Kredite und Zinsen: Zocken Banken ihre Kunden ab?

Der Hof von Johann Gothenn läuft mehr oder weniger gut. Schlechte Ernten gleicht er mit Krediten aus. Bis die Zinsen ihn zwingen, zu verkaufen.

Symbol der Sparkasse, davor ein Passant

Noch vertrauen viele Kund*innen der Sparkasse. Aber das kann sich ändern Foto: dpa

HANNOVER taz | Johann Gothenn traute seinen Ohren nicht. 380.000, sagte der Gutachter, 380.000 Euro habe der Landwirt aus der niedersächsischen Gemeinde Thedinghausen-Dibbersen seiner Bank, der Kreissparkasse Verden, zu viel an Zinsen gezahlt. Zinsen für Kredite, die die Bank dem Mann gewährte und die seinen Hof und damit das Leben seiner Familie jahrzehntelang sicherten: Geld für Futter, neue Tiere, Gebäudereparaturen, neues Land. Und Zinsen, wenn er mal wieder sein Geschäftskonto überziehen musste, weil der Hof nicht genug abwarf.

Gothenn besaß mal viele Hektar Land und 120 Rinder. Auf den Äckern wuchs das Futter für die Tiere, die Kühe lieferten Milch. Heute ist Gothenn 62 und ein gebrochener Mann. „Ich kann bald nicht mehr“, sagt er zur taz: „Ich geh kaputt.“ Schuld daran sei die Kreissparkasse Verden. Die habe ihn „abgezockt“. Der Gutachter, ein Kreditsachverständiger, den Gothenn 2009 mit der Prüfung seiner Überziehungszinsen und seiner Kredite beauftragte, sprach dabei von 380.000 Euro. Ein später eingeschalteter Anwalt rechnete noch einmal nach und kam auf 230.000 Euro. Welche Summe auch immer gilt, ungefähr Zinsen in diesen Höhen jedenfalls soll Gothenn zu viel an die Kreissparkasse Verden bezahlt haben.

Stimmt das? Oder hat Bauer Gothenn nur schlecht gewirtschaftet?

Das Oberlandesgericht Celle gibt Gothenn in einem Prozess gegen die Sparkasse 2016 Recht. Es bezieht sich in seinem Urteil auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 2009. Danach müssen Banken den herrschenden Zinsabstand zwischen dem Zentralbankzins und dem Zins, der Kund*innen gewährt wurde, während der gesamten Laufzeit einhalten und regelmäßig anpassen.

Hin und wieder brauchte der Bauer „frisches Geld“

Vereinfacht gesagt: Wird der Leitzins gesenkt, müssen auch die Zinsen für Bankkund*innen mit variablen Krediten gesenkt werden. Das trifft vor allem auf Leute wie den Unternehmer Gothenn zu. Er ist wegen der Ertragsschwankungen seines Hofs auf variable Kredite angewiesen. Private Hauskäufer*innen hingegen vereinbaren in der Regel feste Kredite, die sich während der vereinbarten Laufzeit nicht verändern.

Gothenns Hof lief weitgehend gut, er hatte ihn 1991 von seinem Vater übernommen, der ihn vorher jahrzehntelang betrieben hatte. Trotzdem brauchte der Bauer hin und wieder „frisches Geld“. Landwirtschaft folgt keinem Fünfjahresplan, sie ist abhängig von der Natur. Wenn es zu wenig regnet und die Ernte mager ausfällt, kann ein Bauernkonto kurzzeitig in die roten Zahlen rutschen. Bei Gotthenn war das so. Mal war er 70.000 Euro im Minus, dann wieder 10.000 Euro, ein weiteres Mal 40.000 Euro. So steht es in dem Urteil des Oberlandesgerichts Celle. 2013 drückte die Schuld so stark, dass eine Zwangsversteigerung drohte. Gothenn verkaufte sein Land und die meisten Tiere. Geblieben sind ihm sieben Rinder. Die Felder, die er heute bewirtschaftet, hat er gepachtet.

„Seit über zehn Jahren kämpfe ich um mein Geld und mein Recht. Das ist hammerhart, was da abgeht“, sagt Gothenn. Damit meint er nicht nur die Kreissparkasse Verden, damit meint er auch das Gericht in Celle. Das gab dem Bauern im September 2016 zwar Recht, die Kreissparkasse hatte in der Tat zu hohe Zinsen berechnet. Gothenn rechnete daher mit einer sechsstelligen Summe, die er zurückbekommen sollte. Zurückzahlen musste die Kreissparkasse aber nur 28.330,77 Euro plus Zinsen. Der Mann war irritiert: Wieso? Er hat doch schließlich viel mehr verloren. Hier greift die Verjährungsfrist: Geltend machen konnte Gothenn nur die drei zurückliegenden Jahre.

Gothenn ist nicht der Einzige, den Kredite und Zinsen an den Rand des Ruins gebracht haben. Ähnlich erging es einer ARD-Dokumentation zufolge auch dem Glasmöbelhersteller Fine-Line in Hannover. Dem mittelständigen Unternehmen soll die Volksbank über Jahre hinweg zu hohe Zinsen berechnet haben. Auch die Brüder Reinhard und Thomas Kühl sind betroffen, sie betreiben in der Nähe von Flensburg eine Autowerkstatt. „Das ist ein großes Thema“, sagt ein Rechtsanwalt aus Hannover, der seinen Namen aus taktischen Gründen nicht genannt wissen will. Er hat mit Prozessen wie dem von Bauer Gothenn zu tun. Auf dem Online-Portal sparkassenopfer.info tauschen sich Betroffene aus, geben sich Tipps, veröffentlichen Zahlen und Erfahrungen.

Die Sparkasse Verden möchte sich zur Causa Gothenn nicht äußern. Sie verweist auf allgemeine Klauseln, nach denen sich Unternehmen für Kredite mit festen Konditionen oder für variable Kredite mit Zinsanpassungen entscheiden könnten. Bei der Zinsanpassung spielten laut Beate Patolla, Kommunikationschefin der Verdener Bank, auch individuelle Parameter eine Rolle, darunter die Bonität der Kund*innen.

Patolla sagt: „Grundsätzlich gilt: Befindet sich ein Unternehmen in der Krise, erhöht sich das Kreditrisiko.“ Die Bankenaufsicht fordere von den Kreditinstituten, am Risiko orientierte Sollzinsen zu vereinbaren. Ob die Kreissparkasse Verden das im Fall Gothenn getan hat, sagt Patolla nicht.

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