Die Wahrheit: „Ich werde Ställe ausmisten“

Das Wahrheit-Interview: Ein Gespräch mit dem amtsmüden Aschaffenburger Dichter Thomas Gsella über seine Zukunft nach der Poesie.

Poet Thomas Gsella bei einer Dichterlesung mit Mikrofon in der Hand

Künftig nicht mehr zu erleben: Poet Thomas Gsella bei einer Dichterlesung 2019 Foto: Burghard Mannhöfer

taz: Herr Gsella, man erzählt sich, dass Sie das Dichten aufgeben wollen. Warum?

Thomas Gsella: Warum man sich das erzählt?

Nein, warum Sie das Dichten aufgeben wollen.

Für diese Arbeit wird man einfach zu schlecht bezahlt. Und die hochdotierten Lyrikpreise gehen immer nur an irgendwelche Luschen. Ich muss Alimente für sieben uneheliche Kinder abdrücken, das Finanzamt schröpft mich, als wäre ich Rockefeller, und dann habe ich noch einen Prozess am Hals …

Worum geht es da?

Um einen lächerlichen Plagiatsvorwurf. Irgendein mieser, versoffener, inkontinenter, ungewaschener und skrofulöser Stinkstiefel mit Gehirnkrebs behauptet, dass ich mit dem Titel meiner Gedichtsammlung „Nennt mich Gott“ den ersten Satz des Romans „Moby-Dick“ von Herman Melville – „Nennt mich Ismael“ – plagiiert hätte. Die Sache geht jetzt bereits in die dritte Runde und kostet mich ein Vermögen. Um diesen Streitfall außergerichtlich beilegen zu können, werde ich wahrscheinlich ein paar schwere Jungs aus der Aschaffenburger Unterwelt anheuern müssen.

Soweit wir wissen, haben Sie noch keine abgeschlossene Berufsausbildung. Wovon wollen Sie leben, wenn Sie nicht mehr dichten?

Ein Freund von mir züchtet Alpakas, und bei dem werde ich künftig ausmisten.

Entschuldigen Sie, Herr Gsella, die Verbindung ist sehr schlecht. Können Sie den letzten Satz wiederholen?

Ein Freund von mir züchtet Alpakas, und bei dem werde ich künftig ausmisten.

Das ist ein ungewöhnlicher Plan. Wieso wollen Sie in einem Parkhaus arbeiten?

Parkhaus? Ich habe nicht Parkhaus gesagt, sondern Alpakas.

Um welches Parkhaus handelt es sich dabei?

Um gar keins! Ich werde Ställe ausmisten!

Gut. Lassen wir das vorerst auf sich beruhen und wenden wir uns der Frage zu, ob Ihr Entschluss, das Dichten einzustellen, auch etwas mit Ihrem angespannten Verhältnis zur deutschen Literaturkritik zu tun haben könnte. Die Prädikate, mit denen man Sie in den vergangenen dreißig Jahren bedacht hat, sprechen für sich: „Stümper“, „Kretin“, „Hanswurst“, „Mario Barth für Arme“, „präpotenter Schmierfink“, „fleischgewordenes Symptom des kulturellen Niedergangs“, „verseschmiedende Pestbeule“ oder „poetische Nullpotenz“. Schmerzt Sie das?

Mir ist das Urteil meiner Leser stets viel wichtiger gewesen als das der Kritiker. In einer Amazon-Rezension heißt es zum Beispiel: „Thomas Gsella hat es nicht nötig, auf den Schultern seiner Vorläufer Heine, Busch, Morgenstern, Ringelnatz, Tucholsky, Kästner und Gernhardt zu stehen, um einen langen Schatten zu werfen. Er ist ein Gigant aus eigenem Recht. Oder besser gesagt: Er ist das dichterische Zentralgestirn, um das sich alles dreht und dessen Licht erst am Ende aller Zeiten erlöschen wird. Und vielleicht nicht einmal dann.“

Das Zitat ist uns bekannt. Wir haben allerdings herausgefunden, dass Sie es selbst verfasst und auf Amazon eingestellt haben.

Mag sein. Aber das ändert nichts am Wahrheitsgehalt dieser Worte. Und dennoch werde ich, bildlich gesprochen, die Schreibfeder in Kürze an den Nagel hängen. Am 2. September wird meine Abschiedstournee mit einer Privatlesung in meiner Küche beginnen und anderntags mit einer geschlossenen Veranstaltung in meinem Wohnzimmer enden.

Das ist gewiss eine bittere Pille für den in Ihrer Vaterstadt Essen ansässigen Thomas-Gsella-Fanclub.

Glaube ich nicht. Ich habe diesen Club vor zwanzig Jahren selbst gegründet und bis heute kein einziges Mitglied dafür anwerben können. Und auch auf anderen Gebieten ist mein soziales Engagement im Sande verlaufen.

Sie spielen hier vermutlich auf den von Ihnen gestifteten Thomas-Gsella-Preis an, für den sich noch kein Abnehmer gefunden hat …

Exakt. Ich biete ihn alljährlich an wie Sauerbier, doch es hagelt immer nur Absagen.

Wie hoch ist der Preis denn dotiert?

Der Preisträger wird mit einem gerahmten Autogrammfoto von mir geehrt und darf mich einen Abend lang in dem Aschaffenburger Traditionslokal Schlappeseppel freihalten.

Wir haben recherchiert: In dieser Gastwirtschaft belaufen sich Ihre noch unbezahlten Rechnungen auf insgesamt 1.903 Euro und 25 Cent, die der Preisträger dann sicherlich ebenfalls bezahlen müsste.

Ja, aber nur rein theoretisch. In der Praxis ist das in Ermangelung von Preisträgern noch nicht geschehen.

Lassen Sie uns jetzt noch einmal auf Ihre künftige Arbeit im Parkhaus zurückkommen. Was genau werden Sie dort tun?

Sie haben da was falsch verstanden. Ich habe, wie gesagt, von Alpakas gesprochen und nicht von einem Parkhaus.

Und wo steht dieses Parkhaus? In Aschaffenburg?

Nein. Die Alpakas befinden sich auf einem Gutshof in der Nähe von Schweinheim.

Bekannt geworden sind Sie vor allem als Naturlyriker. Wird es Ihnen nicht an Licht, Luft und Sonne fehlen, wenn Sie in dem Parkhaus arbeiten?

Als Stallknecht werde ich in unmittelbarem Kontakt zur Natur stehen. Da brauchen Sie sich also keine Sorgen zu machen.

Das freut uns. Letzte Frage, Herr Gsella: Ihre Stimme klingt so belegt – sind Sie krank?

Ich leide seit zwei Wochen an einer Rachenfistel und schon seit längerem an Zungenpilzen, Parodontitis und der sogenannten gastro-ösophagealen Refluxkrankheit, die mit einem unspezifischen Brustschmerz einhergeht und dazu führt, dass mein Mageninhalt immer wieder in die Speiseröhre zurückfließt. Außerdem haben sich in meiner Mundschleimhaut sechzehn Reizfibrome gebildet. Das sind knotenförmige Stielwarzen, die mir das Sprechen erschweren. Dazu haben sich gestern auch noch eine Angina pectoris und eine nässende Gesichtsrose gesellt. Aber sonst bin ich wohlauf, wenn man von meiner Schuppenflechte, meinen Talgdrüsenzysten und den chronischen Beinleiden absieht, von denen ich nur hoffen kann, dass sie mir das Ausmisten der Alpakaställe gestatten werden.

Dann gute Besserung, Herr Gsella. Vielen Dank für das Gespräch und viel Spaß im Parkhaus!

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