DIE Ostdeutschen gibt es nicht: Keine regionale Identifikation

DIE Ostdeutschen hat es nie gegeben. Denn die Einwohner der „neuen Bundesländer“ sind keine homogene Einheit. Das hat geografische wie mentale Gründe.

Was ist schon typisch ostdeutsch? Foto: dpa

Ach die Achtziger, ich habe haargenau auch mal so ausgesehen wie dieser Jugendliche auf dem Bild an der Wand. Roger Melis hat wie beiläufig drei junge Leuten fotografiert, ein Mädchen, zwei Jungs. Einer von ihnen hat eine Popper­frisur mit diesem übermäßigen Pony, der das halbe Gesicht verdeckt. Die Kopfbewegung dazu, um die Poppertolle wenigstens für eine Sekunde vom Auge wegzuwedeln, habe ich noch drauf. Im Rückblick würde ich zugeben, dass ich ein paar Jahre lang quasi einäugig durchs Leben ging. Eine passende Metapher, kurz vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen.

Die Ostdeutschen stehen mal wieder im Fokus. „Die Ostdeutschen“, so war auch die Ausstellung mit den genialen Fotografien von Roger Melis betitelt. Man kann sie sich im gleichnamigen Bildband (Lehmstedt Verlag) nachträglich zu Gemüte führen. Ein in die Irre führender Titel für eine Schau mit über 150 „Fotografien aus drei Jahrzehnten DDR“, wie der Untertitel treffender hieß. Denn die Ostdeutschen gibt es nicht. Das ist ein Konstrukt aus Nachwendezeiten, eine ethnologische Zuschreibung, wie sie ganz ähnlich schon den amerikanischen Ureinwohnern und anderen Ethnien widerfuhr.

Zu DDR-Zeiten nannte sich niemand ostdeutsch. Aber wie dann? Das Wort DDR-Bürger – eigentlich Bürger der DDR – nahm keiner in den Mund. „Ich bin DDR-Bürger“, das gab es nicht im Alltagssprachgebrauch; der sich bekanntlich erheblich vom DDR-Amts- beziehungsweise Staatsdeutsch abhob. Am ehesten gab der Heimatort eine verbale Verankerung. Der nächstgrößere administrative Rahmen zum Dorf oder zur Stadt war der Kreis, dann der Bezirk, in meinem Falle der Bezirk Schwerin. „Ich komme aus dem Bezirk Schwerin“, das klang einfach grausig, war aber irgendwie okay.

Wobei: Die DDR hatte ihren Einwohnern im Jahr 1952 die Länder und damit die Ländernamen genommen. Mit den Jahren kam es auch bei Älteren zwangsläufig aus der Mode, davon zu sprechen, Mecklenburger, Brandenburger oder Sachse zu sein. Regionale Identität ging verloren. Ich würde so weit gehen zu behaupten: Die normalen DDR-Bürger haben sich deshalb nicht groß als irgendwo örtlich/administrativ zugehörig benannt, es sei denn, sie oder er musste das vor offiziellen Stellen tun.

In Mecklenburg-Vorpommern machten die Heimatvertriebenen rund 45 Prozent der Bevölkerung aus

Das wurde mit der Wende anders. Die Länder wurden wieder eingeführt. Zaghaft begannen die Mecklenburger, sich wieder Mecklenburger zu nennen. Aber immer noch nicht Ostdeutsche. Und die kann es auch gar nicht geben. Weil Mecklenburger (um mal beim gewählten Beispiel zu bleiben) anders ticken als Sachsen. Die Norddeutschen sind den Mecklenburgern näher als die Thüringer. Das hat geografische wie mentale Gründe. Die Einwohner der ostdeutschen Bundesländer sind alles andere als eine homogene Einheit. Denn sie kommen zu großen Teilen sonst wo her. Aus ehemals deutschen Gebieten in Polen, Russland, Tschechien – also aus Schlesien, ­Ostpreußen oder dem Sudetenland.

Das hat eine lange Geschichte, die vor allem in der DDR als tabu galt. Aber die kleine DDR mit ihren 17 Millionen Einwohnern hat nach dem Zweiten Weltkrieg ungleich mehr Heimatvertriebene aufgenommen als die Westzonen. In Mecklenburg-Vorpommern machten die Heimatvertriebenen rund 45 Prozent der Bevölkerung aus. Muss man sich mal vorstellen! Meine Oma, aus Schlesien geflohen und mit zwei Kindern in Mecklenburg hängen geblieben, hat mir davon erzählt, wie das zuging, als die Heimatvertriebenen in Mecklenburg strandeten.

Sie waren nicht willkommen. Wurden geschnitten. Blieben unter sich. Bei einem Bauer einquartiert, ließ dieser nachts den Hund frei auf dem Hof laufen, damit niemand von den Habenichtsen auf den „Donnerbalken“ kam. Ja selbst noch im Tode wurde deutlich gemacht, wer wer war. Auf dem Friedhof standen die Alteingesessenen auf der einen Seite des Grabs, auf der anderen die Neuen, die Anderen, die Fremden. So etwas setzt sich fest in den Seelen. Und wirkt fort.

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In der DDR geboren, in Westmecklenburg aufgewachsen, Stahlschiffbauer (weil Familientradition) gelernt, 1992 nach Berlin gezogen, dort und in London Kulturwissenschaften studiert, 1995 erster Text für die taz, seit 2014 im Lokalteil Berlin als Chef vom Dienst und Redakteur für Kulturpolitik & Queeres.

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