Regierungsbildung in Italien: Wie aus Feinden Partner werden

In Italien bilden die Fünf Sterne und die sozialdemokratische PD eine neue Regierung. Es gibt mehr Schnittmengen als zunächst gedacht.

Luigi Di Maios Augen in Großaufnahme, er guckt in die Ferne

Er hat ein starkes Onlinevotum seiner AnhängerInnen im Rücken: der Chef der Fünf Sterne Di Maio Foto: ap

ROM taz | Italiens alter Ministerpräsident ist auch der neue. Nachdem die Basis der Fünf Sterne am Dienstag in einem Onlinevotum die Koalition mit der Partito Democratico (PD) absegnete, steht fest, dass Ministerpräsident Giuseppe Conte seinen Job behält.

Am Mittwoch wurden noch die letzten Details zum Regierungsprogramm und zur Kabinettsliste ausgehandelt. Doch da gab es schon keinen Zweifel mehr, dass das Movimento 5 Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) und die PD das Experiment wagen wollen, eine Koalition der bisher tief verfeindeten Kräfte zu bilden.

Das Onlinevotum – stimmberechtigt waren etwa 117.000 Aktivisten, die seit mindestens sechs Monaten auf der M5S-Internetplattform „Rousseau“ registriert sind – hätte nicht eindeutiger ausfallen können. Knapp 80.000 Stimmen wurden abgegeben, eine bisher bei M5S-Onlinevoten nie da gewesene Rekordbeteiligung. Mit 79 Prozent sprach sich eine klare Mehrheit für die Koalition mit der PD unter Führung Giuseppe Contes aus. Damit haben sowohl die M5S-Spitze unter dem bisherigen Arbeits- und Wirtschaftsminister Luigi Di Maio als auch der parteilose Conte ein klares Mandat. Di Maio wird neuer Außenminister. Da auch die PD fast völlig geschlossen hinter der Koalition steht, kann diese die Arbeit aufnehmen.

Dieses Resultat ist nicht selbstverständlich. Schließlich hatte der Chef der rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega und bisherige Innenminister Matteo Salvini am 8. August die Regierungskrise ausgelöst, weil er davon ausging, dass eine alternative Koalition aus M5S und PD undenkbar sei. Galt doch die PD den Fünf Sternen als Inbegriff der „politischen Kaste“ und war doch das M5S für die PD die Ausgeburt eines womöglich gar die Demokratie gefährdenden Populismus.

Die „Regierung der Lustlosen“

Auch die Koalitionsverhandlungen der vergangenen Tage wurden erneut zum Beleg des tiefen Misstrauens zwischen den künftigen Partnern. Der PD-Vorsitzende Nicola Zingaretti wollte unbedingt Conte als neuen-alten Premier verhindern, um ein Zeichen der „Diskontinuität“ zu setzen. Daraufhin standen die Gespräche kurz vor dem Abbruch. Erst in letzter Minute gab Zingaretti nach. Darauf folgte ein weiteres tagelanges Tauziehen, da die PD nun verhindern wollte, dass M5S-Chef Di Maio im neuen Kabinett nicht nur ein Ministerium, sondern wie bisher auch den Posten des Vizepremiers erhält.

Hier konnte sich die PD durchsetzen, doch derweil hatten M5S und PD nicht das Bild eines neuen Aufbruchs geschaffen, sondern vor allem schlechte Laune verbreitet. Über eine kommende „Regierung der Lustlosen“ spottete denn auch der Journalist Antonio Padellaro.

Di Maios Lustlosigkeit zeigte sich noch während des M5S-Referendums am Dienstag: Der Chef der Bewegung brachte es nicht über sich, die Anhänger öffentlich zu einem Ja aufzufordern. Das tat dann der Gründungs- und Übervater der Fünf Sterne, der Komiker Beppe Grillo. In einem Blog-Post beklagte er den „Mangel an Euphorie“, schließlich biete sich jetzt eine „einmalige Gelegenheit“ in diesem „außerordentlichen Moment“. Ähnlich emphatisch machte sich auch Premier Conte für die Verlängerung seines eigenen Arbeitsvertrags stark. Es sei jetzt „Zeit, die Träume aus der Schublade zu holen“, rief er der Fünf-Sterne-Basis zu.

Zumindest die ersten Linien des Koalitionsprogramms, die bekannt wurden, laden zum Träumen ein. Die EU-Stabilitätsziele sollen eingehalten, zugleich aber auch ein expansiver Haushalt verabschiedet werden. Die neue Regierung will eine deutliche Steuersenkung für untere und mittlere Einkommensgruppen auf den Weg bringen. Sie will einen gesetzlichen Mindestlohn einführen, in die Green Economy sowie in Schulen und Unis investieren. Sie will die Justiz reformieren und für Bürokratieabbau in den öffentlichen Verwaltungen sorgen.

Bisher sind dies vor allem Spiegelstriche, zu deren Umsetzung detaillierte Pläne noch nicht vorliegen. Doch schon die Fixierung der politischen Ziele zeigte, dass die inhaltlichen Schnittmengen größer sind als ursprünglich angenommen.

Matteo Salvini giftet

Derweil muss Matteo Salvini von der Lega, der sich schon als künftiger Regierungschef sah, noch die Rolle des Oppositionsführers üben. Bisher giftet er vor allem, in der Regierung hätten „Verlierer“ zusammengefunden, die im Auftrag Merkels und Macrons die Interessen Italiens verraten wollten und allein an der Aufteilung von Posten interessiert seien. Bei diesem „Kuhhandel“ mache die Lega nicht mit, behauptet Salvini, nachdem er erst vor einer Woche Di Maio das Amt des Premiers angeboten hatte, wenn das M5S wieder an die Seite der Lega zurückkehre.

Salvini dürfte besonders schmerzen, dass nicht nur die von ihm angestrebten Neuwahlen vorerst ausbleiben, sondern dass die Lega in allen Umfragen im Abschwung ist. Während das M5S, das bei den EU-Wahlen im Mai nur 17 Prozent geholt hatte, wieder bei 22–24 Prozent liegt, während die PD nach 22 Prozent bei den EU-Wahlen jetzt 23 Prozent erreicht, rutscht die Lega von ihren damaligen 34 auf 30 Prozent ab. Seine Behauptung, da bilde sich eine Koalition gegen den Willen der Mehrheit der italienischen Wähler, wird damit zunehmend brüchig.

Diese Koalition hat, so sie will, noch dreieinhalb Jahre in der laufenden Legislaturperiode vor sich. Das wäre genug Zeit, um jene „Wende“ im Land auf den Weg zu bringen, die PD-Chef Zingaretti jetzt verspricht.

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