Aufgeblasener Begleiter

Seit einiger Zeit sieht man sie im Straßenbild: RadlerInnen mit einem dicken Schalkragen um den Hals. Bei einem Sturz soll sich der zu einem Airbag aufplustern – und besser schützen als ein Helm. Unser Autor hat das 300 Euro teure Versprechen Probe gefahren

Einfach mal fallen lassen – auf dem Foto ist übrigens nicht der Autor zu sehen Fotos: Stefan Zeitz/imago

Von Andreas Hergeth

Die Vorgeschichte

Auf einmal sind sie da und fallen nicht nur dem Autor, sondern auch KollegInnen im Stadtbild auf: seltsame Halskrausen bei vornehmlich Fahrradfahrerinnen. Sie erinnern an jene medizinischen Halskrausen, mit denen vor etlichen Jahren Schleudertraumen behandelt wurden. An einer Ampel klärt eine Radfahrerin bereitwillig auf, dass das ein Airbag für den Kopf sei. „Leichter als ein Helm“, fügt sie hinzu. „Und leider auch teurer.“ Wie viel denn? „300 Euro.“

Das Produkt

Es handelt sich um eine schwedische Erfindung. Die Firma Hövding mit Sitz in Malmö hat sie bereits im Jahr 2011 auf den Markt gebracht. Der Hövding wird als „der sicherste und angenehmste Fahrradhelm weltweit“ beworben. Man könnte auch Fahrrad-Airbag oder Airbag-Fahrradhelm oder Airbag-Kragen dazu sagen.

Verkaufserfolge erzielte das Unternehmen nach eigenem Bekunden im Jahr 2018 vor allem in Deutschland, im Vergleich zum Vorjahr habe man den Umsatz verdoppeln können. „Bisher konnten wir mit dem Hövding mehr als 3.700 Radfahrer bei Stürzen vor schweren Kopfverletzungen bewahren“, sagt Geschäftsführer Fredrik Carling.

Das Prinzip

In seinem Inneren verbirgt das Gerät Sensoren, einen Akku und einen Kaltgasgenerator mit Helium – Airbag-Kaltgasgenerator kennt man aus Autos. „Im Falle eines Sturzes reagiert dieser sofort und bläst sich innerhalb von 0,1 Sekunden auf, schützt den Kopf und fixiert das Genick“, verspricht das Unternehmen. Der patentierte Airbag bildet eine Kapuze, dass lässt sich in etlichen Videos sehen. Angeblich soll er eine „dreimal bessere Stoßdämpfung als klassische Fahrradhelme“ bieten.

Der Airbag-Kragen wird vor der Fahrt eingeschaltet, erst dann ist das Gerät aktiv: Dann „registriert es 200-mal in der Sekunde die Bewegungen des Radfahrers“, heißt es im Firmenmaterial. „Wenn ein Unfall eintritt, wird eine anormale Bewegung registriert, und der Airbag bläst sich auf.“

Die Firma

Die Idee mit dem Fahrradhelm und dem Airbag kam bereits im Jahr 2005 zwei Industriedesignstudentinnen. Es hat laut Unternehmen sieben Jahre gedauert, um aus dem Konzept ein zertifiziertes Produkt zu machen. Bisher sollen schon 150.000 Höv­dings verkauft worden sein. Die Produktion läuft, 300-Euro-Helmkragen hin oder her, in China.

Carling beteuert, er trage sein Produkt, wie könnte es anders sein, jeden Tag: „Ich bin einer von den etwa 50 Prozent Hövding-Trägern, die zuvor nie einen herkömmlichen Helm benutzt haben.“

Was sagt Carling denen, die den hohen Preis kritisieren? Er zitiert aus „unabhängigen Tests“, wie ihn zum Beispiel ein schwedischer Versicherungskonzern getätigt habe: „Das Risiko einer schweren Kopfverletzung kann bei einem Unfall mit einer Geschwindigkeit von bis zu 25 Kilometern pro Stunde von 90 Prozent auf 2 Prozent reduziert werden.“ Das, sagt Carling, sei „der Unterschied zwischen der Höv­ding-Airbag-Technologie und herkömmlicher Technologie, also Kunststoffhelmen“.

Der Test

Der Airbag-Kragen kommt im vorgeladenen Zustand in der Redaktion an – die taz hat in Malmö nach einem kostenlosen Testexemplar gefragt und über die zuständige deutsche Marketingfirma auch bekommen. Der Hövding soll rund drei Stunden an die Steckdose (oder den Laptop), das mache ich abends zu Hause, nach einer Stunde signalisieren die Leuchtdioden, dass das Gerät voll geladen ist.

Man trägt das Gerät wie einen zu dick geratenen Kragen um den Hals beziehungsweise auf den Schultern; es gibt drei Größen, ich trage eine „L“. Mir liegen 655 Gramm um den Hals, das wiegt nicht wenig, denke ich anfangs.

Der Fahrrad-Airbag wird mit einem Reißverschluss aktiviert. Den Reißverschluss zu schließen erfordert durchaus etwas Geschick, beim ersten Mal brauche ich dafür morgens einen Spiegel und nach Feierabend eine helfende Kollegin.

Der Reißverschluss muss vollständig geschlossen sein, bevor die Fahrt losgehen kann, denn auf dem Reißverschlussanhänger ist ein Druckknopf befestigt, der als Aktivierungs- bzw. Deaktivierungsschalter fungiert. Dank Magnetismus klappt das mit dem Druckknopf wider Erwarten ganz leicht. Ein Ton- und Lichtsignal zeigt an, wenn das Gerät aktiviert ist. Der Ton ist relativ leise, aber gut hörbar, dagegen kann man das Lichtsignal eh nicht sehen, wenn man den Airbag-Kragen trägt.

Der Kragen selbst wurde ergonomisch entworfen, er trägt sich halbwegs komfortabel, man muss sich halt daran gewöhnen. Und auch vom Gewicht her ist das Gerät auf Dauer dann doch okay. Das Material besteht aus „wasserfestem Funktionsgewebe“, da der Kragen aber doch relativ eng um den Hals liegt, wird es schnell warm darunter.

Fürs Auge (und wohl auch aus hygienischen Gründen) hat der Kragen einen Überzug, der sich waschen lässt – den Airbag selbst darf man natürlich nicht waschen. Es gibt übrigens längst verschiedene Überzüge anderer Anbieter zu kaufen.

Kollegen haben mir beim Test mit auf den Weg gegeben, mal darauf zu achten, ob ich mit dem Airbag am Hals riskanter fahre als sonst. Doch das Gegenteil ist der Fall: Weil ich nicht genau weiß, wie die Sensoren reagieren, fahre ich am ersten Tag vorsichtiger als üblich. Ich merke, dass ich Schlaglöcher und auf einmal sogar Bordsteinkanten meide – nicht, dass das Gerät noch anspringt!

Das Fahrgefühl an sich ist nicht anders als sonst. Die Halsbeweglichkeit ist nicht eingeschränkt, aber auch da muss man sich daran gewöhnen, dass da dieses dicke Ding um den Hals herum liegt. Doch schon am zweiten Tag trage ich das Ganze mit einer gewissen Routine und fahre ganz normal wie immer.

Der Unfallforscher

Unfallforscher Siegfried Brockmann kennt den Fahrrad-Airbag natürlich, obwohl der schwedische Anbieter bislang noch der einzige Hersteller eines solchen Produkts ist. Man kann also nicht mehrere Modelle miteinander vergleichen, wie das Forscher sonst naturgemäß gern tun. Brockmann ist Leiter der Unfallforschung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.

Er sieht ein Problem beim Fahrrad-Airbag – eins physikalischer Natur. Brockmann greift zur Erklärung aufs Autobeispiel zurück: Bei einem Aufprall im Frontbereich löst eine Druckwelle den Airbag aus, es dauert weniger als 0,1 Sekunden, bis der Airbag aufgeblasen ist. „Was passiert nun zum Beispiel in dem Fall, wenn ein Fahrradfahrer auf Höhe der Tür seitlich in ein Auto fährt? Würde der Helm dann aufgeblasen sein, bevor der Kopf gegen die Dachkante prallt?“ Denn der Auslösemechanismus für den Airbag befinde sich ja nicht am Vorderrad, sondern am Hals des Fahrradfahrers, der sich ja zunächst mit unverminderter Geschwindigkeit weiter vorwärts bewege.

„Der Hersteller hat meines Wissens noch nicht gezeigt, dass das Produkt in diesemrelevanten Szenario funktioniert und schnell und zuverlässig aufbläst und schützt“, kritisiert Brockmann und fordert Crashtests für genau diese Situationen. Was die Videos zeigen würden, wären allein Unfallsituationen, in denen FahrradfahrerInnen stürzen – nicht Situationen, in denen sie mit einem Hindernis kollidieren.

Das Fazit

Ich kann nicht sagen, dass ich mich mit dem Airbag-Fahrradkragen sicherer fühle als ganz ohne jeglichen Schutz. Vielleicht kommt das mit der Zeit. Was aber klar ist: Mir liegt das Gerät zu eng am Hals und ist auf Dauer zu warm. Wahrscheinlich sollte ich den Test bei kühlerem Wetter wiederholen.

Auch ist mir der Hövding zu teuer. Man könnte konstatieren, dass er ein modisches Distinktionsmerkmal für urbane Fahrradfahrer ist, weil sich das 300 Euro teure Dinge nicht jede/r leisten kann. Außerdem lässt er sich im Falle eines Falles nur einmal benutzen. Wer den dann ausgelösten und aufgeblasenen Airbag einschickt zur Analyse (zur weiteren Verbesserung, so die Firma), bekommt einen neuen – für 200 Euro. Ihn einfach zusammenfalten und weiter benutzen, das geht nicht. Gut, auch einen herkömmlichen Helm soll man nach einem Sturz ersetzen, aber das kostet dann nicht insgesamt 500 Euro.

Und, okay, den Vergleich, wie es sich mit Fahrradhelm anfühlt, kann ich auch noch nicht ziehen, ich trage ja keinen. Wobei: Ein ganz privater Fahrradhelm-Test kommt als Nächstes, versprochen. Und den Test mit einem fingierten Sturz auf die Spitze zu treiben und den Airbag gewollt auszulösen – na ja, das hab ich mich dann doch nicht getraut.