Kommunikation und Populismus: Den Briten schmeckt sogar Boris

Was stören Fakten, wenn doch die gefühlte Message stimmt? Premier Boris Johnson sagt dem Publikum, was es hören will – und zwar so, wie er will.

Boris Johnson ist im Profil zu sehen und zeigt nach vorn

Boris Johnson kommuniziert wie der FC Bayern Foto: ap

Aus aktuellem Anlass geht es hier heute um Schweinefleisch. Und zwar um Melton Mowbray Pork Pies. Diese Spezialität stammt aus Leicestershire und hat Dank der EU eine geschützte Herkunftsbezeichnung. Die dürfte nun durch den Brexit flöten gehen, aber kein Problem, meinte Britanniens Premier Boris Johnson, was ist schon Europa: Er, Johnson, wolle bei seinem Freund Trump durchsetzen, dass die Pasteten aus Melton Mowbray nicht nur wie bisher bis nach Thailand und Island, sondern endlich auch in die USA exportiert werden dürften.

Mit solch plastischen Beispielen kommt Johnson an: Endlich mal einer, der kein Polit-Kauderwelsch spricht. Kleiner Schönheitsfehler: Melton Mowbray Pork Pies werden gar nicht nach Thailand exportiert. Nicht mal nach Island.

Aber was stören Realität und Fakten, wenn doch die gefühlte Message stimmt? Dass in Großbritannien nun wieder der liberale Guardian und die öffentlich-rechtliche BBC das Pasteten-Geschwafel widerlegten – nur im Rahmen einer einmaligen Publicity-Aktion hatte es eine Handvoll Pies 2015 tatsächlich mal nach Übersee geschafft – ist Wasser auf die Mühlen des populistischen Premiers: Noch belegt er diese Medien zwar nicht mit so schönen Schmähungen wie Trump in den Staaten seine Fake-News-Lieblinge CNN, New York Times oder Washington Post.

Aber wie Johnson mit Kritik umgeht, hat er jüngst beim geplanten Interview mit Channel 4 bewiesen: Weil Channel- 4-Nachrichtenchefin Dorothy Byrne beim Edinburgh Festival gefragt hatte „Was können wir tun, wenn ein Lügner unser Premierminister wird?“ und gegenüber dem TV-Sender Sky nochmal nachlegte und Johnson Trump-Taktiken vorwarf, fand das Interview nicht statt.

Leberwurstiges Beleidigtsein

Byrne hatte übrigens die gleiche Kritik an die Adresse von Labour-Chef Jeremy Corbyn gerichtet. Aber in Sachen politischer Differenzierung und eigenem, leberwurstigem Beleidigtsein tun sich Johnson und Trump – siehe der versuchte Grönland-Kauf – bekanntlich nichts.

Doch viel mehr als der verbissene Labour-Führer versucht Johnson die klassischen medialen Kanäle auszuschalten und wie Trump und der FC Bayern direkt mit seinen „Fans“ zu kommunizieren. Sein erster großer Facebook-Chat „People’s Prime Minister’s Questions“ vor knapp zwei Wochen gibt den Kurs vor. Was stört es, wenn alle Fragen sorgfältig vorab ausgesucht waren und Johnson selbst dann ausweichend antwortete? Genau das hat er ja jetzt auch wieder vor den Medien in Biarritz gemacht.

Warum ihm trotzdem die englische Presse eher einen kleinen Durchbruch beim Brexit zugesteht, während in Deutschland und anderswo von Stillstand die Rede ist, ist fast so mysteriös wie das Rezept für Melton Mowbray Pork Pies.

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2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"

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