Sachsentour: Glashütte ist wie Champagner

In Freiberg sagt „Glück auf“, wer „Guten Tag“ meint. Denn dort war man Jahrhunderte unter Tage. In Glashütte aber macht man längst Uhren.

Ein Haus an der Straße, kein Auto in Sicht. Auf einem Wahlplakat der FDP steht "Stau stoppen"

Wanderung auf Sachsens Landstraßen: Viel los ist nicht. Staus gibt es auch keine Foto: Waltraud Schwab

FREIBERG/GLASHÜTTE taz | Es ist Raunen. Es ist angehaltener Atem. Es ist Schalk in den Augen und Wut. So fühlt sich das Warten an auf die Wahl in Sachsen am 1. September.

Auf den Tag 80 Jahre nach dem Überfall der Deutschen auf Polen ist sie. Und ein Viertel der Wahlberechtigten wollen, so die Prognosen, AfD wählen – also völkisch. Warum? Da kommt das Raunen aus Freiberg ins Spiel: „Wegen Merkel 2.0“, sagt ein Mann, der mit der AfD sympathisiert. „Wegen DDR 2.0“, sagt ein anderer. Und ein Taxifahrer: „Wegen Diktatur 3.0“. Der meint: 1 ist Drittes Reich, 2 ist DDR, 3 ist BRD. Auf Nachfragen im Freiberger AfD-Büro wird das präzisiert: Da sei kein Rechtsstaat mehr, keine Meinungsfreiheit, die Presse sei gelenkt, „man kann nicht sagen, was man denkt“. Warum, Sie tun es doch? „Aber man kriegt Ärger auf der Arbeit, in der Schule.“

Das AfD-Büro in der Kesselgasse 10 liegt gegenüber dem Laden der Grünen im Haus Nummer 9. Sie können sich gegenseitig in die Räume gucken. „Aber wir waren zuerst da“, sagt die junge Grüne und Fridays-for-Future-Aktivistin, die in der Nummer 9 Flyer faltet. Bei der Eröffnung des AfD-Ladens hätten auch die Grünen eine Party gefeiert. „Wir hatten mehr Spaß.“ Ansonsten: Wer in der Region lebt, muss sich mit AfDlern arrangieren. „Ich habe Kommilitonen, die AfD sind“, sagt die junge Grüne. Sie studiert Umweltingenieurwesen an der Technischen Universität Freiberg. Der AfD-Direktkandidat von gegenüber, Rolf Weigand heißt er, ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Keramik, Glas- und Baustofftechnik. „Fachbereich Braunglas“, so sei der Jargon an der Uni, denn Weigand ist nicht der einzige Braune, der dort lehrt.

Eine Stadtansicht aus Freiberg in Sachsen. Schmucke restaurierte Häuser. Im Hintergrund der Dom. Nur ein Auto parkt in der Straße, menschen sind keine zu sehen

Freiberg in Sachsen verbietet Autos in der Innenstadt Foto: Waltraud Schwab

Freiberg in Sachsen, 40.000 Einwohner und Einwohnerinnen, mit ältestem Stadttheater der Welt, einer Universität, einem Schloss, repräsentativen Plätzen und Kirchen, ist eine kulissentaugliche Stadt. Komparsen indes fehlen auf den aufgeräumten, schmucken Straßen. Seit der Verkehr weitgehend aus dem Zentrum verbannt ist, erinnern sich die Leute nur langsam, dass Städte für Menschen sind, nicht für Autos. Gleich jedoch werden Hauptfiguren auftreten: die Silberstadtkönigin, die Leiterin des Bergbaumuseums, Leute, die durch die Reiche Zeche führen, über 200 Meter unter der Erde. Ohne 800 Jahre Silbererzabbau wäre die Stadt nur ein Dorf, sagt einer.

Das ganze Erzgebirge ist unterkellert. 14 Kilometer Stollen, Gänge, unterirdische Straßen hat allein die Reiche Zeche. Geschätzte 5.000 Tonnen Silber wurden über die Jahrhunderte dort abgebaut. In Bergbauregionen gibt es eine Vorstellung von gelebtem Leben unter der Erde, auch Jahre nachdem die Erzadern ausgebeutet, die Zechen stillgelegt sind, wie die in Freiberg 1969. Heute wird sie für Forschungszwecke genutzt. Für mich aber, die das alles nicht kennt, ist unter der Erde der Tod.

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Ob die Nähe zum Unterirdischen erklärt, warum in der Region die AfD so stark ist? Die Frage ist absurd. Die Silberstadtkönigin kann nichts damit anfangen. Die junge Frau repräsentiert Freiberg, aus dem Politischen hält sie sich raus. Aber auch sie, die noch ganz beseelt ist, dass sie nun Königin ist, und die privat die Messtechnikfirma ihres Vaters leitet, muss sich im Alltag mit AfDlern arrangieren. „Freunde, die plötzlich auf Facebook Zeug posten und so.“

Anders die Leiterin des Bergbaumu­seums, Andrea Riedel. Sie lässt sich auf die Frage nach dem Unterirdischen ein. „Der Bergbau gibt der Region Identität“, sagt sie, „bis heute.“ Als Museum müssten sie nicht nur zeigen, wie die Arbeitsbedingungen untertage waren, sie müssten auch aufarbeiten, was die soziohistorischen Wirkungen sind. Das sei vernachlässigt worden. Fakt nämlich: dass es die Bergarbeitervereine bis heute gebe, dass sie Paraden abhalten, dass der Stolz der Region sich daran zeigt. „Glück auf, sagt in Freiberg, wer „Guten Tag“ meint, sagt sie.

Neuerdings, wo man um Lithium, Wolfram und Seltene Erden im Erzgebirge weiß, könnte es ein Bergbaurevival geben, eins mit Maschinen- statt Manpower. Riedel fürchtet, dass die Konzessionen an ausländische Firmen vergeben werden und dass das den Neid derer, die meinen, zu kurz gekommen zu sein, erst recht verstärkt. „Im Rat ist die AfD stärkste Partei“, sagt sie. Sie habe Bauchschmerzen, wenn sie an den 1. September denkt.

Weiter nach Glashütte wandern

Genug Freiberg, auf nach Glashütte – zu Fuß. Zwei Dörfer hinter der Stadt fällt das GPS aus, der Akku ist leer. Aber die Sachsen sind hilfsbereit. Im Goldenen Löwen in Niederbobritzsch gibt es Strom, Pommes und ein Gespräch mit dem Wirt. Der sitzt im Gemeinderat und im Kreistag für die AfD. Es sind seine Augen, die funkeln. Ich verstehe nicht, was die AfD will, sage ich. Er: „30 Jahre Wende, 30 Jahre Versprechen, die nicht eingelöst wurden.“ Aber in Sachsen, da laufe doch alles: niedrige Arbeitslosigkeit, beste Schulergebnisse, die Häuser in Schuss und noble Autos davor. Und er, ja, und nein, und dass der Rechtsstaat kein Rechtsstaat mehr sei, dass die Bürokratie die Menschen erdrossle, dass der Klimawandel herbeigeredet werde, um Steuern zu kassieren. Dazu der Genderquatsch, „gewollt ist, dass es Mann und Frau gibt“. Aber klar, er kenne wen, der früher Frau und jetzt Mann sei, und was für ein Leiden das sei, der Weg dahin. „Da sind wir uns sicher einig.“

Und wie sieht seine Politik im Gemeinderat aus, wo er schon lange dabei ist, früher bei den Freien Wählern. Er zählt auf, dass sie die Verschuldung reduzierten, Gewerbe ansiedelten und Wasser und Abwasser in Ordnung brachten. Und dass sie in jedem größeren Ortsteil eine Schule hätten. Darauf sei er stolz. Aber Flüchtlinge holen, um mehr Kinder in den Grundschulen zu haben, nein, da kriegt er Gänsehaut. Dagegen sei er für längeres gemeinsames Lernen, „da sind wir uns wieder einig. Oder?“. Wenn so erfolgreich, warum dann AfD? Da funkeln seine Augen mehr. Es geht um Macht.

Je länger wir streiten, desto mehr Saft kriegt der Akku, um weiterzugehen, die sanften Hügel entlang über Colmnitz, Neuklingenberg, Obercunners- und Höckendorf. Dort im Hotel sagt die Wirtin, es müsse doch mal Schluss sein, immer Opfer bleiben, wie bequem. Sie wisse, was sie wähle. Seit 30 Jahren das Gleiche.

Und am nächsten Tag wieder weiter durch die Wälder, an Stoppelfeldern, Windrädern und versiegten Brunnen vorbei, kein Mensch auf dem Weg, nur Schmetterlinge, Schafe, Vögel.

Felder, dazwischen auf dem Feldweg der Schatten einer Wandererin

Unterwegs in Sachsen: Niemand begegnet einem Foto: Waltraud Schwab

Ein Überraschungsanruf

Unterwegs ruft Uwe Ahrendt an – eine Überraschung. Gebürtiger Glashütter aus einer Uhrmacherfamilie ist er und lebt dort. Er sitzt für die Grünen im Kreistag und im Glashütter Gemeinderat und war schwer zu erreichen: keine Zeit, Verpflichtungen, Schuleingangsfeier. Und am Wochenende haben die zehn Uhrenmanufakturen in Glashütte sowieso zu. Von einer, von Nomos, ist er der Geschäftsführer und Mitinhaber. Wo ich stecke, fragt er? Bei Berreuth. Er könne mich abholen, den Weg verkürzen, wir könnten im Auto reden.

Am Kirchplatz in Dippoldiswalde warte ich neben einer Frau auf einer Bank. „Schöne Stadt“, sage ich. „Ja, Dibbs ist hibsch.“ Sie ist korpulent, mit Zahnlücke und einer Tüte von Kik zwischen den Beinen. Sie käme von der Nachtschicht, sei Krankenschwester in Dresden, jetzt ruhe sie sich aus, zu Hause sei Trubel. Wie sie die ganze Sache mit der Wahl sieht? „Ich weiß auch nicht, wo das noch hinführen soll“, sagt sie. Da fährt ein hellblauer Mercedes die Straße hoch, Baujahr 62. Uwe Ahrendt am Steuer. „Das Auto hat eine tolle Farbe“, sage ich, „fast die Ihrer Augen.“

Wir fahren nach Glashütte. Er liebt die Stadt, die doch ein Dorf ist mit Weltruf. „Was Champagner beim Sekt, ist Glashütte bei den Uhren.“ Der Ortsname ist geschützt, deshalb gibt es im Kernort 1.700 Menschen und 1.800 Arbeitsplätze. Uhren haben Glashütte gerettet, nachdem der Bergbau im 19. Jahrhundert „ausgeerzt“ war. Der Ort hat städtisches Flair.

Ein hellblauer Mercedes, Baujahr 62. Daneben ein Mann

Uwe Ahrendt fährt Oldtimer udn tut, was er kann, damit Glashütte lebenswert ist Foto: Waltraud Schwab

Ahrendt hat sich öffentlich gegen rechts positioniert. Allein 20 Prozent AfD bei den Kommunalwahlen im Frühjahr in Glashütte, dem Kernort, wo die Leute ein gutes Auskommen haben. Es gab Nachfragen von Kunden weltweit. Was ist bei euch los? Ahrendt glaubt, die ganze Wut habe damit zu tun, dass den Menschen so viel zugemutet wurde, die Wende, Globalisierung, Flucht, Digitalisierung – „alles wurde auf den Kopf gestellt“. Jetzt noch der Klimawandel.

Er tut, was er kann, sitzt im Kreistag und Ortschaftsrat, neuerdings für die Grünen. Als Hochwasser war, hat er Spenden eingesammelt, um sie den Leuten zukommen zu lassen, die das Wasser ins Unglück stürzte. Zuletzt hat Nomos die leerstehende katholische Kirche gekauft, um Veranstaltungen zu ermöglichen, denn für die jungen Leute in Glashütte gibt es nicht viel. Ahrendt will Vorbild sein. Uneitel, den Leuten zugewandt. „Ein toller Typ“, sagt ein junger Uhrmacher, der später das Uhrenmuseum zeigt, „man kann mit allem zu ihm kommen.“ Stimmt, denn als wir in Glashütte ankamen, fehlte mein Notizheft. Es lag im Hotel. Ich stand da, wie nackt und ohne Gedächtnis. Da kehrte er um und fuhr zurück.

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