Nach den Landtagswahlen: Nicht im grünen Bereich

Görlitzer Bürger, die Parteispitzen in Berlin, eine Grüne in Bautzen: Nach den Landtagswahlen versuchen sich alle in Erklärungen.

Wiese mit Parteiwerbung in Sachsen

Die sächsische AfD zieht blank? Wahlwerbung nahe des VW-Werks Zwickau Foto: Karsten Thielker

Nachts um halb zwölf an der Schwelle zwischen Sonntag und Montag versuchen junge CDU-Männer zu erklären, warum ihre Onkel, Väter oder Großväter AfD wählen. Sie haben das eine oder andere Bier im italienischen Restaurant Da Vinci schon getrunken, es ist bereits klar, dass die CDU mit 32,1 Prozent stärkste Partei geworden ist. Michael Kretschmer hat hier in Görlitz, an der Grenze zu Polen, sein Direktmandat verteidigt. Also alles gut für die Christdemokraten, oder?

Nun, es beschäftigt sie doch. Die CDU hat zwei von vier Direktmandaten in der Stadt an die AfD verloren, sie ist auch die Partei mit den meisten Zweitstimmen. Und das in der Stadt, aus der der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer kommt und in der er angetreten ist. Eine Schicksalswahl sei das, das sagten viele bei der CDU und der AfD. Also Erklärungsversuche.

Schauen Sie auf die Lausitz, sagen sie. Da sind die blauen Gebiete. Wegen des bevorstehenden Kohleausstiegs. Wir haben Bergmänner in der Familie, die kennen nichts anderes, die ändern sich nicht mehr. Schauen Sie nach Weißwasser. Das war mal die größte Glashütte der DDR. Heute wachsen dort aus den Ruinen die Bäume.

Mein Opa glaubt tatsächlich daran, dass Angela Merkel von Berlin aus das Angebot im Lidl-Markt bestimmen kann. Und wenn ihm das nicht gefällt, dann macht er die da oben verantwortlich.

Die Mütter und Väter sitzen hier und ihre Kinder sind in Stuttgart. Die kommen nicht zurück und die Eltern sind einsam. Und ihre Häuser, die sie sich hier über Jahre aufgebaut haben, sind wertlos, weil sie niemand haben will.

Görlitz: Das Prinzip Schrotgewehr

Die AfD geht da ganz präzise rein, sagt einer.

Die AfD? Präzise? Auf ihrem Wahlkampfabschluss in Sachsen ließen die AfD-Redner die gewohnten Schlagworte fallen: Seenotretter sind Kriminelle, Geflüchtete eine Flut, Witze über Angela Merkel bringen nicht mehr so viele Lacher, deshalb waren Ursula von der Leyen und Annalena Baerbock dran. Sonst noch? Windräder, Sicherheitsgefühl, Abbau der Russland-Sanktionen.

Das ist doch eher das Prinzip Schrotgewehr, mit einem Schuss so viel treffen wie möglich.

Na ja, sagt einer, unsere alten Leute haben ein Leben in einer homogenen Umgebung geführt. Und das wollen sie so weiterführen. Wer hätte das Recht, ihnen das zu nehmen?

„Jeder hier kennt drei, vier Leute, die eigentlich Grüne wählen wollten, aber dann doch SPD als Anti-AfD gewählt haben“, sagt einer

Und dann sagen sie: Jetzt müssen wir es wohl mit den Grünen machen. Geht ja nicht anders. Und mit der Franziska Schubert zum Beispiel, mit der könne man ja auch reden.

Franziska Schubert sitzt zwölf Stunden später im Café Kränzl, einem in einer Reihe von Orten in der Altstadt, die auch in Dresden oder Berlin als alternativ durchgehen würden. Der Besitzer hat in Neapel gelebt, ist dann in seine Heimatstadt Görlitz zurückgekehrt, und Schubert sagt, der Kaffee sei der beste der Stadt. Franziska Schubert ist deutschlandweit bekannt geworden, weil sie 27,9 Prozent der Stimmen im ersten Durchgang der Oberbürgermeisterwahl gewonnen hat. Für eine Grüne im konservativen Sachsen war das bemerkenswert. Danach unterstützte sie den Kandidaten der CDU, damit der den Mann von der AfD sicher schlagen konnte.

„Klar kann man mit den Grünen und mir reden“, sagt sie, „wir wollen Brücken bauen.“ Sie sagt auch, die CDU müsse sich ändern, wenn sie die Grünen in der Regierung haben wolle. Die Frage ist, welche Wahl die Grünen haben, eine Koalition mit der AfD nicht zu verhindern, können sie sich wahrscheinlich eher nicht leisten.

Die Situation ist schlimm, aber nicht schlimmer

Ist sie geschockt vom Wahlergebnis? Nein. „So am Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen zu wählen, geht natürlich gar nicht“, sagt sie. „Aber die AfD hatte weit höhere Erwartungen.“ Und sie glaubt, dass die AfD ihre Grenzen gespürt habe. „Diese Wahl war so aufgeladen, dass die AfD mit ziemlicher Sicherheit alle Wähler- und Wählerinnen mobilisiert hat, die sich mobilisieren lassen.“ Sie verweist auf Bautzen, wo AfD-Landeschef Jörg Urban gegen einen alten CDU-Mann verloren hat, der noch die sächsische Verfassung mit ausgearbeitet hat. Ausgerechnet in Bautzen, wo es eine starke rechtsradikale Szene gibt und Konflikte mit ihr in den vergangenen Jahren immer wieder den städtischen Diskurs bestimmten, dort steht der Husarenhof, jenes ehemalige Hotel, das eigentlich Unterkunft für Flüchtlinge werden sollte und auf das dann ein Brandanschlag verübt wurde. Ihr Fazit: Die Situation sei schlimm, aber wenigstens nicht schlimmer geworden.

„Es hilft nur, miteinander zu sprechen“, bekräftigte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Wahlabend in Dresden seine relativ erfolgreiche Wahlstrategie. Mit deutlich sichtbaren Augenringen, aber doch sichtlich entspannt, genoss er das Ausbleiben der schlimmsten Befürchtungen. Später am Abend kam er dann sogar noch einmal zur Wahlparty der Union ins Landtagsrestaurant „Chiaveri“ zurück, um sich bei den nicht minder hart belasteten Helfern zu bedanken. Michael Kretschmer zeigte sich optimistisch und sagte, dass dieser „Weg des Miteinanders“ nur noch mehr Zeit brauche, um alle Bürger wieder mehr zusammenzuführen.

Doch wirkt das Land Sachsen nach dem Wahlergebnis gespaltener denn je. Die Wählerwanderungen zeigen einerseits eine verstärkte Polarisierung zwischen CDU und AfD, die beide von den kleineren Parteien Leihstimmen erhalten haben. Doch Spontanumfragen und die am Montagvormittag bei MDR aktuell laufende Hörerumfrage zeigen, dass dieser Zweikampf von einem ganz anderen Lagerdenken überlagert wird. Erhebliche Teile der Wählerschaft haben offenbar keine Ahnung vom Charakter ihrer favorisierten Partei, halten die AfD ganz normal für koalitionsfähig. „60 Prozent der Sachsen haben konservativ gewählt – das muss sich in einer Regierung abbilden“, verlangt gar ein älterer Anrufer eine Koalition von CDU und AfD. „Die SPD ist auf 7,7 Prozent gestürzt, das ist doch kein Regierungsauftrag!“, fügt ein anderer hinzu.

Dresden: Endlos fließende Tränen

Der angeborene Konservatismus der Sachsen kommt durch, aber auch das alte DDR-Einheitsdenken der „Nationalen Front“. So nach dem Motto: Schwarz und blau gehören doch als Bürgerlich-Konservative zusammen! Am Montag bestritt CDU-Generalsekretär Alexander Dierks daraufhin nochmals, dass es sich bei der AfD um eine bürgerliche Partei handele. Im Übrigen habe mehr als die Hälfte der sächsischen CDU-Mitglieder ebenso wie der Ministerpräsident ein Zusammengehen mit der AfD abgelehnt.

Bei SPD und Linken ist am Wahlabend der Rechtstrend in Sachsen das beherrschende Thema. Bei der SPD-Wahlparty im neu errichteten Herbert-Wehner-Haus gegenüber vom Landtag raunt eine Fraktionsmitarbeiterin: „Rot-Rot-Grün hat zusammen knapp weniger Stimmen als die AfD mit ihren 27,5 Prozent!“ Addiert man die irrelevanten 4,5 Prozent der FDP und die 3,4 Prozent der auch als Auffangbecken für halbrechte Parteienausreißer fungierenden Freien Wähler zu CDU und AfD hinzu, so haben nahezu drei Viertel der sächsischen Wähler zumindest nicht progressiv gewählt.

Im Fraktionssaal der Linken im Landtag sorgte diese Einsicht für endlos fließende Tränen vor allem bei den jungen Kandidatinnen. Zumindest äußerlich nicht zu erschüttern war auch an diesem Abend Fraktionschef Rico Gebhardt. Er behält sein Lächeln, ist immer noch zu Scherzen aufgelegt, bis ihm der nachdenklich stimmende Satz entfährt, dass man in Sachsen wieder zur drückenden konservativen Dominanz wie zu Beginn der 1990er Jahre zurückgekehrt sei. Damals holte allein die Biedenkopf-CDU absolute Mehrheiten um die 56 Prozent.

Potsdam: entspannt auf der Dachterrasse

Rund um Rico Gebhardt herrschte am Sonntagabend aber auch unverdrossen Partystimmung. Unter freiem Himmel in der Dresdner Messe tanzten die U-30er nach Ibizia-Diskomusik. Rot beschlipste Spaßvögel von der „Partei“ kündigten an, die Linke nunmehr übernehmen zu wollen. Ein Indiz für einen anderen Umgang der jüngsten Generation mit Politik, sogar mit einem ungeliebten Wahlergebnis.

Auch die beiden großen Kirchen meldeten sich am Montag zu Wort. Vor der Wahl hatten sie mit einer diplomatischen „Handreichung“ zu einer Entscheidung im Geiste von Frieden, Freiheit und Menschenwürde ermuntert. Politisch strikt neutral und doch unmissverständlich appellieren sie nun an die Gewählten: „Alle Anstrengungen mögen einem wachsenden gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen“, schreiben die Bischöfe Carsten Rentzing und Heinrich Timmerevers.

Und die Stimmung in Brandenburg? Olaf Scholz steht am Sonntagabend entspannt auf der Dachterrasse des Bildungsforums in Potsdam. Der Himmel ist weit, der Blick fällt auf die Nicolaikirche und den Landtag, wo die SPD wieder die stärkste Fraktion stellen wird. Die SPD feiert an diesem Abend, ein seltenes Bild.

In Potsdam wissen viele Sozialdemokraten, dass sie noch glimpflich davongekommen sind. „Jeder hier kennt drei, vier Leute, die eigentlich Grüne wählen wollten, aber dann doch SPD als Anti-AfD gewählt haben“ sagt einer. Ein kurioser Effekt: die Rivalität mit der AfD hat der SPD geholfen. Ein erfahrener SPD-Wahlkämpfer sagt : „Das war der letzte Warnschuss“. Doch was tun? Was hilft gegen die Rechten?

Einen Aufstand gegen die GroKo gibt es nicht

„Wir müssen jetzt alles tun, um die Zustimmung für die AfD zu verringern“, so Olaf Scholz zur taz. Den Erfolg der AfD hält der Vizekanzler für ein Ergebnis von sozialer Verunsicherung, von Zukunftsängsten und den Umbrüchen der Digitalisierung. Alldem müsse man mit einer Politik „für gute Löhne und Respekt für Arbeit“ entgegenwirken. Das ist der Scholz-Kurs, vernünftig, lösungsorientiert, mit kleinen Schritten. Direkte Auswirkungen auf die Große Koalition in Berlin sieht Scholz nicht. Also – weiter so.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ist hingegen sicher: „Wir verlieren Landtagswahl um Landtagswahl – und jedes Mal heißt es, das habe nichts mit der Große Koalition zu tun“. Der Parteilinke will mit Nina Scheer die SPD führen und, so schnell es geht, raus aus der Großen Koalition. In der SPD sind die Mehrheitsverhältnisse in Sachen Regieren etwas unübersichtlich. Viele wollen lieber in der Regierung bleiben, weniger die Regierung sofort verlassen, und eine große Gruppe ist unentschieden. Die Funktionäre seien „überwiegend auf dem Kurs von Olaf Scholz“, so Lauterbach. Bei der Basis hingegen sei „die Skepsis gegenüber der Großen Koalition gewaltig“, so Lauterbach zur taz.

Einen Aufstand gegen die Große Koalition gibt es in der SPD nicht. Und trotz dramatischer Einbußen wird die SPD ja in Potsdam und Dresden fünf Jahre weiterregieren. Das Schlimmste – in Brandenburg hinter der AfD zu landen, in Sachsen an der 5-Prozen- Hürde zu scheitern – ist ausgeblieben. Die Ansprüche sind in der SPD klein geworden, sehr klein. Aber viel ist in Bewegung, entschieden nichts.

Auch bei der CDU ist der GAU ausgeblieben – ein Sieg der AfD in Sachsen und ein möglicher Putsch der CDU-Rechten gegen Ministerpräsident Michael Kretschmer. Das hätte die ohnehin schwankende Autorität der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer wohl pulverisiert – denn die hatte immer wieder jede Zusammenarbeit mit den Rechten ausgeschlossen.

Es brodelt auf dem rechten Flügel der Union

Am Montagmittag steht sie in mit rosa Blazer im Konrad Adenauer Haus, links und recht von ihr Michael Kretschmer und Ingo Senftleben in dezent blauen Anzügen. „Wir halten den Kurs der Abgrenzung zur AfD“ sagt die CDU-Chefin. Dies sei ein schwieriges Ergebnis, nun werde man „mit Mut Zukunftsthemen anpacken“, am Grundsatzprogramm arbeiten und „die begonnenen Erneuerung der Partei mit aller Konsequenz vorantreiben“. Sie klingt etwas steril und formelhaft. In der SPD traut sich kaum noch jemand das Wort Erneuerung in den Mund zu nehmen. Bei der Union kommt es gerade in Mode.

Die inneren Spannungen in der Union sind nach Sachsen und Brandenburg nicht gelöst. Die Werteunion ist eine kleine, extrem konservative Gruppe in der CDU, lautstark und wachsend. Sie polterte schon am Wahlabend, dass wenn Michael Kretschmer in Dresden nun „mit den linksradikalen Grünen“ regiere, das die CDU spalten werde. Kretschmer hatte sich Wahlkampfauftritte des von der Werteunion fast verehrten Ex-Verfassungsschutz Chefs Hans-Georg Maaßen in Sachsen verboten.

Sylvia Pantel, CDU-Bundestagsabgeordnete aus Düsseldorf, ist Sprecherin des konservativen Berliner Kreises. „Die Einbeziehung von Maaßen hat in Sachsen eine positive Wirkung gezeigt“ sagt sie. Denn Maaßen habe konservative WählerInnen an die CDU gebunden. Bei der strategischen Frage, ob die CDU nun ihre Abgrenzung zur AfD aufgeben solle, ist Pantel vorsichtig. Sie könne nicht sagen „was die CDU in Sachsen zu tun oder zu lassen habe“. Kretschmer bemerkte in Berlin nur knurrig, dass er in Sachen Maaßen und Werteunion „keinen Gesprächsbedarf mehr hat“.

Es brodelt auf dem rechten Flügel der Union. Aber mehr auch nicht. Solange Rechtsextreme wie der Brandenburger Andreas Kalbitz bei der AfD den Ton angeben, schrecken auch CDU-Rechte vor offenen Koalitionsforderungen zurück.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.