Eröffnung der Ruhrtriennale: Wer bis ans Ende beharrt

Die Ruhrtriennale eröffnet mit einem Stück über den wachsenden Rassismus und Antisemitismus. Kann man dem mit leiser Ironie beikommen?

Schauspielerinnen auf Stühlen

Die letzten Tage liegen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Foto: Matthias Horn/Ruhrtriennale 2019

Johan Simons hatte seine Intendanz der Ruhrtriennale noch mit dem empha­tischen Motto „Seid umschlungen!“ über­titelt. Dieses Schiller-Zitat aus Beethovens Schluss­chor der „Neunten“ wollte er durchaus politisch verstanden wissen. Simons’ Grundgestus blieb aber optimistisch.

Beethovens berühmter Schluss­chor kommt nun in der Eröffnungspremiere von Stefanie Carps zweiter Spielzeit als Ruhrtriennale-Intendantin erneut zum Einsatz: In Christoph Marthalers „Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend“ hallt er als in einzelne Silben zerhacktes Zitat im zynischen Dialog mit einer nationalistischen Rede von Viktor Orbán nach. So ändern sich die Zeiten.

Kommt man mit dokumentarischem Eifer und leiser Ironie dem wachsenden Rassismus und der Erosion der Demokratie bei? Diese Frage drängt sich auf nach den langen zweieinhalb Stunden, die Marthaler im Bochumer Audimax braucht, um in bewährter Zeitlupenmanier Rechtspopulismus, Rassismus, Sprachverfall und Demokratieverfall in nahezu ungefilterter Form vorzuführen.

Bereits die Tatsache, dass dieser „Spätabend“ nur eine Ak­tua­li­sierung einer Produktion ist, die bereits 2013 in Wien unter dem Titel „Letzte Tage. Ein Vorabend“ zu sehen war, stimmt nachdenklich, denn zu den Prinzipien der Ruhrtriennale gehörten stets originäre Eigenproduktionen, die dort erstmals zu sehen waren, bevor sie in den Verwertungskreislauf des internationalen Festivalzirkus eingespeist wurden.

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Auch der Aufführungsort, das Bochumer Audimax widerspricht dem Grundkonzept der Ruhrtriennale, gezielt die strukturgewandelten In­dus­trie­hallen zu bespielen. Es hat den Anschein, als ob bei dem Leuchtturmfestival ein Paradigmenwechsel im vollen Gange ist. Problematischer als diese formalen Bedenken aber ist der Abend selbst, der viel feine Ironie, suggestive Musik und herzzerreißenden Gesang bietet, aber auch Banales und seltsam Unreflektiertes.

Möglicherweise wollten Mar­thaler und Carp ja Hannah ­Arendts sprichwörtliche „Banalität des Bösen“ illustrieren, der Marthaler-Figurenkosmos jener Unglücksraben, die sich vergebens mühen, das Leben zu bewältigen und in ihren lächerlichen Zwängen rührend sind, sperrt sich gegen die Größe des Problems. Denn hier sind unverhohlene Kopien von heutigen Populisten auf der Bühne, Alice-Weidel- und Sebastian-Kurz-Lookalikes und Alexander-Gauland-Wiedergänger.

Im Bochumer Audimax

Ihre Texte sind Montagen aus Reden und Äußerungen aus vergangener Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts und der Zwischenkriegszeit mit aktuellen Worten aus den Mündern und Twitter-Accounts von Populisten von Viktor Orbán bis Boris Johnson und aus dem Gedankengut von Identitären und Rassisten. All das erklingt ungefiltert und quält alsbald. Der einzige eindringliche Moment der überlangen Textstrecken ist die zutiefst antisemitische Rede des einstigen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger von 1894, die der große Josef Ostendorf mit leiser Stimme völlig gleichmütig verliest und mit dieser demonstrativen Gemütlichkeit frösteln lässt.

Das Bochumer Audimax gehört zur kleineren Hälfte dem Publikum, die größere Hälfte des Amphitheaters bespielen Marthalers Darsteller, auf halber Höhe sitzt ein Kammermusikensemble, dessen Besetzung die disparaten Zusammenstellungen der KZ-Orchester zitiert. Das Geschehen spielt im mittleren 22. Jahrhundert und verschränkt Vergangenheit, Gegenwart und zu Zukunft. Zunächst werden fünf Putzfrauen eingewiesen, den Parlamentssaal abzustauben, in dem „nichts mehr stattfindet“.

Die Demokratie ist zur reinen Repräsentation verkommen, im Saal finden lediglich Ehrungen und Gedenkveranstaltungen statt. Eine solche soll nun anlässlich des 200-jährigen Gedenktags der „Schließung“ des KZs Mauthausen stattfinden. Nicht mehr von Befreiung, sondern von Schließung ist die Rede – ein Verweis auf den schleichenden Sprachwandel im öffentlichen Diskurs. Dann wird „seine Exzellenz, der Kaiser von Hohenzollern Europa“ begrüßt und der Rassismus zum Weltkulturerbe erklärt.

Der Abend will zu viel

Die berührenden Momente des Abends gehören der Musik, die Uli Fussenegger ausgewählt, grandios arrangiert und instrumentiert hat: Es beginnt sehr leise mit einem gesummten Dreiklang und endet noch viel leiser mit verklingenden Echos aus Felix Mendelssohn-Bartholdys Chor „Wer bis ans Ende beharrt“. Ferner erklingt Musik in der Nazizeit verfemter Komponisten wie Ernest Bloch, Pavel Haas, Viktor Ullmann und Erwin Schulhoff, kombiniert mit Fragmenten ikonischer Werke des klassischen Repertoires wie etwa Beethovens „Neunter“.

Hinzu kommen Zitate aus Pop und Schlager und Luigi Nonos „Ricorda cosa ti hanno fatto in Auschwitz“. Wie ein Cantus Firmus zieht sich ein Fragment von Viktor Ullmann durch den Abend, das mit jeder Variation trauriger und trauriger wird. Das alles ist suggestiv komponiert, perfekt musiziert und gesungen vom musikalischen Marthaler-Ensemble.

Problematisch dagegen bleiben die Texte, die populistische und antisemitische Äußerungen eins zu eins wiedergeben und einzig durch das ironische Spiel der Darsteller konterkariert werden. Das wirkt auf die Dauer enervierend banal und lässt tiefer lotende Analysen vermissen. Der Abend will zu viel, Marthalers politischer Scharfsinn, der sonst aus Alltagsbeobachtungen wächst, will hier nicht greifen. Enden wollender, freundlicher Applaus beschließt den seltsam kraftlosen Abend.

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