Gesichter aufgespießt

Erst ist es bedrohlich, dann immer anziehender: Zeichen, Bilder und Figuren wuchern in einem Gewimmel in den Raum hinein bei Nadja Schöllhammers Ausstellung in der Galerie Nord

Letztlich sind Gesichter zu sehen: Blick in die Installation „Wandler“ von Nadja Schöllhammer Foto: Nadja Schöllhammer

Von Katrin Bettina Müller

Das Zerstörerische und das Filigrane begegnen sich in den Raumzeichnungen von Nadja Schöllhammer. Es ist die Gleichzeitigkeit von beidem, die ihre Figuren unter Spannung setzt. Etwas ist weggeschnitten, etwas ist weggebrannt; etwas ist stehengeblieben, als Skelett einer Form, als dünne Linie aus Papier, als silikonbeschichtetes Relief. Man sieht durch Öffnungen, Löcher und Schlitze in der einen Ebene der Werke meist auch noch auf etwas dahinter. Das können weitere Bildelemente eines Werkes sein, die Installation gestaffelter Bühnen im Ausstellungsraum oder ein Blick durch ein Fenster.

Nadja Schöllhammer hat in Berlin studiert, Bildende Kunst und Germanistik. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet sie daran, mit Linien, Farben und Formen in den Raum auszugreifen. Sie schneidet aus, aus vorgefundenem Material wie Plakaten, aber auch aus eigenen Zeichnungen, sie beschichtet Malerisches mit Silikon und brennt Segmente weg, bis eine netzartige Form entsteht, ein biegsames Gespinst aus Linien. Zwitter zwischen Malerei und Skulptur.

Für ihre Ausstellung „Wandler“ hatte sich die Galerie Nord in den Wochen vor der Eröffnung in ihr Atelier verwandelt, viele der Werke entstanden dort. Die Bildelemente sind diesmal aufgespießt, sie hängen in einer Landschaft aus unregelmäßigen Formen, die wie weiße Schollen durch den Raum treiben, durchbohrt von handgeschnitzten Speeren.

Was erst wie Spitze oder farbige Gitter, wie Schaum oder durch die Luft Fallendes aussieht, lässt sich nach einiger Zeit als Porträt erkennen, schließlich blicken einen immer mehr Gesichter in der Ausstellung an. Es ist ein ständiges Vexierspiel, mit der eigenen Bewegung im Ausstellungsraum verändert sich, welche Figuren und Zeichen zueinander in Beziehung treten.

Dass der Blick von Weitem und von Nahem Unterschiedliches zeigt, trifft auch auf ihre roten und schwarzen Tuschezeichnungen zu. Von Weitem sieht man eine dunkle Wolke, eine rote Zusammenballung, pulsierende Masse. Von Nahem entpuppt sich das Gewirr der feinen Striche als ein Gewimmel winziger Figuren. Man sieht Gesichter mit aufgeblasenen Backen, Wind und Sturm strömt aus den Mündern, Fratzen und Kraken werden verwirbelt, Augen quellen hervor, Zähne zeigen sich bedrohlich.

Man kann sich im Detail verlieren: Collage von Nadja Schöll­hammer Foto: Eric Tschernow

Man denkt zurück an Burlesken, wie sie im 17. Jahrhundert Jacques Callot gezeichnet oder im 19. Jahrhundert James ­Ensor gemalt hat. Und fühlt sich als Betrachterin bald selbst ein wenig verschroben, wie ein Insektenforscher mit Lupe, nach übersehenen Details im Gewimmel suchend. Oder als ob man in einem alten Märchenbuch blättert und die hinter Bäumen und Felsen versteckte Dämonen sucht. Augensinn und Sehlust werden gekitzelt, es ist ein ständiges Entziffern und Entdecken, fast als lese man sich in einen Text mit schwer zu deutender Schrift ein.

Nadja Schöllhammers visuelle Fantasien sind ein betontes Gegenteil von digitalen Bilderfindungen. Sie regen ein ästhetisches Erleben an, das ohne technische Hilfsmittel auskommt. Das macht sie anziehend.

Inspiration sind ihr Sagen und Mythen, Geschichten von Verwandlungen, Träumen, Erscheinungen. Da, wo sicher Gewusstes oder klar Erkennbares seine Festigkeit verliert und der Boden der Gewissheiten Risse bekommt, sind ihre Gebilde zu Hause. Das ist bedrohlich, wie das Feuer, mit dem sie arbeitet, dann aber stets auch wieder gebändigt, eingefangen in der ästhetischen Form.

Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten, Di. – Sa., 12–19 Uhr, bis 20. September