweitens – sind CDU und SPD zu sehr auf sie angewiesen.

Viertens: Die Grünen sollten bei der Braunkohle drängeln, aber auch versöhnen. Am 20. September findet in Deutschland der große Klimastreik statt, am selben Tag will die Bundesregierung ihre Klimapolitik parat haben, die bisher noch keine Gestalt hat. Der Kompromiss der Kohlekommission, die Kraftwerke bis 2038 zu schließen, ist noch längst nicht Gesetz. Nun werden die Grünen ausgerechnet in zwei Ländern über Regierungen verhandeln, in denen Braunkohle abgebaggert und verstromt wird. Von Jänschwalde bis Lippendorf blasen Kraftwerke neben CO2 Feinstaub und Schwefeloxide in den Himmel. Da nicht Tempo zu machen, wäre etwa so, als hielten die Grünen FFF für einen Freundeskreis für Fensterreden.

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Konkrete Schritte fordern

Ein gutes Geschäft sind die Kraftwerke ohnehin kaum. Im ersten Halbjahr haben alle Braunkohlekraftwerke in Deutschland 22 Prozent weniger Strom produziert als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Industrie möchte nur einen möglichst vorteilhaften Ausstieg. Da sollten die Grünen verlangen, dass es schneller geht und dass die Schritte sehr konkret verabredet werden.

Gleichzeitig wäre es wichtig, zu verstehen, dass es hier vielen Menschen nicht einfach um Arbeitsplätze geht, sondern um ihre Biografien. Wer früher im Bewusstsein arbeitete, dass in der DDR ohne ihn die Lichter ausgingen oder die Wohnungen kalt blieben, lässt sich heute ungern als unbelehrbarer Klimakiller abtun. Jemand muss den Menschen sagen, was denn die neue Aufgabe ist. Das ist mehr als nur eine Frage des Geldes, sondern der Ideen. Und des Streits, der von Angesicht zu Angesicht ausdiskutiert wird, so wie es vielerorts die gute Kultur dieses Wahlkampfes geworden ist.

Fünftens: Die Grünen müssen in die Fläche. In Brandenburg und Sachsen wählen Menschen in großen Städten mit hohem Bildungsabschluss die Grünen. Sie haben sogar zwei Wahlkreise in Leipzig, einen in Dresden und einen in Potsdam geholt. In Kleinstädten und auf dem Dorf sieht es anders aus. Auch anders als in Bayern, da haben die Grünen im vergangenen Jahr auch auf dem Land gewonnen. Die gemeinsame Arbeit von Stadt- und Landmenschen ist eigentlich in der grünen Geschichte verortet, wie der Kampf gegen das Atomkraftwerk im badischen Wyhl oder gegen das Atommülllager im Wendland zeigen.

Es lässt sich von Berlin aus leicht vorschlagen, dass Parteien doch bitte mal auf dem Dorf in Ostsachsen was reißen sollen. Aber überall dort, wo Grüne sich engagieren, in Kreis-, Gemeinde- und Ortsbeiräten, sollte ihre Partei sie unterstützen, was das Zeug hält. Und das gilt nicht nur für die Grünen, sondern für die anderen Parteien, die die Rechtsextremen aufhalten möchten. Fünf Jahre können schnell vergehen.

Sechstens: Die Grünen müssen das Gespräch fortsetzen. Sie haben es im Wahlkampf immer wieder vermocht, die ewigen Monologe und Gegenmonologe aufzubrechen. In die Sprachlosigkeit hinein haben die Grünen viele neugierig gemacht. Es war keine Kampagne, die Menschen trennt, sondern eine, die welche zusammenbringt.

Reinholen statt ausschließen

Zu den Veranstaltungen kamen auch Leute, die anderer Meinung waren. Der selbstgewisse Sound von „Ist doch eh klar“ und „Geht gar nicht“ ist gefährlich. Gut, dass die Grünen Leute reinholten, statt sie auszuschließen. Die Partei hat zwei Vorsitzende, die weder eine Parlamentsfraktion noch ein Ministerium leiten müssen. Sie sollten auch über die Landtagswahl in Thüringen im Oktober hinaus im Osten präsent sein – und nicht nur große Townhall-Termine absolvieren. Politik, das zeigt der Erfolg von Kretschmers „Sachsen-Gesprächen“ lange vor dem Wahlkampfsommer, das ist auch das kleine Gesprächsformat. Habeck und Baerbock sollten den Kretschmer machen.

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Siebtens: Die Grünen dürfen nicht wieder schrill werden. Der Schluss, ihre Ergebnisse wären höher gewesen, wenn sie schärfer polarisiert hätten, ist falsch. Diese Zeit wird von zwei Weltuntergangsparteien geprägt, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Die AfD beschwört den Weltuntergang herauf – oder jedenfalls den der Nation –, facht damit Angst an und holzt maximal gegen die anderen. Die Grünen, schon bei ihrer Gründung eine Partei gegen Atomkrieg und Supergau, beschäftigen sich nun wieder mit einer drohenden Zerstörung der Erde. Da läge es nahe, dauernd Alarm zu geben. Aber den grünen Ton prägen zurzeit nicht apokalyptische Reden, sondern der Optimismus, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.

Die Grünen dosieren ihre Drastik, sie sparen sich saftige Vorwürfe, machen Kritik am Gegner nicht zu Charakterfragen. Das gelingt längst nicht immer, aber doch oft, vor allem wenn man es mit dem politischen Gestus der alten Grünen vergleicht.

Die sieben Punkte sind keine Beratung der Grünen. Sie sind eine Forderung – Gebote der Stunde für eine Partei in besonderer Lage. Denn eine Verantwortung dafür, dass die AfD schwächer werden muss, hatten die Grünen diesmal noch nicht. In fünf Jahren schon.

Korrektur: In einer ersten Version des Textes wurden die zwei Brandenburger Bündnisoptionen ohne die Grünen außer acht gelassen.

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