die woche in berlin
: die woche in berlin

In Berlin steigt die Zahl der Jobangebote – leider sinkt die Qualität der angebotenen Jobs. Die Ermittlergruppe, die Innensenator Andreas Geisel (SPD) für die Rigaer Straße eingesetzt hat, erinnert an seinen CDU-Vorgänger. Aus Angst vor ihrem alten Image als Verbotspartei trauen die Grünen sich nicht, einen guten Vorschlag aufzunehmen: weniger Fleisch in städtischen Kantinen

Ihr Rider dieser Welt, vereinigt euch!

Es gibt wieder mehr Jobs in Berlin – vor allem prekäre

Sagen wir mal so: An dem reaktionären Spruch „Wer Arbeit sucht, der findet auch welche“ ist derzeit etwas dran. „VerkäuferIn auf 400-Euro-Basis gesucht“: Zettel wie dieser hängen momentan in vielen Geschäften der Stadt. Berufe ganz neuer Art entstehen in der sogenannten Start-up-Szene: Da gibt es die „Juicer“, die leer gefahrene E-Roller einsammeln, deren Batterien aufladen und die Gefährte dann wieder auf die Gehwege stellen, oder die „Rider“, Fahrradkuriere, die warmes Essen möglichst schnell zur hungrigen Kundschaft fahren – alles selbstständig und auf eigene Rechnung, versteht sich. Was vielen Jobs der schönen neuen Arbeitswelt noch gemeinsam ist: Die Arbeit ist unsicher, der Verdienst reicht kaum zum Leben und schon gar nicht für eine auskömmliche Rente.

Und Berlin ist bei solchen prekären Beschäftigungsverhältnissen mal wieder Vorreiter. Das besagt das „Betriebspanel Berlin 2018“, die Auswertung einer repräsentativen Befragung deutscher Unternehmen, die Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke) am Montag vorgestellt hat. Darin steht: Die Zahl der Betriebe wächst in Berlin überdurchschnittlich, ebenso die der Arbeitsstellen. Aber eben auch: Immer mehr Arbeitsplätze sind Teilzeit (20 Prozent), ohne Sozialversicherung (7 Prozent) oder befristet (13 Prozent). Passend dazu sind auch nur noch 18 Prozent der Berliner Betriebe tarifgebunden (bundesweit 27) – und nur 46 Prozent der Beschäftigten profitieren davon (Bund 54 Prozent).

Scheinselbstständige Mikrojobber wie „Juicer“ kommen da noch hinzu, mit ihnen hat sich das Betriebspanel gar nicht befasst. Dennoch erwähnte Breitenbach diesen neuen Job als „eine der absurdesten und prekärsten Sachen, die sich gerade entwickeln“.

Was ist zu tun? Natürlich könnte die Politik einiges besser regeln, Breitenbach hat darauf hingewiesen. Die Bundesregierung könnte die Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung abschaffen. Sie könnte erleichtern, Tarifverträge für ganze Branchen als verbindlich zu erklären. Oder die Vorgaben zum Arbeitsschutz verschärfen: etwa beim Homeoffice, einem anderen Trend, der weithin unreguliert wuchert, und Arbeitnehmer in ständige Erreichbarkeit und immer größeren Stress treibt.

Auf die Politik hoffen und warten sollten die „modernen Arbeitssklaven“ aber lieber nicht, sondern besser gemeinsam für mehr Rechte kämpfen. So wie die „Rider“, die am Donnerstag in Berlin tagten, um sich über ihre Erfahrungen etwa mit der Gründung von Betriebsräten auszutauschen und Strategien zur Verbesserung ihrer „Arbeit 4.0“ zu entwickeln.

Und auch die KonsumentInnen können etwas tun: zum Beispiel nicht jeden früher gelaufenen Kilometer jetzt mit dem E-Roller fahren – auch wenn es spaßig ist. Dann gibt es vielleicht bald ein paar Juicer-Jobs weniger in der Stadt. Aber wäre das so schlimm?

Susanne Memarnia

Berlin ist mal wieder Vorreiter: bei prekären Beschäftigungs­verhältnissen

Susanne Memarniaüber die Ergebnisse des „Betriebspanels Berlin 2018“

Rot-Rot-Grün auf Henkels Spuren

Wie zu CDU-Zeiten: Wieder Ermittlergruppe für die Rigaer Straße

Man kann das, was seit Jahren in der Rigaer Straße in Friedrichshain passiert, einfach hinnehmen und sogar als Ausdruck eines besonderen Berliner Lebensstils interpretieren. Man kann es auch für nicht weiter schlimm halten, dass Ende Juli ein Fernsehteam des RBB in der Rigaer Straße, wo es mit CDU-Fraktionschef Burkard Dregger verabredet war, attackiert wurde. Erst flogen nach RBB-Darstellung Orangen, später wurde der RBB-Wagen von zwei Vermummten besprüht.

Das kann man so sehen. Muss man aber nicht. Innensenator Andreas Geisel von der SPD gehört zur zweiten Gruppe. Wenn man mit ihm über das Thema Rigaer Straße und vor allem das dortige Haus mit der Nummer 94 spricht – dann ist spürbar, wie sehr es ihn anfrisst, die Situation dort nicht verändern zu können. Eine Räumungsklage für die Kadterschmiede, die Kneipe im Innenhof des Gebäudes, scheiterte mehrfach. Versuche, das Haus von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Degewo kaufen zu lassen und so Zugang zu bekommen, sind nach jüngsten Senatsangaben „bisher ergebnislos“.

Bei allem Ärger weiß Geisel, dass er in der Rigaer Straße 94 nicht den großen Fehler von Frank Henkel, seinem Vorgänger als Innensenator, wiederholen darf: Der CDU-Politiker hatte die Polizei widerrechtlich und ohne gerichtliche Erlaubnis in das Haus eindringen lassen. In einer Sache aber folgt Geisel dem CDU-Mann: Die, wie am Mittwoch bekannt wurde, zu Monatsbeginn eingerichtete neue Ermittlungsgruppe für Straftaten rund um die Rigaer Straße erinnert stark an die zu Henkels Zeit eingesetzte Ermittlungsgruppe LinX.

Auf eine solche Gruppe zu setzen ist nur konsequent: Wenn Geisel tatsächlich die jetzige Situation in der Rigaer Straße verändern will, muss er alle rechtlich erlaubten Möglichkeiten nutzen. Dass sich der Innensenator und damit auch Rot-Rot-Grün dadurch auf den Spuren des im linken Lager mehr als ungeliebten Frank Henkel bewegen, ist dabei hinzunehmen – der führende Koalitionspartner, Geisels SPD, hat mit dessen CDU ja immerhin sogar fünf Jahre lang regiert. Stefan Alberti

Die große Angst vorm Fleischverbot

Die Grünen fürchten Verbote, die SPD verschläft sie einfach

Die Grünen haben mittlerweile wohl panische Angst davor, Privilegien einzuschränken – das Label „Verbotspartei“ schwebt immer über ihnen. Am Dienstag hat die Initiative Klimanotstand Berlin dem Abgeordnetenhaus eine Liste mit mehr als 43.000 Unterschriften von Menschen übergeben, die eine Ausrufung des Klimanotstands fordern. Daran knüpft die Initiative konkrete politische Forderungen, etwa: kein Fleisch mehr in städtischen Mensen und Kantinen.

Nicht nur bei den Grünen werden da sofort Erinnerungen an den „Veggie-Day“ wach. Der Vorschlag, dass Kantinen einmal pro Woche auf ein fleischhaltiges Angebot verzichten könnten, versaute der Partei den Bundestagswahlkampf 2013. Dem Deutschen sein Schnitzel verbieten zu wollen, das sorgte für Hysterie. Endgültig war mit den Grünen das Image der Verbotspartei verknüpft.

Nach einigen Jahren der Rehabilitierung läuft es für die Partei gerade echt gut, das zeigt der Blick auf Wahlergebnisse und Umfragewerte. Auch in Berlin und sogar in den neuen Bundesländern sammelt sie viele Stimmen. Da käme es gänzlich ungelegen, würde der Bevölkerung das alte Image wieder in Erinnerung gerufen. Also hält man sich von allem fern, das auch nur entfernt wie ein Verbot aussieht.

Aus der Forderung der Initiative machte die Partei diese Woche den schüchternen Wunsch, es dürfe gern mehr Veggie-Angebote in Berlins Mensen und Kantinen geben. Dabei wäre es ein durchaus mutiger Schritt, Fleisch von städtischen Tischen zu verbannen – und müsste eigentlich eine Kernforderung der Grünen sein. 14,5 Prozent der weltweit produzierten Treibhausgase stammen aus der Fleischproduktion. Kühe zum Beispiel pupsen viel, das dabei freigesetzte Methan ist 25 Mal schlimmer als CO2.

Welche Partei, wenn nicht die Grünen, könnte die Forderung der Initiative aufgreifen? Städtische Veggie-Mensen und -Kantinen bedeuten ja kein grundsätzliches Fleischverbot. Sie bedeuten lediglich, dass die Verwaltung dem klar klimaschädlichen Bedürfnis nach täglichem Fleischkonsum nicht mehr nachkäme. Wer vom Klimanotstand spricht, muss begreifen, dass ein solcher nicht ohne spürbare Veränderungen beendet werden kann.

Vom Begreifen ganz weit entfernt ist die Berliner SPD. Was das Thema Klimanotstand angeht, scheinen die Hauptstadt-Sozis tief zu schlafen. Man wolle das Thema demnächst in der Fraktion ansprechen, sagt der umweltpolitische Fraktionssprecher Daniel Buchholz. Anders gesagt: Mit einer Meinung ist bald zu rechnen.

Dabei wäre es bei dem Thema auch für die SPD so einfach, mit realpolitischen Forderungen aktiv zu werden und dafür zu sorgen, dass Berlin möglichst schnell emissionsfrei wird. Ein Kompromissvorschlag wäre etwa, Kantinen-Speisepläne so umzustellen, dass nur noch ein Fleischgericht pro Tag oder Woche angeboten wird – und das vielleicht von Schweinen oder Geflügel. Diese Tiere pupsen nicht so viel. Lukas Waschbüsch