Zukunftssorgen der Ostseefischer: Im Trüben fischen

Peter Dietze ist einer der beiden letzten Fischer in Niendorf an der Lübecker Bucht. Er weiß nicht, wie es in den nächsten Jahren weitergehen wird.

Auf dem Weg aufs Meer

Dorthin unterwegs, wo die Dorsche schwimmen: Kutter Foto: Katharina Gebauer

NIENDORF taz | Peter Dietze kommt mit Cola und Knäckebrot an Bord seines Kutters. Dietze ist Fischer, jede Nacht ist er unterwegs, damit seine Kunden am nächsten Morgen frischen Fisch haben. Die Luft riecht salzig, es ist noch mild draußen und Interessierte haben es sich auf Stühlen direkt am Ufer mit Weingläsern in der Hand gemütlich gemacht.

Um halb sechs Uhr abends verlässt die „NIE 5“ den Niendorfer Hafen, südlich von Timmendorfer Strand direkt am Brodtener Steilufer. Die Schaulustigen beobachten den hinausfahrenden Kutter, ein Dutzend hungrige Möwen begleiten ihn kreischend.

Seit 2013 fischt Dietze in der Lübecker Bucht, begleitet wird er seit Kurzem von seinem Lehrling Mathias. Heute geht es hinaus bis vor Neustadt. Dort wirft Dietze die Netze aus: Insgesamt fünf Kilometer. Heute Nacht will er Dorsche fangen. Mit seinen Stellnetzen peilt er bekannte Orte an, an denen Dorsche früher schon auf Futtersuche waren und ins Netz gegangen sind.

Das Stellnetz ist eine eher selektive Fangmethode, durch die Platzierung und Maschenweite kann eine bestimmte Fischart gefangen werden. Für den Dorsch sind es 110 Millimeter. Die untere Leine des Stellnetzes ist durch Blei erschwert, sodass es nach unten sinkt. Die leichte obere Leine schwimmt dann an der Oberfläche.

Wale verheddern sich im Netz

Ins Stellnetz gehen aber auch Schweinswale als Beifang, Dietze hat in der Vergangenheit zwei gefangen. Mittlerweile haben seine Netze einen sogenannten PAL, der einen Warnruf an die mit den Delfinen verwandten Kleinwale aussendet. Laut Dietze bisher mit hundertprozentigem Erfolg.

Auf Futtersuche sehen die Fische das dünne Netz nicht und schwimmen hinein, beim Versuch sich zu befreien, verheddern sie sich immer mehr. Volle drei Stunden heißt es dann: Warten.

Dietze erklärt, dass das Wasser im Sommer für die Fische zu warm ist, deshalb halten sie sich oft im tieferen Wasser auf. Aufgrund der hohen Wassertemperaturen müssen die Netze im Sommer bereits drei Stunden später wieder eingefahren werden, sonst wäre der Fisch nicht mehr frisch. Langsam geht die Sonne unter, der Himmel ist in Lila und Orange getaucht. Am Ufer wabern Nebelschwaden. Es ist windstill, das Wasser kräuselt sich nur minimal.

Mit Einbruch der Dunkelheit wird es langsam kühler, die Zeit bis zum Reinholen der Fische vertreibt sich Dietze im Steuerhaus mit Filmen, heute: „Das Boot“. Drinnen ist es mollig warm, die Heizung läuft mit dem Kondenswasser des Motors. Dietze will heute 100 Kilogramm Dorsch fangen, seine Erfahrungswerte werden heute Nacht überprüft. Bei gutem Fang wird er diese Gebiete in den nächsten Nächten beim Dorschfang erneut anfahren.

Dietze darf in diesem Jahr 14 Tonnen anlanden, was laut ihm nicht viel ist. Zwar wurde die Dorschquote 2019 um 70 Prozent angehoben, doch davor war sie jahrelang gesenkt worden. „Das Problem, dass wir nichts finden, haben wir nicht“, sagt Dietze. „Wir müssen uns die Menge über das Jahr nur gut einteilen.“ Bei wenig Quote bedeutet das für ihn weniger Netze, die er ausfahren darf. Wenn Fische dann woanders sind, wie etwa im tieferen Wasser, sind Nächte mit wenig Fang wahrscheinlicher.

Was soll er machen, wenn nicht Fischer sein?

Im nächsten Jahr sollen weitere Quotenkürzungen kommen, Dietze weiß nicht, ob er dann noch jeden Tag hinaus fahren kann. Die Folge: Auch sein Verkaufsstand im Niendorfer Hafen müsste er an einigen Tagen geschlossen halten. Diese Unsicherheit treibt ihn um, so wie viele Ostseefischer. Im Niendorfer Hafen waren es mal elf, mittlerweile sind es nur noch zwei.

Dietze findet die Quotenverteilung ungerecht. Gerade für junge Anwärter wäre es attraktiver, wenn kleinere Fischer mehr Quote abbekommen würden. Auch hat er bereits mehrmals überlegt, ob er nicht doch umsteigen soll. „Außer technischem Grundwissen habe ich allerdings keine andere Ausbildung, als Fischer zu sein“, sagt er.

Dennoch könne man vom Fischerberuf noch leben, findet er, sonst würde er niemanden ausbilden. Es sei für ihn eher privat eine Herausforderung, wenn er nachts auf dem Wasser ist und nicht bei seinem kleinen Sohn.

Es kommt Bewegung in den Kutter, Dietze macht die Scheinwerfer an, Licht flutet das Fischerboot. Die Netze werden eingeholt und landen auf einer Metallrutsche, auf der die Fische aus ihnen befreit werden. Lehrling Mathias verarbeitet sie umgehend und schlitzt die erstickenden Tiere auf, um ihnen die Eingeweide zu entnehmen. Dann bluten die Fische in einem Wassereimer aus.

Dietze schiebt derweil die leeren Netze weiter und navigiert den Kutter. Die beiden Männer sind dick verpackt, um der Kälte zu trotzen. Schon bald ist der Boden voller Blut und Dreck und genau danach riecht es auch. Mit den schwarzen Fischerhandschuhen schmeißt Dietze die lebenden Tiere von der Rutsche in die Plastikbox, als seien sie bereits die Ware, die er verkauft.

In faulige Netze schwimmt kein Fisch

Es kommen viele Plattfische durch die Rutsche, nur einige Dorsche sind dabei. Daneben gibt es eine Menge Quallen und viele Algen. Das liege an der Überdüngung des Meeres, sagt Dietze. Dadurch gebe es mehr Algen, die in seinen Netzen landen. Sie seien der Grund dafür, dass der Sauerstoffgehalt des Meeres so niedrig ist und die Fische sterben. Die Netze müssten später an Land erst trocknen, bis die Algen faulen und die Netze von ihnen befreit werden können. Sonst schwimme kein Fisch mehr hinein.

Manche der Plattfische schmeißt Dietze über Bord, „zu wenig Fleisch dran“, meint er. Im Verlauf kommen noch einzelne Makrelen an Bord, auch Schollen sind dabei. Und eine Kliesche. „Nicht gerade viel“, meint Dietze achselzuckend.

Um etwa halb zwei nachts hat er alle Netze eingefahren und nimmt Kurs zurück in Richtung Hafen. Seine Müdigkeit ist ihm anzumerken, jede Nacht den gleichen Ablauf, das hinterlässt Spuren. Seine Ausbeute ist mager, seine geplanten 100 hat er um 16 Kilogramm verfehlt. Neben dem kleinen Kutter hat Dietze zwar einen weiteren, doch ein Mitarbeiter fehlt krankheitsbedingt.

Zurück an Land werden die Fische auf dem Gabelstapler verladen. Dietze fährt sie in das Kühllager, wo sie auf Eis gelegt werden. Danach bringt er sie direkt in seinen blauen Stand „Schupp den Fisch“. Ihren Frischfisch müssen die Hafenbesucher aber bei Dietzes Kollegen kaufen. Er selbst muss erst mal ausschlafen.

Mehr über das Fischessen, ob vegane Fischstäbchen oder Dorsch, lesen Sie im aktuellen Wochenendschwerpunkt der taz nord oder hier

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