Urteil zum Versammlungsrecht: „Faktischer“ Anführer ist strafbar

Robin Wood protestierte 2017 gegen Atommülltransporte. Verfassungsrichter billigen nun die Verurteilung des Mannes, der die Kommandos gab.

Schiff im Fluss

Spezialschiff mit radioaktivem Müll auf dem Neckar bei Haßmersheim im September 2017 Foto: dpa

KARLSRUHE taz | Der „faktische Leiter“ einer unangemeldeten Kundgebung kann bestraft werden. Das entschied jetzt eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts mit einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss.

Konkret ging es um eine Aktion von Robin Wood in Heilbronn. Am Morgen des 11. Februar 2017 seilten sich Aktivisten von der Rosenbergbrücke ab, die über den Necker führt. Sie befestigten dabei ein Banner mit der Botschaft „Kein Atommüll auf dem Neckar“. Damit protestierte Robin Wood gegen Schiffstransporte mit Castor-Behältern vom AKW Obrigheim zum AKW Neckarwestheim. Die Transporte waren deshalb nötig, weil der AKW-Betreiber EnBW nur in Neckarwestheim ein Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente eingerichtet hatte.

Die Kletteraktion, an der fünf Robin Wood-Aktivisten teilnahmen, war nicht angemeldet. Ein Mann, der per Funkgerät Anweisungen gab und die Aktion letztlich beendete, erhielt einige Monate später vom Amtsgericht Heilbronn eine Verwarnung mit Strafvorbehalt, sozusagen eine Geldstrafe auf Bewährung. Begründung: Er habe eine nicht angemeldete Versammlung durchgeführt, was gemäß Paragraf 26 Versammlungsgesetz strafbar ist.

Trotz der minimalen Strafe ging der Robin Wood-Aktivist durch die Instanzen. Die Verurteilung habe seine Grundrechte verletzt. Die bloße Teilnahme an einer nicht angemeldeten Versammlung sei nicht strafbar. Bestraft werden könne nur der Veranstalter und der formelle Leiter. Wenn das Amtsgericht Heilbronn auch einen „faktischen Leiter“ verurteile, verstoße das gegen das strafrechtliche Analogieverbot. Danach kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich definiert war, bevor die Tat begangen wurde. Das Gericht kann vermeintliche Lücken im Gesetz nicht durch Analogien füllen, sondern muss dann freisprechen.

Das Bundesverfassungsgericht sah nun aber das Analogieverbot nicht verletzt. Im Gegenteil sei es sogar naheliegend, dass Paragraf 26 auch die Personen erfasse, die die Versammlung tatsächlich leiten. Es bestehe auch keine Gefahr, dass nun alle Teilnehmer einer nicht angemeldeten Kundgebung bestraft werden. Faktischer Leiter könne nur sein, wer „eindeutig“ das Sagen hat, zum Beispiel indem er den Ablauf der Kundgebung, die Reihenfolge etwaiger Redner und das Ende der Aktion bestimmt.

Versammlungen unter freiem Himmel müssen in Deutschland zwar nicht genehmigt, aber angemeldet werden. Nur Spontanversammlungen sind von der Anmeldepflicht befreit.

(Az.: 1 BvR 1257/19)

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