Der Klang des Fallens

Tanzt man zur Musik oder begleitet die Musik den Tanz? Die Choreografin Victoria Hauke und der Musiker Andi Otto wollen die Hierarchie zwischen den beiden Künsten auflösen

Ohne Fallen oder Springen kein Klang: Die Komposition wartet darauf, dass die Tänzer*innen die Resonatoren auf dem Boden mit ihren Bewegungen anregen Foto: Florian Schmuck

Von Katrin Ullmann

Seit gut zehn Jahren arbeiten sie schon zusammen, die Tänzerin und Choreografin Victoria Hauke und der Komponist und Sounddesigner Andi Otto aus Hamburg. Eine zen­trale Frage war und blieb dabei über all die Jahre immer virulent: Folgt der Tanz der Musik eigentlich oder begleitet die Musik vielmehr den Tanz? Schon in Andi Ottos Musik ist die Frage angelegt gewesen: Otto komponiert keine Soundtracks, die dann eingespielt werden. Im Gegenteil: Oft wurden seine Kompositionen durch die Choreografien von Hauke gestaltet.

Aber unbeantwortet blieb in ihrer gemeinsamen Arbeit immer die Frage nach der Hierarchie. Und damit der Wunsch, einen Arbeitsmodus herzustellen, der diese Hierarchie zwischen Musik und Tanz völlig auflöst. Dass dazwischen vielleicht nur noch eine Art Interface steht, das vermittelt, übersetzt und schließlich verbindet.

In der Performance „Falling Matters – Gravity Listening Sessions“, die Hauke und Otto jetzt im Resonanzraum im Hamburger Feldstraßenbunker zur Uraufführung bringen, scheint dieses Anliegen endlich aufzugehen. „Es gibt nicht mehr einen von uns beiden, der 100 Prozent entscheidet, was passiert und der andere muss sich dann unterordnen“, sagt Otto.

Denn in den speziellen Boden-Instrumenten, die das Bühnenbild dieser Performance bestimmen, löst sich die Hierarchie und damit auch die künstlerische Frage nach der Henne und dem Ei in einem tanzend bespielten, elektronisch resonierenden Zwischenraum auf. Alle Klänge, die die Performer auf dem Holzboden der präparierten Bühnen erzeugen, transformieren sich letztlich zu Tönen. Die live gestaltete Komposition dieser Töne wiederum wird erst hörbar, sobald ein Körper sich bewegt. Was genau erklingt, lässt sich weder vom Komponisten noch vom Tanz vollständig kontrollieren.

Die Anfangsidee für diese besondere Raum-Klang-Bewegungs-Situation entstand aus einer Untersuchung mit Kontaktmikrofonen, mit denen Otto die Sounds abnahm, die Victoria Hauke in ihrem Probenraum während des Tanzens erzeugte. „So konnte ich hören, wie ihre Füße auf dem Boden klingen, wenn sie einen starken Impuls macht, wie ihr Körper klingt, wenn er fällt.“ Der Sound des Körpers auf dem Holz bildet die Grundlage. Wenn er fällt, entsteht ein Sound. Auch wenn er springt und einen Impuls an den Boden abgibt. „Zu einem späteren Zeitpunkt“, so erklärt Otto den Arbeitsprozess, „habe ich eine Akkordentwicklung über vier Resonatoren komponiert, ohne sie natürlich zu hören – solange niemand fällt.“

Auf speziell präparieren Podesten erzeugen die drei Tänzer*innen in den Aufführungen den Klang also mit, eine Interaktion von Tanz und Musik, ohne dass das eine Medium das andere kommentiert – die Synchronizität ist im System selbst bereits angelegt. Die drei Tänzer*innen – Ümit Yesilmen, Lotta Timm und Robin Rohrmann – bewegen sich und der Klang entsteht dabei.

Der mitagierende Percussionist Manuel Chittka wiederum spielt in erster Linie mit der Intention, Klang zu produzieren. Es sind „stumme Kompositionen“, die Otto für die verschiedenen Podeste vorbereitet hat, die er live mitspielen kann. „Ich kann jederzeit in der Software eine einzelne Bühne ein Level weiter schalten. Und so eine eigene Dynamik erzeugen.“

Gemeinsam der Gravitation zuhören: Andi Otto (vorn links), Victoria Hauke (vorn rechts) und ihre Mitstrei​ter*innen Foto: Florian Schmuck

Aber erst mal steht nur das Soundpotenzial der Bühne fest. Es gibt eine bestimmte Resonanz, aber wenn ein Tänzer etwa mit seinen Schultern, seinem Kinn und seinen Ellbogen die Bühne berührt, klingt es natürlich anders, als wenn er mit seinen Zehen darüber streift. In zyklisch strukturierten „Gravity Listening Sessions“ führt das Team das minimale Bewegungs- und Klangmaterial dann in immer wieder neue Formen.

Heraus kommt Musik, die abstrakt und rational klingen könnte, würde sie nicht von den tanzenden Körpern erzeugt. „Nur durch die Wirkung des Gewichts im Körper entsteht Elastizität im Körper“, erläutert Hauke ihr Interesse für die Schwerkraft, mit der man eher Trägheit als Tanz assoziieren mag, „Es ist wie bei einem Absprung: Da musst du erst runter in den Boden, um in die Flugphase zu kommen.“

„Falling Matters“ ist kein Tanzen zur Musik und kein Komponieren zu Bewegung. Durch ihre Körperlichkeit produzieren die Tänzer*innen zwar etwas sehr Musikalisches, aber entsteht dadurch ein Konzert? Oder doch ein Tanzstück? „Die Synchronizität der beiden Elemente, also Bewegung und Klang, entspricht eigentlich der Wahrnehmung, die ich habe, wenn ich einem Virtuosen beim Spielen auf seinem Instrument zuschaue“, fasst Otto zusammen.

Schließlich, fasst Hauke zusammen: „Das Kerngefühl im Körper, warum man tanzt oder Musik macht, ist, glaube ich, nicht so unterschiedlich.“ Und so sei „Falling Matters“ für sie – und Andi Otto stimmt zu – „eine Tanzperformance, die man auch als Konzert wahrnehmen kann“, ein außergewöhnliches Hybrid und vor allem auch ein Raumkunstwerk, bei dem Körper und Klang zusammen „Jetzt!“ sagen.

Do, 29. bis Sa, 31. 8. sowie 22./23. 10., 19 Uhr, Hamburg, Resonanzraum