Erfolgreicher Journalismus-Newsletter: Post von der großen Schwester

Sham Jaff schreibt einen Newsletter, dem Tausende folgen. Sie erreicht ein junges, weibliches und globales Publikum – im Gegensatz zu vielen Medien.

Eine junge Frau stützt ihren Ellenbogen auf ein Geländer und ihr Gesicht auf den Arm

Setzt auf spielerische und leichte Sprache: Sham Jaff Foto: Sophie Kirchner

BERLIN taz | Hobbys gibt’s … Jede Woche einen Newsletter schreiben, mit einer Auswahl an Weltnachrichten, in zugewandten, persönlichen Worten aufbereitet. Mit Links auf die Berichterstattung zumeist großer bekannter Medienmarken. Genau das macht Sham Jaff mit einer längeren Unterbrechung seit bald sechs Jahren. Jeden Montagmorgen geht ihre englischsprachige Mail an gut 5.000 Abonnent*innen in aller Welt. Menschen aus 100 Ländern haben dann „What happened last week“ in ihrem Posteingang.

1989 wurde Jaff im Irak geboren. Ein paar Jahre später kam ihre kurdische Familie nach Deutschland, Nürnberg. Die Kinder sollten es besser haben, mussten besser sein. In der Schule stieg sie sofort in der dritten Klasse ein. Gleich zu Beginn also durchstarten, denn das Ziel war klar vorgegeben: Gymnasium, Studium, beruflicher Erfolg. Sie lernte Deutsch so gut sprechen wie Sorani, ihr heimatliches Kurdisch. So gut wie Arabisch. Später kam Englisch dazu, dann Spanisch und Französisch.

Ein Studium der Politikwissenschaften folgte, Reisen um die Welt. Und der Newsletter? „Ich bin ein Newsjunkie, und eine große Schwester“, sagt Jaff lächelnd. Ihrer jüngeren Schwester die Nachrichten erklären wollte sie, sie überhaupt dafür interessieren. Das machte ihr Spaß. Erst begann sie der Schwester Aya zu erzählen, was ihr wichtig erschien, später bloggte sie ihre Nachrichtenauswahl und verschickte, noch als Studentin, diese ab 2014 schließlich als Newsletter.

Die Idee ist bis heute, einmal in der Woche einen Überblick über die wichtigsten Nachrichten aus aller Welt zu geben. Die wichtigsten? „News, über die alle reden, aber auch solche, die zu wenig Aufmerksamkeit bekommen“, erklärt Jaff. Einen Anstoß für Smalltalk, aber auch für ernsthafte Debatten will sie geben. Dabei achtet sie bei jeder Ausgabe darauf, den Blick der Leser*innen zu weiten.

1.000 Leute nach einem Monat

So findet sich in einer Ausgabe sowohl ein Abschnitt zu Großbritanniens Premier Boris Johnson als auch zu einer riesigen Baumpflanzaktion in Äthiopien. Proteste zur Kommunalwahl in Russland werden genauso beachtet wie die Parlamentswahl in Japan. Jeder kurze Absatz ist mit Links unterfüttert, die zum Weiterlesen anregen. Die New York Times wird von Sham Jaff oft zitiert, genauso wie die Washington Post und die BBC. Soweit auf Englisch verfügbar, sucht sie aber auch jeweils vor Ort verankerte Quellen anzubieten.

Im universitären Umfeld machte der Newsletter schnell die Runde, Mund-zu-Mund-Propaganda in Seminargruppen und auf Facebook. „Nach einem Monat waren das 1.000 Leute“, erinnert sich Sham Jaff. Junges, internationales Publikum sammelt sich da aus Deutschland, Südamerika, den USA: die perfekte Zielgruppe für jedes Medienunternehmen. Die experimentieren nicht zufällig mit immer neuen Newsletterprojekten, um das gefragte Alterssegment, und dort vor allem junge Frauen schon im Teenageralter an ihre jeweiligen Medien zu binden und so für die Werbewirtschaft attraktiver zu werden.

In so kurzer Zeit so große Reichweite – hat Sham Jaff da nie an Geld gedacht? „Das erste Mal bei 2.000 Abonnenten.“ Der E-Mail-Client, den Jaff benutzt, ist ab dieser Zahl beschickter Adressen nicht mehr kostenlos. Um freiwillige Beteiligung bittet sie seitdem, unaufdringlich zwar, im Ergebnis aber immerhin kostendeckend. „Ich muss wohl warten, bis die älter sind und genug Geld verdienen, von dem sie etwas abgeben können. Aber ich bin auch nicht gut darin, um Spenden zu bitten.“

Und dann fragen ihre Eltern, wozu das denn gut sein soll, Geld bringt es ja offenbar keins. Auf Konferenzen im Medienbetrieb, bei Talks und Meetings sehen viele das Potenzial der jungen eloquenten Frau mit der Goldgrube – aus der dennoch kein direkter Gewinn fließen will.

Es gibt auch Nachahmer

Neu im Journalismus ist Jaff nicht. Während ihres Studiums begann sie als freie Mitarbeiterin für kurdische Medien, wie den Fernsehsender Rudaw zu berichten. Bei der Arbeit lernte sie das Handwerk, nicht zuletzt mithilfe großer internationaler Medienhäuser, die Programme zur Unterstützung der kurdischen Medienlandschaft betrieben. „Das war schon recht lokal, mit direktem Kontakt zu den Menschen, über die ich geschrieben habe.“

Die Beschwerden über weniger genehme Berichterstattung ließen natürlich auch nicht auf sich warten. Treue Leser*innen sind scharfe Kritiker. In Jaffs Newsletter aber kommen kurdische Themen kaum vor: „Eigentlich nur, wenn es eine Bedeutung über den eher engen kurdischen Kontext hinaus hat, wie zum Beispiel der Kampf gegen den IS.“

Einen Versuch, die Mechanik von „What happened last week“ unter anderem für kurdische Nachrichten nutzbar zu machen, gibt es jedoch. Wie überhaupt Sham Jaff viel Zuspruch für ihr Konzept erfährt, dass ja allein gemessen an den Nutzungszahlen ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen scheint, so hat sie auch Nachahmer. Einen aus dem irakischen Kurdistan eben, der in einfacher Sprache einen Blick in die Welt jenseits der oft unter strenger staatlicher Kontrolle stehenden Medien ermöglichen will. Gespräche über die Etablierung ähnlicher Projekte in der Türkei und in Brasilien laufen ebenfalls.

Die Auswahl von Themen, die Aufbereitung von Berichterstattung und ihre Kuratierung sind natürlich journalistische Arbeitsmethoden, aber vermisst Jaff es nicht bisweilen, selber zu recherchieren und zu schreiben? „Ja“, lautet die knappe Antwort. Aber irgendwann mussten Entscheidungen getroffen werden: Wovon leben, wohin sich entwickeln? Da war eine journalistische Karriere nicht unbedingt die verheißungsvollste Perspektive.

Ein Job mit guten Lohn

So arbeitet Jaff heute in der politischen Kommunikation eines großen Konzerns: „Vielleicht ging es mir auch darum, meiner Familie zu beweisen, dass ich mit dem, was ich gelernt hatte, auch Geld verdienen kann.“

Immerhin, der Newsletter bleibt. Aus verschiedenen Überlegungen, ihn auszubauen oder eine deutschsprachige Version anzubieten, ist bislang nichts Spruchreifes geworden. Aber warum überhaupt das Englische? Den Umgang mit dieser Sprache beschreibt Sham Jaff als spielerischer, leichter. Die Zielgruppe des Newsletters ist damit aber doch eher akademisch und international, oder? „Ja, leichter und zugänglicher zu kommunizieren, ist weiterhin ein Ziel.“

Sprache mache überhaupt Spaß, und Nachrichten in einer Sprache zu kommunizieren, die die Leute verstehen, sei auch wichtig. Die traditionellen Medienhäuser, vor allem die Zeitungen täten das doch eher selten, glaubt Jaff. Sie schiebt noch ein „Sorry“ nach. Es klingt fast ein bisschen mitleidig.

Die Frage nach redaktioneller Verantwortung und journalistischen Standards beantwortet Jaff mit dem Verweis auf die relativ leichte Überprüfbarkeit der Informationen im Netz. Medienkompetenz, die eigene Erfahrung, aber auch informiertes Vertrauen in die Arbeit anderer sind Eckpunkte ihrer Auswahl an Themen und Quellen. An grobe Fehler erinnert sich Jaff nicht, die kleinen haben ihre Leser*innen im Blick und melden sich.

Lieblingsnewsletter der Schwester

Jede Mail wird beantwortet, interessante Ergänzungen oder eventuell nötige Korrekturen fließen in den nächsten Newsletter ein. Können die Mails auch nerven? „Ja. Aber das sind meine Bulldoggen. Manchmal besserwisserisch vielleicht, aber wichtig“, sagt Sham Jaff sehr überzeugt.

Ob aus dem Newsletter nun jemals mehr wird, ist unklar. So wichtig scheint Jaff die große Entwicklungsperspektive für genau dieses Projekt aber auch nicht zu sein. Das Know-how macht sich in jedem Fall bezahlt. So interessiert sich inzwischen selbst eine UN-Agentur für die im Newsletter sichtbaren Techniken der Kommunikation in Richtung jüngerer Menschen.

Mit einem gewissen Stolz erzählt Jaff außerdem, dass Lehrer*innen sich für den Newsletter interessieren. Pädagogik sei ihr wichtig, aus Schulprojekten dürfte gern mehr werden. Sie bleibt doch irgendwie große Schwester.

Die kleine Schwester ist inzwischen selber groß, Aya Jaff hat sich bereits einen Namen als Start-up-Gründerin gemacht. Sham Jaff sieht sie derweil immer noch als ihre Zielgruppe: „‚What happened last week‘ ist Ayas Lieblingsnewsletter.“

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