Musikszene in Sachsen: Der Klang-Hacker

Der Dresdner Künstler Moritz Simon Geist arbeitet an der Zukunft der Musik – mit digitalen Klängen, die er von analogen Instrumenten erzeugen lässt.

Ein junger Mann steht in einer Werkstatt, hat den Mund weit aufgerissen und hält sich eine Plastik-Hand an die Wange

Simon Geist, 38, will nicht nach Berlin Foto: Stephan Floss

DRESDEN taz | Es müssen schon 3-D-Drucker sein. Drei Exemplare davon, übereinander in einem Regal angeordnet, stehen in der Werkstatt des Dresdner Künstlers Moritz Simon Geist. Wie am Fließband produzieren sie kleine Plastikteile, passgenau designt für die Maschinen, die der Künstler hier zusammenbaut. In einem monotonen Surren gehen sie ihrem Tagwerk nach.

Die Geräte, in die der 38-jährige Geist die gedruckten Teile verbaut, sollen auch mal klingen. Es sind robotische Instrumente, Geist nennt sie „Sonic Robots“ – Schallroboter. Diese erzeugen auf physikalische Weise Klänge, die andere Technoproduzenten digital mit Programmen auf ihren Computern erzeugen; umgebaute Laufwerke machen bei Geist Klickgeräusche, mit Hydraulik ahmt er die Hi-Hat nach oder kleine Motoren schlagen auf Metall. Dabei klingt seine Musik, als wäre sie im Computer entstanden. „Es geht darum, den Klang aufzubrechen aus den Strukturen, die es jetzt gibt; von dieser klassischen Produktion von elektronischer Musik möglichst weit wegzugehen“, erklärt Geist seinen Ansatz.

Anschaulich wird das bei seinem ersten Projekt, der MR-808, dass er 2013 fertiggestellt hat. Als Vorlage nimmt er sich den Drumcomputer Roland TR-808 aus den achtziger Jahren, der unter HipHop- und Elek­tro­nik­pro­du­zen­t*innen Kultstatus genießt. Eigentlich soll ein Drumcomputer Klänge, die ein Schlagzeug macht, künstlich generieren. Geist kehrt das mit seinem Roboter um. Er baut eine Maschine, die Becken, Trommeln und andere Perkussionsinstrumente mit mechanischen Hebeln anschlägt – und genau so klingt wie die klassische TR-808.

Er braucht drei Jahre dafür, „Ich wusste anfangs gar nicht wie man das macht, die Kunst“, sagt Geist rückblickend. Während er an seinem ersten Projekt arbeitet, ist Geist eigentlich auf dem Weg zu einer ordentlichen Ingenieurskarriere. Damals absolviert er gerade ein PhD-Programm mit dem Schwerpunkt Halbleitertechnik. Das hat er an sein Mechatronikstudium angeschlossen, für das er im Jahr 2001 aus seiner Heimatstadt Göttingen nach Dresden gezogen ist.

In Berlin kann er sich nicht konzentrieren

Geist kommt aus einer musikalischen Familie. Er genießt eine klassische Ausbildung am Klavier und an der Klarinette; später lernt er Bass und Gitarre und spielt in Noisebands. Schon damals baut er seine eigenen Gitarreneffekte aus alten Radios. Für das Studium entscheidet er sich aber für etwas „Handfestes“, wie er sagt, da er sich nicht traut Musik zu studieren. Sein erstes Projekt, die MR-808, ist also nur eine logische Kombination aus seiner Musikalität und seinem Technikverständnis.

Die MR-808 beschert ihm viel Aufmerksamkeit und Anerkennung in der Medienkunstszene. „Ein Number-one-Hit“, sagt Geist. Sein Roboter wandert seitdem von einem Kunstfestival zum nächsten. Im September wird er sogar auf der Biennale in Venedig zu sehen sein. Durch den Erfolg ermutigt, bricht er seinen PhD ab und konzentriert sich nur noch auf die Kunst.

Geist entwickelt daraufhin weitere Musikroboter, kombiniert sie jeweils miteinander und tritt live mit ihnen auf. Irgendwann fängt er an, ein kleines Team zu beschäftigen, das ihm beim Bau der Roboter hilft. Er tourt vor allem im Ausland, deshalb kommuniziert er auf seiner Homepage und seinen sozialen Kanälen auf Englisch. Seit einiger Zeit macht eine US-Marketingfirma mit Sitz in New York die Öffentlichkeitsarbeit für ihn.

Seine Werkstatt und sein Zuhause belässt er trotzdem in Dresden. Natürlich habe er sich schon öfters überlegt, nach Berlin zu ziehen, „da ist mir aber zu viel los, da kann ich mich nicht konzentrieren“. Außerdem können nicht alle immer nur wegziehen, findet Geist, es müsse auch mal jemand im Osten bleiben. „In Berlin bist du nur einer von Tausend, da kann man nicht viel beitragen. Hier in Dresden schon.“

Sachsens Clubkultur positioniert sich gegen rechts

Tatsächlich verfügt Sachsen über eine gewachsene Technoszene, die sich über mehrere Städte erstreckt. Die größte Strahlkraft hat der Leipziger Club Institut für Zukunft, der zu den besten Clubs in Deutschland zählt. Außerdem haben sich wichtige Szenelabels in dem Bundesland etabliert: Raster-Noton in Chemnitz und Uncanny Valley in Dresden. Seit 2014 gibt es in Dresden mit dem Dave Festival zudem ein eigenes Festival für Clubkultur.

Diese Entwicklungen findet Geist wichtig. Mit der Clubkultur, die sich in Sachsen klar gegen rechts positioniert, könne man junge Menschen erreichen. Denn in Dresden und Sachsen gibt es mit rechten Strömungen definitiv ein Problem.

Gleichzeitig überrascht es ihn nicht, wie er sagt: „Diese sehr konservative Einstellung war schon immer da, aber es wird immer schlimmer mit der AfD.“ In Dresden gebe es eine extrem konservative bis rechte Masse, die sich dann bei Pegida treffe. Das ist erst recht ein Grund für ihn, in Dresden zu bleiben. Eine Stadt brauche eine Basis an Kulturschaffenden, die die Stellung halten, andere Initiativen unterstützen und eine Alternative ­bieten.

Von der kommenden Wahl in Sachsen macht er sich keine Illusionen. Die AfD werde stark abschneiden, das würden die meisten hier erwarten. Umso wichtiger, dass sich eine starke Koalition dagegen formiere. Gefährlich könne es nur werden, wenn die ohnehin schon konservativen Stimmen in der CDU mit den rechten Stimmen der AfD zusammentreffen und dann so Einzelentscheidungen beeinflussen, meint er.

Vertraute Klänge in fremder Form

Doch wie er das Politische mit seiner Kunst verbinden könne, darüber denkt er in letzter Zeit öfters nach, sagt Geist. „Ich fühle mich der Lokalpolitik hier schon verhaftet, aber gleichzeitig beschäftige ich mich mit so abstrakten Themen wie der Mensch-Maschine-Interaktion, das in meiner Kunst zusammen zu bringen, ist schwierig.“

„Am Ende zählt die Aktion“, sagt Geist. Deshalb unterstützt er zivilgesellschaftliche Initiativen, beteiligt sich an Soliabenden und tritt dort auf. Außerdem positioniert er sich als Person des öffentlichen Lebens. Das findet er wichtig, „wer schweigt, macht mit“, sagt Geist.

Für Moritz Simon Geist ist alles ein potenzielles Bauteil, in seinen Händen ist nichts sicher. Das ist für ihn Hacking

In seiner Werkstatt in Dresden liegen Platinen und kleine Geräte herum, über der Werkbank sind kleine Schubladen mit elektrischen Widerständen und Schrauben darin. Begeistert wie ein kleiner Junge wirbelt der 38-Jährige durch den Raum und zieht alle möglichen Roboter und Prototypen hervor, erklärt, wie sie funktionieren, und führt sie vor. Geist ist groß und schlaksig, seine langen Haare, die er an der Seite kurz trägt, streicht er sich immer wieder aus dem Gesicht. Er nimmt eine Metallabdeckung zur Hand, schlägt mit einem Schlägel darauf und es erklingt ein hoher Ton: „Daraus will ich unbedingt noch etwas bauen“.

Für Geist ist alles ein potenzielles Bauteil, in seinen Händen ist nichts sicher. Das ist für ihn Hacking, also dass Dinge für etwas benutzt werden, für das sie eigentlich nicht gedacht sind. Neben den 3-D-Druckern steht ein altes Claviset, ein Tasteninstrument. Er hat es auf dem Flohmarkt erworben, altes Familienerbstück, er solle gut drauf aufpassen. „Dass ich das verbauen möchte, hab ich ihm natürlich nicht gesagt“, sagt Geist und lacht auf. Aber das ist, was seine Kunst ausmacht, er spaltet die Dinge auf und setzt sie neu zusammen. „Ich möchte den Klang von möglichst vielen Seiten beleuchten und auf möglichst granularer Ebene anschauen“, sagt Geist.

So schafft er vertraute Klänge in fremder Form. Wie seine Roboter funktionieren, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, sie haben keine Ähnlichkeit mit klassischen Instrumenten. Das macht Geist bewusst, dadurch möchte er Referenzen an bereits Existierendes vermeiden und mit seiner Kunst Zukunftsszenarien entwerfen. „Ich sehe meine Lebensaufgabe darin, als Künstler Entwicklungen vorwegzunehmen oder zu visualisieren; ich denke, das sollte die Aufgabe von vielen Künstlern sein.“

Momentan arbeitet Geist an seinem nächsten Roboter. In ihm wird er Röhren eines Vibraphons – ein Schlaginstrument, das klanglich und optisch einem Xylophon ähnelt – verbauen, eine zweieinhalb Meter hohe Skulptur soll so entstehen – „wie eine Explosion im Raum“. „Langfristig“, sagt er, „geht es darum, mich als Musiker auf der Bühne abzuschaffen.“ Dann kann er sich schließlich ganz auf die Konstruktion seiner Roboter konzentrieren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.