Impfen gegen die Sucht: Das Immunsystem überlisten

Die Entwicklung von Impfstoffen gegen Opioidsucht steckt noch in den Anfängen. Die bisher vorliegenden Ergebnisse sind nicht erfolgversprechend.

Ein Mann und eine Frau sitzen in einem Drogenkonsumraum und bereiten das Spritzen einer Droge vor

Drogenkonsumraum: Hier gibt es auch Hilfe, um aus der Sucht auszusteigen Foto: Markus Kirchgessner

In den letzten Jahren rückte der Kampf gegen Opioidmissbrauch mehr und mehr in den Fokus der Wissenschaft. Der Ansporn dazu kommt aus den USA, wo der Konsum von Opioi­den wie Heroin, Fentanyl und Oxycodon immer weiter zunimmt. Besonders erschreckend sind die zunehmenden Todesfälle durch Überdosis. Dafür gibt es verschiedene Gründe, von persönlichen Schicksalen über allgemeine Politik bis zum Gesundheitssystem. Dennoch zeigt es den Forschern: Neue Therapien sind dringend nötig.

In Deutschland veränderte sich der Konsum von Opioiden in den letzten 25 Jahren kaum. Trotzdem versuchen auch deutsche Forscher, Sucht effektiver zu behandeln.

Ein Ansatz dabei ist es, das körpereigene Immunsystem zu nutzen. Anders als bei herkömmlichen Impfungen erkennt der Körper die Drogen nicht automatisch als Eindringling. Deshalb tricksen die Wissenschaftler. Sie koppeln die Droge an andere Impfstoffe, zum Beispiel an das Mittel gegen Tetanus. So lernt das Immunsystem, Antikörper dagegen zu bilden, die daraufhin jedes Molekül – jedes Drogenteilchen – im Blut einfangen sollen.

Gelangen die Drogen nicht ins Gehirn, können sie auch ihre Wirkung nicht entfalten. Denn die Effekte kommen erst dann zustande, wenn die Drogen an Andockstellen im Gehirn kommen, an die Rezeptoren.

Die Sucht verschwindet durch die Impfung allerdings nicht einfach. Bei Abhängigen haben sich Prozesse und Verknüpfungen im Gehirn verändert, wodurch sie beispielsweise das heftige Verlangen („craving“) nach der Droge spüren. Wenn die Wirkung nun nach der Impfung ausbleibt, kann es passieren, dass die Betroffenen so viel nehmen, bis es nicht mehr genügend Antikörper gibt. Denn dann gelangen doch wieder Teile der Droge ins Gehirn, und es kommt möglicherweise sogar zu einer Überdosis.

Die Impfungen sind so spezifisch, dass jede nur gegen eine be­stimmte Substanz wirkt

Eine weitere Gefahr ist, dass die Abhängigen auf ein anderes Opioid umsteigen. Die Impfungen sind so spezifisch, dass jede nur gegen eine bestimmte Substanz wirkt. Möchte man gegen verschiedene Drogen impfen, müssen entsprechend viele Impfstoffe entwickelt, getestet und für die medizinische Nutzung freigegeben werden: ein langwieriger Prozess. Das ist einer der Gründe, warum Wolfgang Sommer, Psychiater und Suchtforscher am Zen­tralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, die Impfungen kritisch sieht: „Es werden immer wieder neue Opioidderivate entwickelt. So schnell kann man gar nicht für alles neue Impfstoffe testen und herstellen.“

Die amerikanischen Wissenschaftler Matthew Banks (Virginia Commonwealth University) und Marco Pravetoni von der University of Minnesota glauben jedoch, dass die Impfungen dennoch einen wichtigen Beitrag leisten können. Sie forschen jeweils an verschiedenen Impfstoffen und sehen die Chance vor allem in der Kombination mit bestehenden Therapien.

Die Einstellung der Abhängigen sei entscheidend, glaubt Banks. „Die Person muss wirklich motiviert sein, ihre Erkrankung zu behandeln“, erklärt er. Egal mit welcher Behandlung – wer high werden will, findet einen Weg.

Bislang gibt es zwei verschiedene Arten, Opioidsucht zu behandeln. Zunächst einmal sind da die Medikamente Naltrexon und Naloxon. Sie kommen an die gleichen Andockstellen im Gehirn wie die Opioide und verhindern so ihre Wirkung. Naltrexon wird dabei langfristig verabreicht. Doch es eignet sich nur bei sehr motivierten Patienten, da es das Verlangen nach den Drogen nicht verringert. Naloxon wird vor allem bei einer Überdosis eingesetzt, denn es wirkt schnell, aber kurzzeitig.

Die zweite Art der Behandlung ist die sogenannte Substitution, die Drogenersatztherapie. Das heißt, die Patienten ersetzen ihre Droge durch andere Opioide. Das hat verschiedene Vorteile, beispielsweise kon­trollieren die Ärzte die Dosis, und die Medikamente sind „sauber“ – anders als manche Drogen, die man auf der Straße bekommt.

Das Substitutionsmittel Methadon lindert Schmerzen, löst aber keinen starken Rausch aus, und hilft so beim Entzug. Allerdings kann man auch von Methadon abhängig wer­den, und eine Überdosis ist genauso gefährlich wie bei Heroin. Buprenorphin unterdrückt das Verlangen nach Heroin und mildert Entzugserscheinungen. Außerdem wirkt es besonders schmerzstillend.

Normaler Alltag ist schwierig

Es mag merkwürdig klingen, eine Droge absichtlich durch eine andere zu ersetzen. Doch Substitutionstherapien helfen vielen Opioidabhängigen. Sie leben gesünder, können mit ihrem sozialen Umfeld besser umgehen und haben oft eine höhere Lebenserwartung. Allerdings müssen die Patienten auch hier ständig – teilweise täglich – in die Klinik, um ihre Medikamente zu bekommen. Allein das macht einen normalen Alltag schwierig, und viele haben nicht die Möglichkeit, die Energie oder die Motivation, es durchzuhalten.

Ob die Impfungen es tatsächlich auf den Markt schaffen, um die bestehenden Therapien zu unterstützen, ist die große Frage. Marco Pravetoni und Matthew Banks sind zuversichtlich. Doch bisher wurden alle Impfstoffe gegen Opioide nur im Tierversuch getestet, bis auf eine wenig seriöse Ausnahme. Pravetoni und seine Gruppe wollen mit eigenen klinischen Tests in den USA starten. Bis zur Zulassung wird es aber noch einige Zeit dauern, auch wenn der Impfstoff sicher ist.

Impfungen gegen Nikotin und Kokain sind hingegen schon weiter. Dafür existieren bereits fortgeschrittene klinische Studien. Doch selbst hier gibt es noch einige technische Probleme. Beispielsweise braucht man ständig Auffrischungen der Impfungen. Und auch dann bildet nur ein kleiner Teil der Probanden genug Antikörper, um die Drogen tatsächlich zu neutralisieren. Die Impfstoffe haben also bisher eine recht geringe Effizienz. Ein amerikanisches Forscherteam, das wenig begeisternde Ergebnisse in einem klinischen Versuch erzielte, fragt sich außerdem, wer die Impfungen eigentlich nutzen würde. Denn um 300 Teilnehmer für ihre Studie zu finden, benötigten sie 17 Monate – kein Anzeichen für großes Interesse der Abhängigen.

Impfungen werden die Drogentherapie also vermutlich nicht revolutionieren. Abgesehen von den technischen Fragen, fasst Wolfgang Sommer es so zusammen: „Die Impfungen würden nicht die eigentlichen Probleme behandeln, weder die Ursachen für die Drogensucht noch die körperliche Abhängigkeit.“ Dennoch ist es möglich, dass sie als Zusatz zu anderen Behandlungen diejenigen Patienten unterstützen, die einen Weg aus der Drogensucht suchen – in einigen Jahren und nach vielen weiteren Studien.

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