Beirut – Meeting the Saints

Claudia Basrawi wurde in Beirut geboren. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Während und nach einem Rechercheaufenthalt in Beirut in der Artist Residency marra.tein entstanden Texte und Zeichnungen – das Projekt wurde vom Senat für Kultur und Europa gefördert. Ein Buch und eine Lecture Performance sind in Planung. www.claudiabasrawi.wordpress.com

Nicht alle schwarze Katzen sind Dschinnen – Ich weiß. Ich weiß.

Von Claudia Basrawi

Als wir Yahia treffen, hat er sich bereits eine Wasserpfeife bestellt. Ob uns der Tisch gefällt? Cristina würde lieber in einem Fauteuil sitzen. Yahia hat sich so platziert, dass er das gesamte Res­taurant überblicken kann, während Cristina und ich nur ihn sehen können. Kalkül? Er hat zwei Gesichter jetzt. Das eine freundliche und verschmitzte Gesicht, das er uns zeigt, dann das strenge, das er den Kellern zeigt. Wir lassen uns Zeit mit der Bestellung, man berät sich, schaut in die Karte, bemüht den Kellner, der übrigens auch Reis mit Brot anzubieten hat. „Reis mit Brot!?“Yahia lässt sich dieses Konzept durch den Kopf gehen, wie jemand, der offen für Ungewöhnliches ist.

Beim Essen merke ich nicht, dass Yahia etwas zu sich nimmt. Er spricht und zieht an seiner Wasserpfeife, und trotzdem bewegt sich etwas auf seinem Teller. Das Hauptgericht ist armenisches Manti – gefüllte Teigtaschen mit Lammfleisch, die vor unseren Augen mit Tomatensauce übergossen werden. Yahia erzählt, dass er nicht gerne mit Arbeitskollegen essen geht. Selbst wenn man versucht, es zu vermeiden, spricht man am Ende doch nur über die Arbeit. Hinzu kommt, dass sein Job mit Informationen zu tun hat, die „strictly confidential“ sind. So kann man schließlich gar nichts mehr sagen. Seine Aufgabe, bestehe darin, Mitarbeiter auszuwählen. Wie schafft man es, die wirklichen Qualitäten eines Menschen zu erkennen? Das sei eben die große Herausforderung. Yahia ist absolut ausgeschlafen und frisch, er scheint völlig in seinem Element zu sein. Er fragt uns, welches Unternehmen wir aufbauen würden, hätten wir Zeit und das entsprechende Kapital. Wir sind auf diese Frage überhaupt nicht vorbereitet. Yahia geht es vor allem um E-Commerce.

„Internet-Verkäufe?“ Frage ich. „Aber da müsste man doch sehr viel am Computer sitzen.“ Yahia lächelt und winkt ab. „Nein!“ Das würde er auch nicht gerne tun. So etwas gibt man in Auftrag, und das sei auch kein Problem, er hätte schon in der ersten [1]/2 h etliche Angebote erhalten, von Leuten, die so etwas für einen erledigen. Ich bin etwas überfordert. Yahia sagt, dass alle Geschäfte im Libanon beim Essen ausgehandelt würden. Es gäbe andauernd Lunch- oder Dinner-Meetings, daher hätte er schon 6 Kilo zugenommen. In jedem Fall sei aber bei solchen Gesprächen Vorsicht geboten. Er hätte mal zu konservativen Kunden gesagt, dass, wenn etwas im Haus kaputtginge, irgendeine Kleinigkeit, man doch nicht jedes Mal die Gebrauchsanweisung zu Rate ziehe, sondern es erst mal so versuchen würde. Dementsprechend braucht man auch nicht immer sofort zum Imam zu rennen, wenn es um die Frage ginge, wie man sich in einer bestimmten Situation zu verhalten hätte. Da könne man doch erst mal seinem gesunden Menschenverstand vertrauen. Ich stimme ihm da voll zu.

Yahia erzählt, dass er bei seinen Gesprächspartnern mit dieser Frage auf völliges Unverständnis gestoßen sei. Von daher müsse er aufpassen auf das, was er sagt. Ich ermuntere ihn, einen Text oder sogar ein Buch mit Fragen zu schreiben. „Gute Fragen sind etwas ganz Wunderbares, man lässt sein Publikum an seinen Gedanken teilhaben und nach Antworten suchen.“

Dann ist da auf einmal diese Stille, in der man seufzen möchte und sagen: „Ja so ist das Leben, man lernt nie aus.“

Yahia wirkt so, als könne er noch ewig mit uns weiter so am Tisch sitzen. Aus seiner Sicht scheint alles bestens – bis auf die Fliegen. „Kellner! Was sollen die Fliegen? Beim letzten Mal waren keine Fliegen da!“ Der Kellner eilt und versucht Abhilfe mit einer brennenden Kerze zu schaffen. Eine kleine Beschwerde hier und da scheint notwendig zu sein, damit man ernst genommen wird. Die Fliegen bleiben davon jedoch völlig ungerührt und unbeeindruckt.