Erster Prozess: Cum-Ex-Trickser vor dem Kadi

Vor dem Landgericht Bonn beginnt die Verhandlung gegen zwei Aktienhändler. Sie sollen über 440 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben.

Skyline von Frankfurt/Main

Schauplatz der Cum-Ex-Geschäfte: Frankfurt am Main Foto: dpa

BERLIN taz | War die milliardenschwere Ausplünderung des Staates durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte strafbar oder nicht? Das entscheidet nun zum ersten Mal ein deutsches Gericht. An diesem Mittwoch beginnt der Pilotprozess vor dem Landgericht Bonn. Angeklagt sind die Briten Martin Sh., 41, und Nick D., 38. Von 2006 bis 2011 sollen die beiden in 33 Fällen Steuern hinterzogen haben, mit einem Gesamtschaden für den Fiskus von knapp über 440 Millionen Euro. Hinzu kommt ein Versuch. Wegen der hohen Summen spricht die Anklage von schwerer Steuerhinterziehung. Den Angeklagten drohen Freiheitsstrafen bis zu 10 Jahren.

Martin Sh. und Nick D. arbeiteten ab 2006 zunächst gemeinsam bei der Hypo-Vereinsbank (HVB). 2008 machte sich Martin Sh. mit Partnern selbstständig und gründete die Anlagen-Management-Gruppe Ballance, mit Sitz auf Gibraltar und Konten in der Karibik. 2009 stieß auch Nick D. zu Ballance.

Ihre Masche waren sogenannte Cum-Ex-Geschäfte. Das heißt, sie ließen sich beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende eine nur einmal gezahlte Steuer zweimal erstatten. Beteiligt war an solchen Taten ein ganzes Netzwerk aus Anwälten, Banken, Beratern und Investoren. Dabei wurden die Modelle im Lauf der Zeit immer komplizierter, um die Zahlungsflüsse zu verschleiern. Viele Beteiligte behaupteten trotzdem, alles sei legal, man habe nur Gesetzes­lücken ausgenutzt.

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist der Fall aber klar: Wer sich eine Steuerzahlung doppelt erstatten lässt, handelt illegal. Schwierig ist nur, jedem Einzelnen in den hoch arbeitsteiligen Abläufen nachzuweisen, dass er die kriminelle Zielsetzung kannte. Die Anklage von Staatsanwältin Anne Brorhilker umfasst immerhin 651 Seiten.

Angeklagte zeigen sich kooperativ

Im konkreten Fall hat die Staatsanwaltschaft allerdings den Vorteil, dass sich die beiden Angeklagten kooperativ zeigen und im Rahmen der Ermittlungen ausführlich ausgesagt haben. Das Landgericht hat dennoch sicherheitshalber schon 32 Verhandlungstage bis Januar angesetzt. Je nachdem wie umfassend die Angeklagten auch in der Hauptverhandlung Geständnisse machen, kann der Prozess kürzer oder länger dauern. Falls erforderlich, kann das Gericht auch noch aussagebereite Kronzeugen aus anderen Verfahren laden.

Als Nebenbeteiligte sind an dem Verfahren auch fünf Kreditinstitute geladen, die an den Machenschaften von Martin Sh. und Nick D. beteiligt waren, zum Beispiel als Depotbank. Ihnen droht am Ende eine Vermögensabschöpfung in Höhe von insgesamt 389 Millionen Euro. Davon betreffen nach einer Aufstellung des Handelsblatts 166,6 Millionen Euro die Hamburger Banken-Gruppe M. M. Warburg und 107 Millionen Euro die Tochtergesellschaft Warburg Invest.

Falls das Gericht am Ende so entscheidet, würde es von einem neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch (§ 73b) Gebrauch machen, der erst 2017 eingefügt wurde. Dieser erlaubt die „Einziehung von Taterträgen bei anderen“, also bei Personen und Unternehmen, die nicht angeklagt sind, aber zum Beispiel hätten „erkennen müssen, dass das Erlangte aus einer rechtswidrigen Tat herrührt“.

Martin Sh und Nick D. sind auch in einem zweiten Verfahren beteiligt. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main hat die beiden und vier weitere Personen schon im Mai 2018 wegen schwerer Steuerhinterziehung angeklagt. Das war die erste Anklage wegen Cum-Ex-Geschäften in Deutschland. In jenem Verfahren geht es ausschließlich um Fälle, die von 2006 bis 2008 bei der Hypo-Vereinsbank begangen worden sein sollen. Dabei soll ein Schaden von 106 Millionen Euro entstanden sein.

Verfahren gegen „Mister Cum-Ex“

Doch das Landgericht Wiesbaden prüft seit über einem Jahr, ob die Anklage zugelassen wird. Angeschuldigt ist im hessischen Verfahren auch Hanno Berger, der als deutscher „Mister Cum-Ex“ gilt. Der ehemalige Spitzen-Finanzbeamte hatte die Seiten gewechselt und tüftelte anschließend als Rechtsanwalt in Frankfurt immer komplexere Cum-Ex-Operationen aus. Er hält bis heute alles für rechtmäßig, hat sich aber nach Beginn der Ermittlungen in die Schweiz abgesetzt.

Insgesamt wird der Steuerschaden durch Cum-Ex-Operationen in Deutschland auf rund 12 Milliarden Euro geschätzt, europaweit auf 55 Milliarden Euro. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt noch in 50 weiteren Cum-Ex-Verfahren mit rund 200 Beschuldigten. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/M. verfolgt zehn Ermittlungskomplexe mit 55 Beschuldigten.

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