Demokratieproteste in Hongkong: Nicht in die Falle getappt

Mit den gewaltlosen Protesten vom Wochenende bietet Hongkongs Demokratiebewegung China keinen Anlass zur Eskalation. Gut so.

Demonstranten mit Regenschirmen führen ein kleines Mädchen über eine schmale Mauer

Mit Schirm und Kindercharme gegen Pekings Macht: Demonstrierende am Sonntag in Hongkong Foto: reuters

Es ist ein gutes Zeichen, das von Hongkongs Demokratiebewegung an diesem Wochenende ausgegangen ist. Nach zuletzt fast täglichen Straßenschlachten sind die Großdemonstrationen allesamt friedlich verlaufen. Angeführt von der Lehrergewerkschaft, zogen zunächst am Samstag mehrere Zehntausend durch das Regierungs- und Finanzviertel der chinesischen Sonderverwaltungszone. Am Sonntag zählte der Protestmarsch trotz strömenden Regens wahrscheinlich über eine Million Teilnehmer.

Blockaden und Besetzungen von Tunnels, Flughafen und wichtigen Regierungsgebäuden blieben auf Seite der Protestierenden aus. Die zuletzt sehr gewaltbereiten Polizisten verzichteten ihrerseits auf Tränengas- und Pfefferspray-Einsätze. Die 7-Millionen-Einwohner-Metropole erlebte ein friedliches Wochenende. So nachvollziehbar die Wut vieler Aktivisten ist – noch mehr Gewaltszenen hätten der Bewegung geschadet.

Mit dem friedlichen Verlauf ist es der Hongkonger Demokratiebewegung gelungen, zwei Botschaften auszusenden:

Die Pro-Demokraten können zeigen, dass sie mit ihrer (gewaltfreien) Kritik an Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam und der Zentralregierung in Peking auch weiterhin weite Teile der Bevölkerung hinter sich wissen. Was ebenso schwer wiegt: Die Bewegung tappt nicht in Pekings Falle. Angesichts der Prügelszenen in den vergangenen Tagen auf Hongkongs Flughafen, wo Demonstranten unter anderem auf einen chinesischen Reporter losgingen, war es für die kommunistische Führung zuletzt ein Leichtes, den Protest zu diskreditieren und die Bewegung in die Randalierer- und Terroristen-Ecke zu stellen. Das dürfte ihr nun angesichts Hunderttausender friedlicher Demonstranten sehr viel schwerer fallen.

Keine blutige Niederschlagung

Eine Lösung des Konflikts ist zwar weiterhin nicht in Sicht. Zumindest aber ist die Gefahr einer blutigen Niederschlagung der Proteste, womöglich gar durch Chinas Volksbefreiungsarmee, kleiner geworden.

Dieses Horrorszenario war zuletzt durchaus realistisch geworden. Zwar hat Peking kurz vor dem 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik am 1. Oktober kein wirkliches Interesse, mit blutigen Bildern aus Hongkong die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zu lenken, gar Erinnerungen an das Tiananmen-Massacker vom 4. Juni 1989 zu wecken. Den 1. Oktober möchte Peking mit einer Parade feiern und China von seiner glanzvollen Seite präsentieren.

Doch die Lage in der einstigen britischen Kronkolonie hatte sich in den letzten Wochen dramatisch zugespitzt. Es verging kaum ein Tag, an dem es nicht irgendwo in der Stadt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und den Ordnungskräften kam. Zudem wandten sich die Aktionen zunehmend auch direkt gegen die kommunistische Führung.

Bilder der vergangenen Woche von Militärfahrzeugen unmittelbar an der Grenze zu Hongkong dienten erst mal nur der Abschreckung. Doch die Botschaft war eindeutig: Peking scheut einen Einmarsch nicht. Besteht aus Sicht der KP real die Gefahr, dass der Protest auf das chinesische Festland überschwappt, und sieht die Führung in Peking gar ihre Macht bedroht, ist sie zu allen Mitteln bereit. Das hat sie schon mehrfach bewiesen.

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war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

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