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„Unsere Jüngste kam auf dem Hausboot zur Welt“

Seit acht Jahren leben Jill und Ole Grigoleit mit zwei Kindern auf einem Hausboot bei Winsen. Über das Familienleben auf dem Wasser haben sie jetzt ein Buch geschrieben

Wenn die Töchter raus wollen, müssen sie an der Hand über den Steg laufen Foto: Oliver Creon

Interview Birk Grüling

taz: Frau Grigoleit, wie entstand die Idee, auf einem Hausboot zu leben?

Jill Grigoleit: Als Studenten wohnten wir beide lange in WGs und wollten nun in eine gemeinsame Wohnung ziehen. Doch der Hamburger Wohnungsmarkt war schon damals eine Katastrophe. Die Mieten waren zu hoch, die Konkurrenz zu groß. Wir hatten nicht mal einen Arbeitsvertrag vorzuweisen. Irgendwann kam Ole auf die Schnapsidee, ein Hausboot zu bauen. Bei Ebay ersteigerte er einen alten, rostigen Rumpf und die Geschichte nahm ihren Lauf. Wir fanden einen kleinen Hafen und begannen, das Hausboot zu bauen – ein ziemliches Abenteuer. Zwar ist Ole gelernter Schiffsmechaniker und ein ziemlich guter Handwerker, trotzdem kannte er sich mit dem Hausbau wenig aus. Dazu stammten viele Materialien vom Sperrmüll oder aus „Ruinen“. Sonst hätten wir uns das Boot nie leisten können.

Was waren Ihre ersten Assoziationen zu Hausbooten?

Ich konnte mir nur wenig unter einem Hausboot vorstellen und dachte an ein kaltes, nasses und eher dunkles Boot. Zum Glück stimmte das natürlich nicht. Trotzdem waren die ersten Monate alles andere als gemütlich. Von August bis November baute Ole quasi in Vollzeit das Hausboot. In dieser Zeit schliefen wir im Büro des Hafenmeisters. Auch beim Einzug hatten wir nicht einmal eine Toi­lette oder Dusche. Aber wir haben es uns Stück für Stück gemütlich gemacht. Als unser erstes Kind geboren wurde, war das Hausboot längst genauso wohnlich und gut ausgestattet wie eine Stadtwohnung.

Was unterscheidet Ihr Leben von dem einer Familie in einer Stadtwohnung oder einem Haus auf dem Land?

Nicht viel. Wir leben mit unseren beiden Kindern auf knapp 100 Quadratmetern. Es gibt ein Kinderzimmer und ein Schlafzimmer im ersten Stock und unten haben wir ein schönes Wohnzimmer mit Küche. In Hamburg wäre ein solche Wohnung sehr teuer. Wenn ich an meine Kindheit auf dem Land denke, sehe ich etwas mehr Freiheit. Man macht die Terrassentür auf und lässt seine Kinder im Garten spielen. Das geht bei uns natürlich nicht. Unsere Töchter müssen an der Hand vom Steg laufen, erst danach beginnt ihre Freiheit. Inzwischen haben wir aber einen Spielplatz im Hafen gebaut und dort können sich die Kinder natürlich richtig austoben. Aber im Prinzip kennen solche Probleme auch Familien, die in einer Stadt oder an einer großen Straße wohnen. Und noch eine Kleinigkeit: Wir haben sehr wenige Türen und viel Offenheit im Hausboot. Da vermisst man manchmal das Türenschließen und die Privatsphäre. Die gibt es in einem Haus oder einer Wohnung doch eher.

Wie finden Ihre Kinder das Leben auf dem Hausboot?

Unsere kleine Tochter ist zweieinhalb Jahre alt. Für sie ist ein Hausboot das Normalste der Welt. Sie ist hier sogar zur Welt gekommen. Die Große stellte vor zwei Jahren, als sie in den Kindergarten kam, fest, dass wir anders wohnen als andere Familien. Irgendwann kam sie sogar mal nach Hause und wollte in ein normales Haus umziehen. Ich glaube, dass lag aber eher an dem Wunsch, genauso zu wohnen wie die anderen Kinder. Aber alle ihre Freunde lieben es, bei uns zu spielen. Deshalb überwiegt auch bei ihr inzwischen wieder der Stolz auf den Hafen und das Boot.

Spüren Sie nach acht Jahren auf dem Hausboot noch das Wasser unter Ihren Füßen?

Auch das Leben auf dem Wasser wird irgendwann zum Alltag. Dazu gehört natürlich auch, dass wir das leichte Schwanken kaum noch spüren. Dazu kommt, dass unser Hausboot recht schwer und groß ist. Wirklich ins Schwanken gerät es nur bei richtigem Sturm.

Foto: Oliver Creon

Jill Grigoleit

geboren 1985, hat Journalismus studiert und arbeitet als freiberufliche Redakteurin. Sie lebt mit ihrer Familie auf einem Hausboot bei Winsen (Luhe).

Verliert das Leben auf dem Wasser irgendwann seine Romantik?

Ein wenig schon. Natürlich gibt es immer noch sehr glückliche Momente, in denen ich morgens versonnen auf das Wasser blicke oder meine Kinder dabei beobachte, wie sie die Enten füttern. Aber auch das wird zur Routine. Das heißt aber nicht, dass ich mich nach einer richtigen Wohnung sehne. Bei Ole ist die Sehnsucht schon größer. Nach acht Jahren auf dem Hausboot hat er viele Dinge reparieren und austauschen müssen. Dazu kommt sein heutiges Wissen. Es gibt schon Momente, in denen er das Hausboot am liebsten abreißen und neu bauen würde.

Inzwischen bauen Sie auch Hausboote nach Auftrag. Interessieren sich noch mehr Familien für diese Wohn-Alternative?

Erstaunlicherweise weniger. Wir dachten, dass sich vor allem junge Menschen für ein Hausboot interessieren. Aber ganz im Gegenteil: Die meisten Interessenten sind knapp 60 Jahre alt und ihre Kinder gerade ausgezogen. Sie wollen sich oft verkleinern und sind auf der Suche nach einer naturnahen Alternative zur herkömmlichen Stadtwohnung.

Jill und Ole Grigoleit: „Heimat­hafen – Wie wir mit unserem Hausboot das Glück auf dem Wasser fanden“, Ullstein Extra, 208 S.,15 Euro