„Diese Schreiben haben mehr verunsichert“

Die Beratungsstelle Lobbi für Opfer rechter Gewalt fordert mehr Aufklärung für Menschen, die auf sogenannten Feindeslisten stehen

Tim Bleis

46, arbeitet für die Beratungsstelle Lobbi. Das steht für Landesweite Opferberatung, Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern.

Interview Andreas Speit

taz: Herr Bleis, was fordern Sie in den offenen Briefen an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) und die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD)?

Tim Bleis: Wir wollen endlich mehr Aufklärung zu den sogenannten Todeslisten erhalten. Wir wollen den Druck erhöhen, da die Sicherheitsbehörden und auch die Politik die Betroffenen weiterhin weitgehend alleine lassen.

Es kursieren im Netz Feindeslisten, in denen Rechtsextreme die Namen und Adressen vermeintlicher Linker gesammelt haben. Stand die Beratungsstelle Lobbi auf einer Liste?

Ja, auch wir haben ein Schreiben des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern bekommen, das uns informiert hat. Darin wird versichert, dass keine Gefahr bestehe, aber es taucht nicht einmal der Name „Nordkreuz“ auf.

„Nordkreuz“ ist eine der Gruppen, die eine solche Liste geführt haben und deren Mitglieder überwiegend aus der Polizei und Bundeswehr stammen.

Diese Schreiben des LKA dazu haben mehr verunsichert als beruhigt. Einzelne Betroffenen habe sich ratsuchend an uns gewendet. Wenn man nicht mitbekommen hat, dass diese Gruppe Waffen, Adressen und Leichensäcke hortete, ist das Schreiben kaum verständlich.

Ende Juni wurden einige Betroffene als Zeugen in dem Ermittlungsverfahren vernommen.

Aus Rostock wurden 27 Personen gehört. Sie erfuhren so auch erstmals, dass die Beschuldigten vom „Nordkreuz“ über sie nicht nur öffentlich verfügbare Daten gesammelt hatten. Bei Durchsuchungen verschiedener Objekte im August 2017 stieß das BKA auf umfangreiche Materialsammlungen zu rund 25.000 Personen und Institutionen. Knapp zwei Jahre später gab das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns im Juli 2019 bekannt, dass es 1.200 betroffene Personen und Institutionen im Land informieren werde.

Wie bewerten Sie die Gefahr?

Uns ist bekannt, dass bei mehreren Personen Daten nicht bloß aus Polizeidateien stammen, sondern auch neben Namen und Adresse handschriftliche Notizen gemacht wurden – wie: „fährt Fahrrad“ oder „plant umzuziehen“. Da wurde schon konkreter überlegt.

Sie schlugen nach der Entdeckung der Liste vor, diese beim Datenschutzbeauftragten hinterlegen zu lassen.

Die Idee war, dass Menschen, die sich von Rechtsextremen bedroht fühlen, sich bei dieser neutralen Stelle informieren könnten. Sie bräuchten sich nicht bei der Polizei quasi selbst outen. Die Verstrickung von Polizisten beim „Nordkreuz“ muss berücksichtigt werden.

Welche Konsequenzen fordern Sie?

Wir fordern, dass ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wird, um vollständige Aufklärung zu erhalten, auch über die gesamte Verstrickung von Polizisten, Bundeswehrsoldaten und Reservisten.