Bilder einer Garnison

Zum 25. Jahrestag des Abzugs der sowjetischenArmee aus Deutschland zeigt das Kino Krokodil die Langzeitdokumentation „Lange nach der Schlacht“

Lebensläufe, die sich in der Garnison kreuzen, Karrieren, die dort enden: „Lange nach der Schlacht“ ist ein vielstimmiger Film Foto: Foto:E. Schreiber

Von Fabian Tietke

Die riesige Garnison der sowjetischen Armee im Brandenburger Ort Altes Lager wirkt plötzlich sehr leer. Zusammen mit dem Maler der Garnison, der dort 38 Jahre lang Decken und Wände gestrichen hat, gehen die Filmemacher durch leere Räume, denen die Abnutzung anzusehen ist. Gut vier Jahre drehten die Defa-Filmemacher Eduard Schreiber und Regine Kühn an der Langzeitdokumentation „Lange nach der Schlacht“ über den Abzug der sowjetischen Armee aus Deutschland. Von 1991 bis 1994 filmten die beiden immer wieder in der Garnison und deren Umfeld. Aus Anlass des 25. Jahrestags des Abzugs der sowjetischen Armee aus Deutschland zeigt das Berliner Kino Krokodil den Film in dieser Woche in Anwesenheit der Filmemacher.

Die Umbruchsituation hat sich deutlich in den Film eingeschrieben. Eine Gruppe Soldaten reagiert gereizt, als sie die Filmemacher am Bahnhof neben einem Zug voller Militärgerät entdecken. Die Filmemacher sollen Abstand halten, sollen die Kamera wegnehmen. Einer Gruppe Frauen, die auf einem Markt nahe der Garnison protestieren, ist die Kamera hingegen mehr als willkommen. Sie protestieren dagegen, nach dem Abzug im Atom-Versuchsgelände Semipalantinsk in Kasachstan angesiedelt zu werden. Eine der Organisatorinnen des Protestes, Oksana Iwanowa, ist die erste Russin, die vor der Kamera aus ihrem Leben erzählt. Ihr Mann Alexei beschränkt sich zunächst auf eine kurze Aufnahme in Uniform.

„Lange nach der Schlacht“ ist ein vielstimmiger Film. Lebensläufe, die sich in der Garnison Altes Lager kreuzen, Karrieren, die dort enden. Auf der Feier zum Jahrestag der Oktoberrevolution im November 1991 läuft in einem kleinen Raum zeitgemäße elektronische Musik und ein paar Männer tanzen verloren durch den Raum. Die Stimmung zum Jahreswechsel 1991/2, der das Ende der Sowjetunion brachte, ist gedrückt. In den Gesprächen mit russischen Soldaten und ihren Angehörigen wird neben dem Blick zurück auf das Leben auch Kritik hörbar. Alexei, Oksanas Mann, ist ernüchtert von der Reaktion der Armeeführung auf den Protest der Frauen. Der Sohn des Kulturoffiziers, der als Koch arbeitet und nebenher Musik macht, hat die Nase voll von der Armee und beklagt das System der Dedowschtschina, der systematischen Drangsalierung von jüngeren Soldaten durch ältere in der sowjetischen Armee.

Im Gespräch anlässlich der Aufführung des Films auf dem Internationalen Forum des jungen Films 1996 sagt Regisseur Eduard Schreiber zur Motivation, den Film zu drehen: „Ich bekam plötzlich das Gefühl, dass durch die Veränderung in den östlichen Gesellschaften diese Menschen ihre Biografien verloren. Wir alle machten vielfältige Erfahrungen. Ich hielt es in diesem Moment für wichtig, dass wir mit unserer Arbeit etwas von diesen Biografien bewahren und auch aufarbeiten.“ Folgerichtig ist „Lange nach der Schlacht“ von heute aus gesehen ein äußerst aktueller Film. Das betrifft die deutsch-deutsche Zäsur, die sich im Abzug der sowjetischen Armee spiegelt, das betrifft aber vor allem die Deutschen, die mit und durch die Sowjets gelebt haben: der Maler, der Marktleiter, der Bäcker und viele andere. Willi, Maler der Garnison, räsoniert über die Zügel, die in der Perestroika schleifen gelassen wurden. Bei seinen Kindern habe er auch mal hingelangt. Das habe geholfen. Hans, Marktleiter, gelernter Schäfer und Lebenskünstler, unkt über die Zukunft: „Nach den Russen kommen die Asylanten, und die sind noch schlimmer als die Russen.“ Inmitten der gesellschaftlichen und privaten Umbrüche treten immer wieder Autoritätshörigkeit und Rassismus an die Oberfläche. Es ist eine der Stärken von „Lange nach der Schlacht“, dass er solche Momente neben der Erzählung vom Abzug der sowjetischen Armee stehen lässt. Keiner der beiden wird auf diese Äußerungen reduziert.

„Lange nach der Schlacht“ nimmt sich gut dreieinhalb Stunden Zeit, um anhand des geschichtsträchtigen Abzugs der sowjetischen Armee eine Bestandsaufnahme der Gegenwart der 1990er Jahre zu unternehmen. Die Vielstimmigkeit, die den Film auszeichnet, sorgt dafür, dass der Film sich dennoch nie lang anfühlt. Eduard Schreiber und Regine Kühn haben diesen Film in der einzig sinnvollen Art angelegt, in der ein solches Dokument Sinn macht: nahe an den Menschen. Man muss dem Kino Krokodil dankbar sein für die Möglichkeit zu einer Wiederbegegnung mit diesem Film.

„Lange nach der Schlacht“. D 1995, Regie: Eduard Schreiber, Regine Kühn. Am 22. 8. um 19 Uhr im Kino Krokodil zum 25. Jahrestag des Abzugs der sowjetischen Armee aus Deutschland