Greta, Bolsonaro und #unteilbar: Klugscheißern hilft nicht

Wenn die Welt brennt sollten keine Nebenwidersprüche diskutiert werden. Statt zu belehren muss jeder erkennen: Der andere ist immer man selbst.

Zwei Hände, überkreuz ausgestreckt. In den Handflächen steht : Our lives are in our hands

Macht mal n Punkt bei den Nebenwidersrüchen Foto: Unsplash/Paddy O'Sullivan

Diese Woche musste ich mal wieder besonders oft in eine Papiertüte atmen. Papier, ja doch, kein Plastik. Allerdings nicht, um meinen Methanausstoß zu reduzieren (wie man es jetzt für Kühe plant, damit sie auch in Zeiten des Weltuntergangs weiter fröhlich Grünflächen – und der Mensch wiederum weiter fröhlich sie vertilgen kann), sondern um nicht zu kollabieren.

Die Gründe, zu kollabieren, sind ja seit hundert Jahren mehr oder weniger dieselben: Es gibt die, die das Menschenleben schätzen und schützen, und die, denen es wurscht ist. Manche nennen die erste Gruppe links und die zweite rechts, aber da wird’s dann kompliziert und ganz falsch, weil ja auch Linke sehr oft Menschenleben gehasst und vernichtet haben. Von der Natur, die der Mensch zum Leben braucht, gar nicht zu reden. Ich sag nur: Kohlekraft für Arbeitsplatz, oder wie der stumpfe Slogan heißen mag. Und weil natürlich auch manchen Linken manche Menschenleben mehr wert sind als andere. Was immer Quatsch ist. Ein Menschenleben ist immer genau so viel wert wie alle anderen. Steht auch in der Verfassung, aber da schaut man ja nicht so oft rein.

Links und rechts taugen also nicht, um den Graben zu beschreiben, der die Welt zerreißt. Das Dumme ist nur, dass die, die das Leben hassen – die Anhänger der Salvinis, Höckes und Gaulands, der Putins und Trumps und Bolsonaros – sich wie ein Feuer ausbreiten, während die anderen betroffen rumstehen. Und streiten. Aber sich dabei sehr schlau fühlen. Schlauer als die Deppen, die die Deppen wählen, sowieso, weil die halt einfach die Zusammenhänge gar nicht kapieren. Schlauer aber auch als die anderen Menschenfreunde. Bevor man sich mit dem Spalter neben sich gemein macht, lässt man lieber die Deppen gewinnen. Dieses Schauspiel konnte man in der Geschichte schon hundertmal beobachten, und immer hat es in irgendwelche Katastrophen geführt, aber an denen waren nie die schlauen Menschenfreunde, sondern immer nur die Dummen schuld. Ein Glück.

Wenigstens hat man sich nicht die Hände schmutzig gemacht und einem Weißwurst essenden CDUler die Hand gereicht. Wenigstens hat man ein 16-jähriges Mädchen darauf hingewiesen, dass seine Mühen, ein Zeichen zu setzen, und den Atlantik segelnd und kotzend zu überqueren, sinnlos waren und es zum UN-Klimagipfel besser geflogen wäre. Wäre emissionsärmer gewesen, Dummchen.

Mehr als klugscheißern kann ein Einzelner in diesen komplexen Zeiten einfach nicht leisten, sorry. Es gibt eben kein richtiges Leben im falschen. Ich denke ja, Adorno hat es genau andersrum gemeint: Als Einzelner kannst du es halt eh nie hundertprozentig richtig machen, drum reg dich nicht auf und arrangier dich mit den Widersprüchen. Widersprüche aushalten ist heute aber völlig aus der Mode.

Hirn und Herz machen in seltener Einigkeit gern diese Übersprungshandlung: Nebenwidersprüche zu suchen, die dann erst mal ganz dringend aufgelöst werden müssen, bevor man das große Ganze angeht

Klar, das Problem ist schon, dass man angesichts eines brennenden Regenwalds, schmelzender Gletscher, ertrinkender Menschen als Einzelner augenscheinlich tatsächlich wenig ausrichten kann. Widersprüche hin oder her. Zumindest, solange man sich nicht organisiert, aber dann sind da wieder diese Idioten mit auf der Demo, im Plenum, im Ausschuss oder in der Partei, die ihren Adorno ganz falsch und ihren Negri und Hart gleich gar nicht gelesen haben und die einen ganz anderen Weg wollen als man selbst, und ach …

Überhaupt müsste man sich ja seiner Scheißangst vor dem Feuer, dem Wasser, dem Tod stellen, wenn man sie ernsthaft bekämpfen wollte. So viel Terror hält das Hirn aber schlecht und das Herz gar nicht aus, deshalb machen beide in seltener Einigkeit gern diese Übersprungshandlung: Nebenwidersprüche zu suchen, die dann erst mal ganz dringend aufgelöst werden müssen, bevor man das große Ganze angeht. Wie eine Hausfrau, die noch schnell den Abwasch macht, wenn der Dachstuhl brennt. Oder ich, die zwei Minuten vor der Deadline noch Kaffee kocht.

Ja, vielleicht ist es so: Die ganzen superwichtigen Debatten über den richtigen Klimaschutz (nichts essen, nicht atmen, nicht bewegen), den richtigen Feminismus (mit Binnen-I, klar, aber mit oder gegen weiße Männer?), den richtigen Umgang mit Rechten (anschweigen oder belehren?) sind reine Prokrastination. Geschundene Zeit, die den anderen Vorsprung verschafft. Zeit, in der die anderen, die Deppen, einfach Wahlen gewinnen. Mit Leuten und durch Leute, die vielleicht nicht unbedingt Menschen hassen, die es aber hassen, belehrt zu werden. Die (genau wie die nervigen Leute auf der Demo, im Plenum), wenn man die lästige Ideologie und den ganzen kulturell aufgepfropften Kram mal abzieht, genau so sind wie ich: voller Angst. Voller Hoffnung auf ein gutes Leben.

Aber ohne jeden Bock, vollkommen sein zu müssen, um zu den Guten zu gehören.

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