Burg Hohnstein im Elbsandsteingebirge: Auf den Wegen des Widerstands

Sozialdemokraten und Kommunisten, die bedrohten Menschen zur Flucht verhalfen, Sabotageakte organisierten – eine Wanderung zur KZ-Burg.

Burg Hohnstein in der Abenddämmerung

Über dem Ort Hohnstein erscheint die Burg Hohnstein Foto: Franz Walter/imagebroker/imago images

Wie Heidlind Girschik dort steht, kurz vor der tschechischen Grenze auf einem Waldparkplatz, da ahnt man schon, dass sie Wanderführerin ist. Mit Trekkinghose und grünem Shirt, mit guten Schuhen und dunkler Sonnenbrille empfängt die Mittfünfzigerin ihre heutige Gruppe. Gleich führt sie sie über die Wege der Sächsischen Schweiz in die Wolfsschlucht, durch den Schindergraben, am Bärenzwinger vorbei.

Aber dass Girschik, bevor die zehn Leute, die heute um sie versammelt sind, mit ihr losgehen, erst einmal diesen Satz vorträgt, das ist doch etwas sehr Besonderes: „Ob wir überleben, ist weder sicher noch die Hauptsache. Wie man aber später von uns denken wird, ist so wichtig wie, dass man an uns denken wird. Ein Deutschland, das an uns denkt, wird ein besseres Deutschland sein.“ Nach einer kurzen Pause sagt sie: „Ich möchte, dass ihr wisst, dass es das ist, was mich motiviert.“ Es war ein Satz, den Carl von Ossietzky einem Mithäftling gesagt hat, als er im KZ Esterwegen gefangen war.

Das Ziel von Girschiks Wandergruppe ist ein KZ, das Schutzhaftlager Burg Hohnstein, in dem die Nazis ab März 1933 Regimegegner inhaftiert hatten. Organisiert wird die Tour von dem Verein AKuBiZ, ausgeschrieben: Alternatives Kultur- und Bildungszentrum e. V. im sächsischen Pirna. Seit 2008 bietet AKuBiZ geführte Wanderungen an. „Widerständige Wege“ heißt das Konzept. So soll an die Geschichte des antifaschistischen Widerstands erinnert werden: und zwar genau dort, wo er in den Dreißigerjahren stattfand.

„Seit 2001 gibt es AKuBiZ“, sagt Steffen Richter, der Vorsitzende des Vereins. „Am Anfang sind wir mit Gruppen nach Griechenland, Spanien und Italien gereist. Wir haben Zeltlager veranstaltet, Holocaust-Überlebende und frühere Partisanen getroffen.“ Politische Bildung vor Ort, das ist das Konzept. „Einmal hat uns in Spanien ein Zeitzeuge gefragt: Wir war das denn bei euch?“ Erst da fing AKuBiZ an, sich mit der eigenen Gegend zu beschäftigen.

AkuBiZ Der im sächsischen Pirna ansässige Verein wendet sich gegen alle Formen der Diskriminierung. Zum Vereinszweck gehört auch, an die Roten Bergsteiger der Sächsischen Schweiz zu erinnern. Unter anderem bietet AKuBiZ auch regelmäßig geführte Touren auf den Widerständigen Wegen an. www.akubiz.de

Unterkünfte Zum Auffinden von Hotels und Pensionen bietet sich die Website des Tourismusverbands Sächsische Schweiz an. Außer einem Gastgeberverzeichnis, einer Suchmaschine und der Möglichkeit, online zu buchen, werden hier auch Materialien wie Wanderkarten angeboten. www.saechsische-schweiz.de

Und sie wurden fündig. Es gab hier, südlich von Dresden, eine breite Widerstandsbewegung: Sozialdemokraten und Kommunisten, die bedrohten Menschen zur Flucht verhalfen, die Sabotageakte organisierten oder Flugblätter ins Dritte Reich schmuggelten. Die heutige Wandergruppe, die sich auf historische Spurensuche begeben möchte, besteht vor allem aus Studenten, die aus Leipzig und Dresden angefahren kommen.

„Es gibt keine typischen Teilnehmer“, sagt Girschik. „Mal sind es ältere Menschen, mal sind es Jugendgruppen und Schulklassen.“ Steffen Richter ergänzt: „Es kommen Fußballfaninitiativen, Motorradclubs und Pfadfindergruppen, Gruppen der Gewerkschaftsjugend, ganz viele.“ Auch vom Alter her sei es sehr heterogen: mal Achtklässler, mal Rentner, und am heutigen Samstag eben überwiegend Studenten. Sie gehen durch die Wolfsschlucht. Das ist ein Weg zwischen zwei riesigen Felsen. Grau, bedrohlich und sehr ­schmal führt der Steig mal runter, meist hoch. Etliche Eisenstufen sind zwischen den Brocken, oft kann man sich den Kopf stoßen.

Eine grandiose Aussicht

Plötzlich ist eine Felskuppe erreicht: Hell ist es, und die Aussicht grandios. Gegenüber ein grüner Wald am Hang, oben liegt Hohnstein, die Burg und der Ort. Es ist heiß, 31 Grad, jeder trinkt etwas, und Heidlind Girschik erklärt derweil. Auch andere Wanderer bleiben stehen und hören sich die Erläuterungen an: dass Burg Hohnstein im 12. Jahrhundert nicht als Burg für Grafen oder Fürsten oder Ritter erbaut wurde, sondern als Gefängnis. In seiner Geschichte war es auch manchmal Herrschersitz, aber meist diente es dem Zwang: mal „Männerkorrektionsanstalt“, mal Jugendgefängnis.

Nun geht es erst hinab und dann durch ein grünes, fruchtbares und sehr enges Tal, den Schindergraben, wieder hinauf – nach Hohnstein. Hier wurde im 16. Jahrhundert totes und krankes Vieh entsorgt. Oben im Ort angekommen steht man vor renovierten Fassaden, auf gepflasterten Straßen. Herausgeputzt sieht Hohnstein aus. Der Bürgermeister, der für die Unabhängigen Wähler antrat, bekam 97,4 Prozent, er ist SPD-Mitglied. Aber bei der jüngsten Stadtratswahl holte die AfD doppelt so viel Stimmen wie die Grünen, dreimal so viel wie die Linken, und die SPD als Partei trat gar nicht an. Im Rathaus findet sich eine Ausstellung. Heidlind Girschik sucht jemand, der den Schlüssel hat und aufsperrt.

In einem schmalen Flur vor den Bürotüren sind viele Informationstafeln aufgehängt: Schüler aus Radebeul nahe Dresden haben sich in einem Projekt mit der Geschichte von Burg Hohnstein beschäftigt. Ein Schüler wollte an seinen Opa erinnern, der im Widerstand war. So kam die Idee auf, und AKuBiZ war gerne Partner. „Viele Leute aus dem Ort, die ich fragte, kennen die Ausstellung nicht“, sagt Heidlind Girschik. Dabei würden sie viel erfahren von dem, was hier passiert ist, im Ort und in der Burg: Biografien von Häftlingen, Berichte von Gerichtsprozessen. Schwarz-Weiß-Bilder, dazu Texte.

Girschik führt ihre Gruppe weiter, es geht in die evangelische Kirche des Ortes. Hier ist es kühl, und die Gruppe kann verweilen. Doch die Kirche ist auch ein historischer Ort, wie alles in Hohnstein. In den Dreißigerjahren las Pfarrer Kurt Schuhmann hier seine Messen. „Er war der Einzige, der sich für die Häftlinge eingesetzt hat“, berichtet Girschik. „Später wurde er suspendiert.“

Nun wieder hinaus, weiter zum Marktplatz. Die nächste Erkenntnis liegt wieder auf dem Weg: dass es nur einen Zugang zur Burg gibt. Es ist ein Weg, der über den Markt führt. Hier finden sich Cafés und Geschäfte, mittelalterliche Wohnhäuser, hier ist das Leben. Die ganze Stadt sieht, wer in die Burg geht und wer in sie getrieben wurde. Das war schon 1933 so.

Neben dem Burgtor packt Girschik Fototafeln aus und erzählt die jüngere Geschichte des Baus. 1924 hatte hier nämlich ein neues Kapitel begonnen: Eine internationale Begegnungsstätte mit 1.000 Betten war aus der Zwangsanstalt geworden. Gäste aus Indien, aus Japan, aus Kanada reisten in die „Jugendburg“, so der Name. Girschik zeigt ein Foto, das den indischen Schriftsteller Rabindranath Tagore auf Hohnstein zeigt, den ersten Nobelpreisträger aus Asien.

Schutzhaftlager der Nazis

Möglich gemacht wurde die Weltoffenheit von Konrad Hahnewald, der die Jugendburg ab 1924 leitete. Hahnewald stammte aus Dresden, war Sozialdemokrat und kam aus der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Am 8. März 1933 war die SS vor die Burg marschiert und verlangte die Übergabe. Zwei Gruppen, eine aus Berlin und eine aus Griechenland, waren gerade da. Sie verbarrikadierten sich, organisierten Nachtwachen, und Hahnewald weigerte sich, der SA das Gebäude zu übergeben. Die Nazis stürmten die Festung, nahmen ihn fest und errichteten ihr „Schutzhaftlager“. Es war eines der ersten des Dritten Reiches. Und Hahnwald war der erste Häftling des KZ Hohnstein.

Heute kostet es Eintritt, wenn man in die Burg will. Im Restaurant wird eine Hochzeit gefeiert. Junge Männer in ihren Anzügen sind in den Hof gegangen, um zu rauchen. Hinten sieht man Braut und Bräutigam, die sich zum Foto aufstellen. „Turmverließ“ steht auf einer Tafel neben einer Tür. Dass man durch sie in einen Raum gehen kann, erschließt sich nicht sofort. Wer genau hinschaut, sieht vier Dübellöcher. Hier hing bis vor Kurzem ein anderes Schild. Was die heutigen Burgbetreiber „Turmverließ“ nennen, war ein Kerker. Davon berichtete das abgeschraubte Schild.

Ein Gruppe junger Menschen sitzt in einer Kirche und hört ihrer Wanderführerin zu

Heidlind Girschik mit einer Wandergruppe in der Kirche Hohnstein Foto: Martin Kraus

Sehr klein, vielleicht drei mal drei Meter, vielleicht ein klein bisschen größer. Hier wurden weibliche Gefangene zur Strafe eingepfercht. Etwa zehn Prozent der Hohnstein-Häftlinge waren weiblich. Für Disziplinarstrafen wurden bis zu 40 Frauen in dieses Verließ gestellt, teils mehrere Tage. Von außen sieht man keine Tafeln mehr, die auf diese Geschichte verweisen.

Da wo heute, an diesem sehr heißen Samstag, das frisch verheiratete Paar seine Fotos machen lässt, findet sich eine Wiese, abgegrenzt mit Zäunen und ein toller Ausblick auf die umliegende Felslandschaft. Die Gruppe lässt sich auf Bänken nieder. Ein bisschen Schatten tut gut, Trinken ist wichtig.

Heidlind Girschik erklärt, dass hier bereits der Hohnstein-Kommandant Erich Jähnichen seine Hochzeit gefeiert hat. „Diese Tradition wurde damals begründet“, sagt Girschik. Und Heinrich Benecke, ein SA-Mann aus dem zuständigen Ministerium, hat regelmäßig die KZs abgefahren und ließ jedes Mal Häftlinge vorführen und misshandeln – „zu seiner und seiner Frau Erbauung“, wie Girschik berichtet.

Offiziell herrscht Schweigen

In dem Flyer, der heute die Burg Hohnstein bewirbt, findet sich von dieser Geschichte nichts. „Bereits zur Zeit der Romantik, gelegen am Malerweg, wurden Hohnstein und seine einzigartige Landschaft gerühmt“, steht da.

Steffen Richter holt Luft. „Offiziell gibt es so gut wie keine Resonanz auf uns“, sagt der AKuBiZ-Vorsitzende. Mit dem Tourismusverband Sächsische Schweiz hätten sie keinen Kontakt. „Immerhin, unsere Materialien liegen in etlichen Tourismusbüros aus.“

Die Nachfrage nach den Widerständigen Wegen wächst. Anfangs, 2008, war es eine offene Wanderung im Jahr für etwa 15 Menschen. Heute sind es zehn bis 15 Touren pro Jahr. Manchmal kommen 50, 60 Teilnehmer, meist geht es über zwei Tage.Die Geschichte geht weiter.

Die Straße, die alle hinunterfahren, nachdem sich die Gruppe von Heidlind Girschik verabschiedet hat, wurde 1939 als „Deutschlandring“ eröffnet. Gebaut wurde die Rennstrecke von Zwangsarbeitern und Häftlingen des KZ Hohnstein. Bis heute ist es eine beliebte Piste.

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