Frau Linnert geht

Geräuschlos, ohne Aufhebens und ohne Feierei hat sich Karoline Linnert aus Bremens Politik zurückgezogen, nach zwölf Jahren als Finanzsenatorin und 40 Jahren grünem Engagement – ein Abgang, als ginge es ums Ende einer Mittagspause

Einen unmöglichen Job gepackt, und das länger als alle anderen: Karoline Linnert, grüne Finanz-senatorin, in der Bremer Bürgerschaft, Dezember 2016 Foto: Ingo Wagner/dpa

Von Benno Schirrmeister

Dieser Abschied hat keine Szene. Nicht mal ’ne Sause hat Karoline Linnert veranstaltet. Hat sich einfach zurückgezogen. Hat Dietmar Strehl die Geschäfte übergeben, ihrem Vertrauten und Staatsrat, der auch nur zwei Jahre später als sie in die Partei eingetreten ist, also 1982. Dann war sie weg, so geräuschlos, als hätte sie nie stattgefunden in der Bremer Politik. Dabei ist doch das Gegenteil der Fall: Linnert ist, und vielleicht war das auch das Problem, das ihre Partei zuletzt mit ihr hatte, nach 40 Jahren zu einer historischen Figur geworden, überlebensgroß. Eine, die für sich selbst stand, für Bremen – und nicht mehr für die Partei.

„Dass ich was sage, was meinen Bremer Grünen schadet, wirst du nicht erleben“, enttäuschte sie seit Langem jede vermutete journalistische Sehnsucht nach Abrechnung. Und schickt es auch dem letzten Gespräch im Amtszimmer noch mal voraus. Genauso hat sie sich verwahrt gegen Vereinnahmungsversuche der Linken, sie, die Finanzsenatorin, sehe die Sache mit dem Neuverschuldungsverbot so eng ja gar nicht. „Dass ich das hier zwölf Jahre mache und ansonsten die Schuldenbremse für Blech halte“, sagt sie dazu – „nee, das ist echt absurd.“

So hat sie weiter ihre Termine wahrgenommen, bis zum letzten Tag, als wenn irgendwas von der biografischen Bedeutung einer Mittagspause zu Ende ginge.

Linnert ist bei Bielefeld auf dem Land aufgewachsen. Es gibt lustige Schafgeschichten von ihr, sie liebt ihren Garten, auch ihre Art zu sprechen ist jedenfalls nicht hanseatisch, sondern geradeaus und direkt. Wer will, kann da nach kindlichen Prägungen suchen. Aber das Leben, also Kinderkriegen und Beruf und Liebe, das alles war für Linnert Bremen. Und – die Politik.

Fest entschlossen, Politik zu machen

Als Linnert 1979 nach Bremen zieht, tut sie das einerseits, um in Oldenburg Psychologie zu studieren, vor allem aber mit dem festen Vorsatz, hier Politik zu machen. „Ich hatte ja schon zu Hause kommunalpolitisch gearbeitet“, sagt sie, aber da hieß es dann immer irgendwann: Scho, aber – das Land ist zuständig. Die Idee, dass in einem Stadtstaat die Ebenen ineinander übergehen, fand sie attraktiv. „Und dann Henning Scherf.“ Gott, was es für Missverständnisse gibt! Der galt ja als der leutselige Umarmer. Linnert hat ihn dann sehr bald als Mackertypen kennengelernt, der bei den Verhandlungen zur Ampelkoalition 1991 cholerisch rumbrüllt, als die Sozialpolitikerin des designierten Koalitionspartners Vorschläge macht– das war Linnert. Sie hat ihn als Justizsenator erlebt, der die stellvertretende Vorsitzende des Untersuchungsausschusses – also Linnert – übel anpöbelt, weil sie akribisch nachhakt. Aber da geht es auch um den Tod eines Häftlings und die Frage der politischen Verantwortung.

Am schlimmsten ist aber die Sache mit dem Kanzlerbrief, einer frei erfundenen Zusage Gerhard Schröders, Bremen großzügig finanziell zu unterstützen. Jahrelang lässt Scherf prognostizierte 500 Millionen in die Haushalte schreiben. Eine „Luftbuchung“ nennt das Linnert damals im Parlament, mit der Scherf die BremerInnen „für dumm verkauft“ habe.

Politik, Freundschaft, Gefühle, das zarte Pflänzchen Liebe: Ihr Zusammenspiel ist gefährlich, weil ein Bruch auf sachlicher Ebene immer eine persönliche Dimension hat. Matthias Güldner zum Beispiel, der Fraktionsvorsitzender wurde, als Linnert 2007 in den Senat ging: Die beiden hatten auch privat zusammen rumgehangen, Skat gekloppt, im Kopf sind irgendwo Bilder von einer glücklichen Geburtstagsparty, Ende August 2007.

Als 2015 das Wahlergebnis mies ist, will Güldner ihren Rückzug erzwingen – vergeblich. Dann zettelt er 2018 einen Aufstand der Basis an, als die Parteiführung Linnert zum fünften Mal in Folge als Spitzenkandidatin nominiert: „Karoline Linnert leistet sich den Luxus, auf ein Eingreifen in Wort und Tat bei grünen Herz- und Identitätsthemen zu verzichten“, polemisiert er damals.

Vorwurf: un-grün

Weder die Landesbank-Pleite noch der Investitionsstau oder die Kostenexplosion beim Krankenhausneubau, also gerade kein Sachthema – stattdessen der Vorwurf, un-grün zu sein: Das ist voll getroffen, von jemandem, der sein Ziel genau kennt. Irgendwann im vergangenen Jahr gab es ein Gespräch zwischen Linnert und Alexandra Werwath, der aktuellen Landesvorstandssprecherin der Grünen. Es ging darum, dass manche „so eine Art Entfremdung zwischen ihr und der Partei empfinden“, erzählt Werwath. Und Linnert habe sie angeschaut und gesagt: „Die Grünen, das ist die politische Liebe meines Lebens.“ Auch eine Erklärung, warum es 1979 Bremen sein musste. Dort war die Grüne Liste gerade in die Bürgerschaft eingezogen, die erste Landtagsfraktion überhaupt, noch vor der Partei​gründung.

Linnert verortet sich damals eher bei den Grün-Alternativen, also denen ohne völkische Ränder. Ihr ist klar, dass ökologische Politik auch eine Frage der Gerechtigkeit ist. „Sie hat damals mit mir zusammen die AG Soziales gegründet“, sagt der ehemalige Staatsrat Horst Frehe, der zusammen mit dem Publizisten Franz Christoph Ende der 1970er Schlüsselfigur der Krüppelbewegung ist, die sich heute „Selbstbestimmt Leben“ nennt.

Frehe war immer ein wichtiger Verbündeter von Linnert. „Sie hat die bremische Politik wesentlich geprägt“, sagt er, das sei ihm wichtig, „und unsere Partei.“ Und dass er es schade finde, dass es jetzt so zu Ende gegangen sei. „Sie hat sich verzockt“: Linnert hatte für unmöglich erklärt, als Bürgermeisterin auf einem anderen als Listenplatz eins anzutreten; den Knochenjob der Finanzsenatorin „kann ich doch nur, wenn ich die Partei hinter mir habe“.

Als Senatorin hat Linnert in den Fraktionssitzungen robust auf Kritik am Senat reagiert. Viele Abgeordnete fühlten sich eingeschüchtert. Gab man ihr Kontra, deutete sie das als Manie, die eigene Regierung zu schwächen; als grünen Hang zur Selbstzerfleischung; den Wunsch, Opposition spielen zu wollen – für den sie gar kein Verständnis hatte. „Immer die Konflikte runterkochen, sie bloß nicht auszutragen – ich fand das fatal“, sagt Frehe. Und daran sei Karo „nicht ganz unschuldig“ gewesen. Freundlich gesagt. Dass die Grünen in ihrer einstigen Hochburg bei der Wahl mit 17 Prozent so deutlich unter dem Bundesschnitt geblieben sind: für Frehe eine Quittung.

Zwölf Jahre war Linnert jetzt Finanzsenatorin: Kein Grüner vor ihr hatte je so lange einen Ministerrang inne; insgesamt gibt es nur eine Handvoll Finanzressort-Chefs, die eine ähnliche Dienstzeit durchgestanden haben. Das Einzige, was Linnert sich in den Schlusswochen gegönnt hat, war trotzdem bloß, ein paar Leute einzuladen und sich von einem Kunsthistoriker die Detailfreude des Größenwahns vom Haus des Reichs erklären zu lassen, also der Bremer Finanzbehörde, die ihr Dienstsitz war: Ein Verwaltungspalast sui generis, 1928 bis 1931 im Auftrag der Brüder Carl, Heinz und Friedrich Lahusen für ihr Unternehmen errichtet, eine der damals weltgrößten Wollkämmereien, die Nordwolle, die bei Einweihung – pleite war. Das neue Gebäude übernahm der Staat.

Jetzt ist der Staat pleite. Zwölf Jahre hat Linnert in dem holzgetäftelten Direktorenbüro gesessen. Hat versucht, sich das 50-Quadratmeter-Zimmer, in dem selbst der Papierkorb unter Denkmalschutz steht, wohnlich zu machen: an der Wand abstrakt-expressionistische Gemälde, die ihr vor vier Jahren gestorbener Lebenspartner in kräftigen Acrylfarben gemalt hat. Auf dem Tisch eine Vase mit Blumen aus der eigenen Parzelle. Sie hat von dort aus diesen ewigen bremischen Staatsbankrott so weit gemanagt, dass die Schulden aktuell nicht weiter steigen. Hat ausgetestet, wie man sich im Korsett von Zinslasten und Sanierungsvereinbarungen so bewegen kann, dass eine Richtung feststellbar wird. Ein unmöglicher Job. Aber sie hat es gepackt.