„Anna Krawulke interessiert mich nicht“

Bezirke sollten ihre Seiten nach Lebenslagen, nicht nach Ämtern ordnen, fordert Christoph Dowe von „politik-digital“. Eine langfristige redaktionelle Betreuung werde zu oft versäumt, Geld stecke man häufig nur ins schmucke Design

taz: Herr Dowe, wann haben Sie zuletzt eine Berliner Behörden-Webseite benutzt?

Christoph Dowe: Als ich geheiratet habe und umgezogen bin. Ich musste leider feststellen, dass zwar die Informationsmöglichkeiten ausgezeichnet sind, aber noch sehr wenige Dinge komplett übers Internet abgewickelt werden können.

Findet man die Infos auch?

Versierte Internetbenutzer schaffen das. Aber man muss sich mit Suchtechniken auskennen.

Also fehlt Übersichtlichkeit?

Der Bürger weiß leider nicht immer, ob für seinen konkreten Fall der Bezirk, die Stadt oder das Land verantwortlich ist. Deshalb müssten Internetseiten tatsächlich anders aufgebaut sein: Nämlich nach Lebenslagen geordnet. Behörden denken nach wie vor in Zuständigkeiten. Besser wär’s, dem Lebenslagenprinzip zu folgen: mit Rubriken wie „Hochzeit“ und „Umzug“. Manche Behörden machen das schon.

Wie könnte das aussehen?

Mir als Bürger ist es egal, ob Friedrichshain-Kreuzberg oder die Stadt Berlin zuständig ist. Ich will unter www.berlin.de alles finden, was ich brauche, nicht auf einer Bezirksseite. Und wenn ich dann doch mal zwei verschiedene Bezirksseiten aufrufen muss, will ich nicht mit zwei völlig verschiedenen Designs und Navigationen konfrontiert werden.

Was muss eine Seite darüber hinaus noch bieten?

Kommunikation und Partizipation. Kommunikation bedeutet nicht nur, dass man E-Mail-Adressen findet, sondern auch, dass auf E-Mails tatsächlich schnell geantwortet wird. Unter Partizipation verstehe ich, dass man tatsächlich auch Behördengänge im Internet abwickeln und an politischen Entscheidungen mitwirken kann.

Welche Behördengänge sollten das sein?

Wichtig wäre mir zum Beispiel eine komplette Umzugsabwicklung. Das Problem ist nur, dass man immer irgendwo unterschreiben muss. Aber da gibt es auch ganz neue Möglichkeiten. Berlin hatte im Jahr 2002 ein gutes Angebot: Man konnte Briefwahlunterlagen im Internet bestellen. Die wurden einem dann nach Hause geschickt. So eine Vernetzung der Medien ist wünschenswert. Also im Internet bestellen, und die Post bringt es nach Hause. Diesen „Medienbruch“ kann man durchaus begehen, solange es technisch oder gesetzlich noch nicht vollständig über das Internet geht.

Was ist das größte Grauen, das eine Bezirksseite ihrem Besucher zumuten kann?

Wenn die Website mehr zur Selbstvermarktung existiert, statt sich als Bürgerportal zu begreifen. Mich interessiert in der Regel nicht die letzte Pressemitteilung zum Ortstermin des Bezirksbürgermeisters beim 100. Geburtstag von Anna Krawulke. Ich will, dass mir Behördengänge abgenommen werden oder ich schnell Informationen finde. Im besten Fall nutzt der Bezirk das Internet, um meine Meinung zu einzelnen Themen zu hören.

Bezirksseiten sehen zwar hübsch aus, wurden aber inhaltlich häufig lieblos zusammengeschrammelt, warum?

Der Standardfehler bei solchen Webseiten ist, dass man sehr viel Geld in Design und Aufbau steckt, aber sich keine Gedanken über eine profunde und langfristige redaktionelle Betreuung macht. Die Folgekosten werden meist völlig falsch eingeschätzt. Wenn die Seite gut aussieht, aber kein Personal da ist, das sie pflegt, dann ist sie für die Katz. Die Aussage „Das kriegen wir schon irgendwie hin“ zeugt von geringer Planungskompetenz.

Braucht man dann für jede Seite eigene Redakteure?

Die Frage ist eher: Braucht man jede Seite?

Wie wichtig ist Behindertenfreundlichkeit der Seiten?

Es gibt eine Verordnung, die Behindertenfreundlichkeit in Zukunft regeln soll. Das richtet sich nicht nur an Blinde, die Texte vorgelesen haben möchten, sondern auch an Bürger, die geringere Bildungskenntnisse haben oder sich noch nicht so gut mit dem Internet auskennen. Eine einfache, nachvollziehbare Struktur ist da erstrangig. Zweitrangig sind dagegen Details wie größere Schriften und einstellbare Schriftfarben. Eine Seite muss für alle zugänglich sein. Das ist natürlich aufwändig.

INTERVIEW: MARTIN MACHOWECZ