Deutsche Schuld auf Omas Laken

Zur Spielzeiteröffnung der Schwankhalle verhandelt Magda Korsinskys Installation „Stricken“ die Biografien schwarzer Frauen, deren weiße Großmütter im Nationalsozialismus groß geworden sind. Was zwei Stunden lang nach einem Spezialproblem klingt, hat am Ende mehr über die deutsche Nachkriegsgesellschaft zu sagen als die weiße Durchschnittshistorie

Omas Aussteuer als gebrochene Projektionsfläche: „Stricken“ in der Schwankhalle Foto: Magda Korsinsky/Schwankhalle

Von Jan-Paul Koopmann

Stricken klingt nach Oma. Und genau da hört es auch schon wieder auf mit den eingelösten Erwartungshaltungen, weil eben doch alles viel komplizierter ist, als es zunächst scheint. Formal erzählt die Installation „Stricken“ der in Berlin lebenden Künstlerin Magda Korsinsky von schwarzen Enkelinnen und ihren weißen Großmüttern – tatsächlich aber von der gesamtdeutschen Nachkriegsgesellschaft, deren Bruch- und Leerstellen entlang dieser persönlichen Biografien mit Wucht an die Oberfläche drängen. In Videointerviews erzählen Binta, Denise, Miriam, Matti, Shaheen und Stephanie, wie sie ihre Kindheit mit Frauen erlebt haben, die ihrerseits im Faschismus sozialisiert wurden.

In der Schwankhalle werden diese Videos auf meterhohe Patchworkbanner projiziert: textile Fundstücke aus den Schränken der Familien. Aus Zier- und Tischdeckchen, Handtüchern und Vorhängen sind unebene Leinwände entstanden, deren Nähte und Falten die Bilder brechen und wie Fluchtlinien in eine Historie verweisen, mit der die Sprecherinnen vielschichtig, nun ja, verstrickt sind.

Die Installation ist Auftakt und Bindeglied des diesjährigens Spielzeitschwerpunkts „(K)eine Frage der Perspektive“. In drei Strängen sollen verschiedene Produktionen der Schwankhalle neue und alte Rassismen durchdringen. Neben alltäglichen Erfahrungen als fremd Markierter geht es auch um die historische Genese des Rassismus sowie um identitätspolitische Denkfallen, in denen sich auch Linke regelmäßig verheddern. „Stricken“ verdichtet diese drei Ebenen in außerordentlich persönlichen Geschichten.

Dass überhaupt so eine Nähe zwischen den Generationen besteht, dürfte auch daran liegen, dass die schwarzen Väter der Frauen meist abwesend bleiben. Wo sie überhaupt mal erwähnt werden, sind sie längst verschwunden, weshalb eben die Omas als Miterzieherinnen auf den Plan traten. Auffällig ist, dass auch die härteren Ausgrenzungserfahrungen oft erst im Erwachsenenalter als solche erkannt wurden. „Ich kann mich nicht erinnern, dass Rassismus überhaupt Thema war“, sagt Miriam im Interview. Denise wiederum vermutet, dass die einst propagierte „Rassenhygiene“ so untrennbar mit der Nazivergangenheit verbunden war, dass sie aus Scham verdrängt und stumm geblieben ist.

Stattdessen erleben die Frauen eine Erziehung, die klischeedeutscher kaum sein könnte. Die Omas stehen permanent am Herd, Matti hat bis heute nicht nur diverse saarländische Rezepte in petto, sondern weiß auch, dass nach Bohnensuppe Apfelküchlein gegessen werden, nach Linsen hingegen Zwetschgen. Der Ton dieser Gespräche ist ruhig und persönlich: Intimität an der Wäscheleine. Auffällig ist, wie extrem reflektiert die Enkelinnen ihre Erfahrungen durchgehen, wohl auch, weil der normaldeutsche Rassismus ihnen ja permanent aufnötigt, sich mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen.

Und da wird es richtig schwierig. Die Frage nämlich, wie sich Deutsche der zweiten oder dritten Nachkriegsgeneration zur Schuldfrage um den Holocaust verhalten, ist hier außerordentlich komplex. Entsprechend vielschichtig fallen die Antworten aus: Für Denise etwa war das Thema sehr lange sehr weit weg. Vielleicht, vermutet sie, weil ihr ständig von allen Seiten zu verstehen gegeben wurde, dass sie als Schwarze mit Deutschland ohnehin nichts zu tun habe. Dann zu sagen: „Tschüss, das ist eure Geschichte“, sei früher eben sehr einfach gewesen.

Es bleibt die Frage, ob man sich als Nachkomme deutscher Täter sieht, oder als Teil einer Opfergruppe

Letztlich bleibt die Frage, zu welchem Kollektiv man sich zählt als irgendwie Nachkomme deutscher Täter, aber eben auch als Teil einer Opfergruppe. Am entschiedensten ist hier Binta, die zwar sichtlich um Worte ringt, aber dann doch entschieden sagt: „Wir haben auch andere Baustellen.“ Gemeint ist die Kolonialgeschichte, die das afrodeutsche Verhältnis eben heute noch prägt.

Diese Identitätsfragen werden von allen Sprecherinnen offener und kontroverser ausgefochten als es die meisten Weißen tun. „Ich frage mich seit Jahren: Wo sind denn diese fürchterlich schuldbeladenen Deutschen?“, sagt Matti: „Ich hab sie nicht getroffen.“ Oder jedenfalls nicht außerhalb konkreter Opfergruppen wie Jüd*innen, Menschen mit Behinderung oder in explizit antifaschistischen Zusammenhängen.

Und ohne dass es jemand sagt, den Zeigefinger hebt oder sonstwie moralisch wird: Über fast zwei Stunden vermeintlich fremder Lebensgeschichten wird irgendwann unmissverständlich klar, dass all diese Fragen überhaupt kein Sonderfall sind – und nicht das Problem einer sehr spezifischen Minderheit. Es ist für andere nur eben sehr viel einfacher, sich einzubilden, mit all dem nichts zu tun zu haben.

„Stricken“ ist bis zum 7. 9. in der Schwankhalle zu sehen