Bilanz Jamaika-Koalition in Kiel: Allianz der Gönner

Die Jamaika-Koalition in Kiel regiert seit über zwei Jahren in erstaunlicher Harmonie. Das hat auch damit zu tun, dass die Akteure sich gut verstehen.

Schleswig-Holsteins Minister scherzen bei einem Fototermin auf einem Boot.

Gute Stimmung: Schleswig-Holsteins fast komplettes Kabinett (einer fehlt) im Juni 2018 Foto: dpa

NEUMÜNSTER taz | Es gibt einige Themen, bei denen sich die drei Parteien, die in Schleswig-Holstein als Jamaika-Koalition regieren, nicht einig sind: Tempolimit, Abschiebehaft, Grunderwerbsteuer zum Beispiel. Und die Verantwortlichen finden gar nichts dabei. Seit mehr als zwei Jahren regiert das Dreier­bündnis in Kiel überraschend reibungslos.

Zwei Grundsätze helfen den Jamai­ka­ner*innen: Nach innen ist es das Motto „Gönnen können“, nach außen das gemeinsame Schulterzucken, wenn politische Gegner*innen Streitpunkte aufdecken.

Die Grünen klatschten mit, als Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) im Landtag Spitzentempo 120 auf der A 7 verlangte. Die Forderung sei „in unseren Grundfesten verankert“, sagte Andreas Tietze, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, bei der Sitzung im Mai. Aber „es ist kein Thema, das sich eignet, einen Keil in die Koalition zu treiben“.

Hans-Jörn Arp (CDU) hält gar nichts von Geschwindigkeitsbeschränkung. Aber auch er meint: „Für die Klimaziele kämpfen wir mit den Grünen Seite an Seite. Hier einen Konflikt zu schaffen wird nicht gelingen.“

Hans-Jörn Arp, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion in Kiel

„Für die Klimaziele kämpfen wir mit den Grünen Seite an Seite. Hier einen Konflikt zu schaffen wird nicht gelingen“

Ähnliche Debatten gehören in Schleswig-Holsteins Parlament seit zwei Jahren fast schon zum Ritual: Bei Streitfragen erklären Mitglieder der miteinander regierenden Parteien ihre voneinander abweichenden Standpunkte, stimmen am Ende aber gemeinsam gegen die Anträge der Opposition. Eigentlich ganz normal, so Kay Richert (FDP) in der Debatte: „Parteien mit unterschiedlichen Positionen sind ein elementarer Grundstein der parlamentarischen Demokratie. Wo wir Unterschiede haben, verstecken wir sie nicht, sondern diskutieren sie offen. Ich denke, dass wir hier einen guten Stil pflegen.“ Dafür erhielt er Beifall aus allen Regierungsfraktionen.

Die erste Jamaika-Regierung entstand im Saarland, hielt aber nur drei Jahre durch, dann ließ die damalige CDU-Ministerpräsidentin, Annegret Kramp-Karrenbauer, sie 2012 platzen. Was damals noch ein Experiment war, galt im Sommer 2017 als wichtiges Signal für Berlin, weil sich angesichts der Konflikte in der damaligen schwarz-roten Koalition und der stärker werdenden AfD auf Bundesebene eine Mehrheit für Schwarz-Grün-Gelb abzeichnete. So standen die Verhandlungen in Kiel im Sommer 2017 unter besonderer Beobachtung. Vor allem für die Grünen stellte sich die Frage, ob sie jenseits des vertrauten Rot-Grün-Schemas zu weiteren Farben- und Machtspielen in der Lage waren.

In Kiel hat es geklappt, in Berlin bekanntlich nicht. Wer damals dabei war – eine Reihe von Poli­tiker*innen aus Schleswig-Holstein verhandelte an der Spree mit –, berichtete vor allem von Zoff und Zerwürfnissen auf der zwischenmenschlichen Schiene.

Die gab es an der Kieler Förde nicht: Mit CDU-Parteichef und Spitzenkandidat Daniel Günther, dem Grünen-Führungsduo Monika Heinold und Robert Habeck, FDP-Chef Heiner Garg und Frak­tions­chef Wolfgang Kubicki trafen sich Personen, die einander lange kannten und die ein positives Ergebnis wollten. Zudem fehlten einige Knackpunkte, an denen sich die Verhandlungsteams in Berlin aufrieben. Etwa Energiepolitik: Kohle spielt im Land keine Rolle, stattdessen sind alle für Windenergie und gegen ­Fracking.

Den Parteien scheint die Reise nach Jamaika nicht zu schaden. Zwar hatte die FDP laut einer Umfrage im Jahr 2018 zum Einjährigen der Regierung an Zustimmung verloren. Doch das mag auch daran liegen, dass FDP-Lautsprecher Wolfgang Kubicki inzwischen in Berlin sitzt und weniger Aufmerksamkeit auf die Liberalen in Kiel zieht.

Den Grünen scheint das Mitregieren dagegen zu bekommen, jedenfalls wurden sie bei den Europawahlen im Mai stärkste Kraft im Land – und das im traditionell schwarzen Schleswig-Holstein. Allerdings werden auch bei diesem Ergebnis Stimmungen außerhalb der Landespolitik eine Rolle gespielt haben. Zudem profitieren die Landesgrünen vom Habeck-Faktor: Anders als bei Kubicki, der durch den Wechsel nach Berlin eher in den Hintergrund gerückt ist, hat Habecks öffentliche Präsenz zugenommen.

Präsenter Ministerpräsident

Bundesweit präsent ist auch Daniel Günther. Der Ministerpräsident hat die Landes-CDU auf dem liberalen Flügel der Partei positioniert und wird neuerdings gern als Stimme dieses Flügels zitiert. Bei diesem Kurs helfen ihm Mitglieder seines Kabinetts wie Bildungsministerin Karin Prien.

„Gute Öffentlichkeitsarbeit, aber wenig Inhalt“, kommentiert Oppositionsführer Stegner zur Halbzeitbilanz der Legislaturperiode. Die Regierungsfraktionen würden „mit ihren unterschiedlichen Positionen kokettieren“, aber die Uneinigkeit in wichtigen Punkten führe zum Stillstand im Land.

Ministerpräsident Daniel Günther sieht das naturgemäß anders: „Seit CDU, Grüne und FDP Schleswig-Holstein regieren, hat niemand mehr Zweifel, dass Jamaika funktionieren kann“, sagte er im Sommerinterview mit den Kieler Nachrichten. Das Modell sei „ immer noch ein Vorbild für den Bund“.

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