Den Vibe auf den Punkt gebracht

Berliner Edelpunks haben einen Anlass gefunden, um ihren feinen Zwirn mal wieder auszuführen: das Flipper-Konzert im Bi Nuu

David Yow nimmt ein Bad in der Menge Foto: Roland Owsnitzki

Von Jens Uthoff

Selbst Mike Watt schüttelt irgendwann ungläubig grinsend den Kopf angesichts der Szenen, die sich gegen Ende dieses Konzertabends abspielen. Während er selbst weiter stoisch den Bass zupft, ist die Bühne von Tänzerinnen und Tänzern bevölkert, die meisten von ihnen Ü50, einer bohrt den Mikroständer in die Decke, Sänger David Yow ist derweil längst in der Menge verschwunden. Auf der Bühne hat sich zudem das Oberkreuzberger Nasenflötenorchester in Mannschaftsstärke eingefunden, die Altherren-Flötisten um Chris Imler unterstützen die kalifornischen Gäste während ihres letzten Songs: „Sex Bomb“, ein Klassiker der Band (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Stück von Tom Jones), bei dem immer und immer wieder auf einer Akkordfolge herumgeritten wird. Diesmal nicht nur auf Gitarren, sondern auch auf Nasenflöten.

Bei der Band, die für diese Abrissparty im Bi Nuu verantwortlich zeichnet, handelt es sich um Flipper aus San Francisco. Flipper, gegründet 1979, darf man als Post-Hardcore-Pioniere bezeichnen, als Legende gar, allerdings blieb die Combo – wie viele andere, die für Gruppen wie Sonic Youth oder Nirvana den Boden bereiteten – ein Szenephänomen. Zum 40-jährigen Bandjubiläum tourt das Quartett nun noch mal durch Europa. Von den Gründungsmitgliedern sind Gitarrist Ted Falconi sowie Schlagzeuger Steve DePace geblieben, die ehemaligen Sänger Ricky Williams und Will Shatter sind früh verstorben, Ersterer an einer Atemwegserkrankung, Letzterer an Drogen. Mit David Yow von The Jesus Lizard und Mike Watt von Minutemen hat man nun aber eine Besetzung aus dem Hut gezaubert, die Flipper glaubwürdig verkörpert. Und wie.

In erster Linie liegt das an David Yow, der wie ein Wahnsinniger auf der Bühne herumtobt. Yow, schütteres Haar, schwarzes, gestreiftes Hemd, gibt den Wüterich, er schreit, tobt und rotzt auf die Bühne, wiederholt in Endlosschleife Verse wie „Life is pretty cheap“ zu plätschernden Akkorden. Von Beginn an wirkt er angeknockt – diverse Drinks und Sonstiges dürfte er intus haben.

Von daher ist man fast erstaunt, dass der Mann dieses Konzert durchsteht und in der Lage ist, aus den Tiefen seiner Lunge derart urwüchsige Töne herauszupressen – zum Beispiel, wenn er Hits wie „Sacrifice“ (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Stück von Elton John) singt. Beim Refrain des Dada-Punk-Klassikers „Ha Ha Ha“ muss er sich immerhin nicht so viel Text merken: „Ha ha ha ha ha ha ha ha / Ho ho ho ho ho ho ho ho / He he he he he he he he“ (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Hertha-BSC-Fangesang) singt Yow, während er durch den Saal taumelt. Das Stück funktioniert übrigens so ähnlich wie Lachyoga, auch da waren Flipper ihrer Zeit weit voraus.

Der Dada-Punk-Klassiker „Ha Ha Ha“ funktioniert so ähnlich wie Lachyoga – auch da waren Flipper ihrer Zeit weit voraus

Die restlichen Bandmitglieder schauen sich das Spektakel fast wie Unbeteiligte aus der Ferne an, sie haben auch den etwas leichteren Job an dem Abend, denn Flipper-Stücke sind eher langsam und noiserockig. Ted Falconi kann so gemächlich in die Saiten hauen, sich gar zwischendurch die zusammengebundenen grauen Dreads richten und der Dinge harren; und auch Drummer Steve DePace wird wohl inzwischen froh sein, dass die Stücke in seniorenfreundlichem Tempo geschrieben sind.

Nicht nur auf, sondern auch vor der Bühne dominieren die reiferen Jahrgänge: Kreuzberger Edelpunks haben einen Anlass gefunden, um ihren feinen Zwirn mal wieder auszuführen, auch die etwas streetpunkigere Variante – Muscle Shirt, Tattoos – geht stiltechnisch durch. Ein paar wenige Jüngere sind dazwischen, überwiegend sieht man im gut gefüllten Saal aber Grauschöpfe. All jenen zaubern Flipper vom ersten Song an ein Lächeln ins Gesicht. Denn das Lied, das den ganzen Vibe der großen Hardcore- und Indie-Ära auf den Punkt bringt, spielen sie gleich als Erstes. „The lights / And the sound / And the rhythm / And the noise / Hit my body / Like a thousand dances“, singt David Yow im Auftaktstück des Albums “Gone Fishin'“(1984). Nach den darauffolgenden knapp achtzig Minuten weiß man genau, wie er das meint.