Fußballturnier Brot & Spiele: Sound of Fußballkultur

Der Verein Brot & Spiele organisiert sport- und fußballkulturelle Events. Etwa den Brot & Spiele Cup zwischen Freizeitteams und Geflüchteten.

Bunte Fußballkultur in Berlin Foto: DPA

Die Bundesliga-Spielplaner haben Christoph Gabler eine Chance gegeben. Er könnte es am 25. August noch zum Spiel Hertha gegen Wolfsburg ins Olympiastadion schaffen. Zuvor hat er selbst ein wichtiges Fußballturnier, den Brot & Spiele Cup im Jahn-Sportpark. Der Fußballliebhaber Gabler ist Mitglied sowohl bei Hertha BSC als auch im Verein Brot & Spiele, der das Turnier mit Teams von Geflüchteten, Fanklubs oder Freizeitmannschaften zum fünften Mal veranstaltet. Gablers Verbundenheit mit beiden Vereinen hat keinen direkten Zusammenhang, aber einen indirekten. Im Jahr 2000 war Gabler nach Berlin gekommen, nachdem er in Tübingen Ethnologie studiert und für seine Magisterarbeit „Fußball und Identität“ jugendliche Fußballfans im indischen Kalkutta beobachtet hatte.

Sein eigener Beziehungsstatus in puncto Fußball und Identität lautete in seiner frühen Berlinphase: ungeklärt. Als Scheidungskind von zwei Vätern in zwei grundverschiedene Fanausrichtungen gelenkt (VfB Stuttgart und KSV Hessen Kassel), fristete er zunächst ein „Fußballkneipendasein“, ehe er mit Schicksalsgenossen ausbrach – ins Olympiastadion. „Wir waren auch bei Union, die fanden wir toll, aber wir wollten Bundesliga-Fußball sehen.“ Ein Projekt nennt er rückblickend seine Hertha-Dauerkarte. Es funktioniere jetzt seit 15 Jahren. „Das war wie ein neues Ankommen in Berlin. Ich habe einen Verein gefunden, in dem ich mich total wohlfühle.“ Geradezu familiär sei es in seiner Stadionrunde, zu der ein ehemaliger türkischer Gastarbeiter mit seiner Familie gehöre und ein alter Gewerkschafter, der seit 40 Jahren zu Hertha gehe. Man treffe sich zur Saisoneröffnung und auch mal zum Grillen. „Das Stadion ist zu einem Stück Heimat geworden, zu einem wichtigen Teil meines sozialen Lebens und meiner Fußballkultur.“

Hertha sei ja als graue Maus und langweilig verschrien, das empfinde er ganz anders. „Große Westberliner Fußballkultur“ nennt er das, was er als Gegenteil erlebt und als Ausdruck von Vielfalt. Inklusive einer großen Ultraszene, die auch sehr politisch sei und sich notfalls an der Vereinsführung reibe. Man kann sagen, Christoph Gabler hat einen Weg zur Hertha gefunden, wie sich das der Klub genauso von den Berlinzuzüglern wünscht. Leider spielen die nur bedingt mit, wofür Ina-Marie Bargmann beispielhaft ist. Die Bremerin ist 2004 mit einem zwar grün-weiß gefärbten, aber offenen Fußballherzen in die Stadt gekommen. „Hertha war jedoch überhaupt keine Option.“ Sie ist gleich nach Köpenick gefahren, hatte sogar eine Union-Dauerkarte, die sie aus Zeitgründen vor einem Jahr aufgab.

Die Kulturwissenschaftlerin gehört ebenfalls dem Brot & Spiele e. V. an, der sich seit seiner Gründung 2003 „als Teilhaber, Konsument und Produzent von Fußballkultur“ versteht, auch als Beobachter der kommerziellen, politischen und kulturellen Entwicklungen, die den Fußball in den letzten Jahren verändert haben. Dem Verein geht es, kurz gesagt, um die „Annäherung zweier Leidenschaften: Fußball und Kultur“. Fußballkultur klingt toll, bleibt aber ein schwammiger Begriff, weil sich in ihm alles aufsaugen lässt. „Wir fassen den ziemlich weit“, sagt Christoph Gabler. Für ihn gehört fast alles dazu, was in und um Stadien stattfindet und die Fans tangiert.

Der Verein Brot & Spiele begreift sich als Teilhaber, Konsument und Produzent von Fußballkultur, zum Beispiel mit dem internationalen Fußballfilm-Festival „11mm“ (das als Mitglied von Festiwelt am Samstag, 24. August, zur 7. Langen Nacht der Filmfestivals ab 15 Uhr ins Zukunft am Ostkreuz lädt) oder dem Brot & Spiele Cup.

Der Cup Das Treffen von Fußball spielenden Freizeitteams und Teams in Berlin lebender Geflüchteter findet am Sonntag zum fünften Mal statt, Anpfiff zum Brot & Spiele Cup auf dem Kunstrasenplatz im Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg, Cantianstraße, ist um 10 Uhr, der Eintritt ist frei. (taz)

Die beginnende Entfaltung einer neuen, bunten Art und Weise der Beschäftigung mit Fußball datiert er auf die Zeit vor der WM 2006. Damals sei eine Kneipe namens Brot & Spiele in der Pappelallee eine der ersten gewesen, in der sich viele Fußballfans getroffen hätten, um ihre Leidenschaft beim gemeinsamen Fernsehgucken zu teilen. Die mitreißenden Cham­pions-League-Spielen von Leverkusen mit Ballack zum Beispiel. Heute sei Fußballkultur keine widersprüchliche Wortkombination mehr und Berlin eine Stadt, wo sie extrem bunt sei. „Zwei Erstligavereine, die sehr unterschiedlich sind, dazu die vielen unterklassigen Vereine. Jede Klientel kann sich aussuchen, worauf sie Lust hat.“

Nähmaschinenrattern im Fanclub

Wie Fußballkultur abseits des Stadion heute riecht und klingt, erfährt Ina-Marie Bargmann häufig beim Fanprojekt Berlin im Haus der Fußballkulturen in Prenzlauer Berg. Hier riecht sie nach Farbe und klingt nach dem Rattern einer Nähmaschine, weil Fans verschiedener Vereine, nämlich von Hertha und BFC, Fahnen bemalen oder Stoffbahnen zusammennähen. „Die Fans stecken da echt viel Zeit und Geld rein. Das macht ja auch den Fußball aus. Die Fans treiben das voran und sorgen für die Stimmung im Stadion.“ Was natürlich gern goutiert wird von den Kommerzprofis, wie das legendäre Getöse des genervten Uli Hoeneß auf einer FCB-Mitgliederversammlung Richtung Bayern-Ultras bezeugte: „Für die Stimmung, da seid ihr doch zuständig!“

Und wenn die Ultras, längst Teil einer Popkultur, mal über die Stränge schlagen mit ihrer Affinität zur Pyrotechnik, herrscht Alarm. Dabei passiere in den Stadien an einem Bundesliga-Spieltag in der Regel weniger als an einem Tag Münchner Oktoberfest, sagt Ina-Marie Bargmann, die als Projektmanagerin beim Lernort Stadion e. V. arbeitet, der politische Bildung für Jugendliche rund um den Fußball fördert.

Bei Brot & Spiele ist sie eine der ganz wenigen Frauen. Trotzdem wirkt sie gern mit, weil der Verein die oft nicht so zu vereinbarenden Welten Fußball und Kultur eben doch gut verbindet, noch dazu mit einem starken gesellschaftspolitischen Ansatz. So sei das jährliche „11mm“-Fußballfilm-Festival, das sie mit organisiert, zunehmend politisch ausgerichtet. Schwerpunkte wie Fußball und Macht oder Frauenfußball würden gewählt, um Diskussionen anzuregen.

Was den bundesweit und sogar international vernetzten Verein Brot & Spiele mit der Gesellschaft allgemein noch verbindet, ist ein Pro­blem. Es gibt eine gewisse Überalterung, das heißt, es fehlt Nachwuchs im Kreis der 40 bis 50 Mitglieder, zu denen Sozialwissenschaftler, Juristen, Apothekerinnen, Lehrer, Musikmanager und Kulturarbeiter zählen. „Wir suchen händeringend nach Leuten, die sich daran erfreuen, dass das Spiel so eine Kraft hat als gemeinsame Sprache“, so Gabler. „Und die Lust haben, Fußballkultur auch in Form von Projekten zu organisieren.“

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