Verwenden statt wegschmeißen: Aus alt mach Brot

Ganz hinten im Regel liegen Zutaten, die ewig auf ihren Einsatz warten. Bei unserer Autorin kommen die nicht in den Müll – sondern in den Backofen.

Auf einem Holztisch stehen Brot, Teller Messer und Butter

Löst bei unserer Autorin geradezu Proust´sche Erinnerungsmomente aus: Irisches Brot mit Backpulver Foto: Waltraud Schwab

Manchmal werden auf dieser Seite Ideen vorgestellt, wie aus Müll wieder etwas Neues gemacht wird. „Schöner Müll“ heißt das Motto. Nur: Was ist Müll? Und zählen Nahrungsmittel dazu, wo doch jedem Kind gepredigt wird, dass Essen nicht weggeschmissen werden soll? Kinder dürfen das nicht, Erwachsene schon. 313 Kilo Nahrungsmittel landen in Deutschland laut einer WWF-Studie von 2015 im Müll – und zwar pro Sekunde.

Und Sie? Und ich? Und wir?

Bei uns stand neulich das Projekt „Küchenschrank aufräumen“ an. Das kommt hin und wieder vor und fördert einiges zutage, darunter eine Menge Nahrungsmittel, die einst gekauft wurden, um gesünder zu leben. Um die Verdauung zu fördern, das Blut zu reinigen, die Schönheit zu stärken, die Zähne und Haare strahlend zu erhalten, den Cholesterinspiegel zu senken, ach und immer so weiter: Flohsamen, Leinsaat, Sesamkörner, Chia- und Hanfsamen, Buchweizenmehl, Macapulver, you name it.

Vieles wird beim Küchenschrankputz zutage gefördert, das irgendwie pulvrig und getreidig ist oder sonst wie für getreideartig gehalten wird, denn, klar, die Reste der glutenfreien Ernähungsphase werden dabei auch wieder ausgegraben, und nicht zu vergessen der Smoothiewahn. Viele Packungen sind noch gar nicht geöffnet.

Und wie geht die Geschichte weiter? Bei uns nimmt sie in der Regel folgenden Verlauf: Sind keine Lebensmittelmotten zu erkennen, werden die Sachen zurückgestellt. Bis zum nächsten Mal.

Brot mit Backpulver?

Unter „Müll“ werden, so steht es in einem Juristenforum im Internet, „bewegliche Güter“ verstanden, „die der Besitzer nicht mehr benötigt und deren er sich deswegen entledigt“. Schöner Müll ist, wenn man die Güter nicht wegwirft, sondern etwas Neues daraus macht. Da fügte es sich, dass mir ein Rezept für irisches Brot in die Hände fiel:

275 Gramm Mehl, 75 Gramm Haferflocken, 1,5 Teelöffel Salz, 1 Päckchen Backpulver, 200 Milliliter Milch, 200 Milliliter Joghurt, 1 halber Teelöffel Cumin. Alles vermischen, in eine Kastenform füllen und 50 Minuten bei 220 Grad backen.

Früher war das Mittelmeer Zentrum der Identität Europas, heute wenden sich die Menschen von ihm ab. Ein Essay über ein Meer, das Hilfe braucht – in der taz am wochenende vom 17./18. August. Außerdem: Die Polizei möchte Bienen zur Drogenfahndung einsetzen. Science Fiction oder bald Realität? Und: In Belgien bekommen Obdachlose schnell eine Wohnung, in Deutschland nicht. Eine Reportage. Ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und bei Facebook und Twitter.

Brot mit Backpulver? Wahrscheinlich hätte ich die Nase gerümpft und das Rezept weggeworfen. Aber ich war vor Jahrzehnten einmal Au-pair in Irland und da hatte die Landlady ebenfalls mit baking soda gebacken. Kein Brot im Haus? Schnell was zusammengerührt. So ging das. Deshalb habe ich das Rezept ausprobiert.

Das erste Brot schmeckte, wenig überraschend, nach Backpulver, brachte aber auch Irlandfeeling zurück. Die andere Landlady, die aus der ersten Familie, in der ich war, kam mir in den Sinn. Einmal nähte sie Vorhänge, dabei warf sie, es war Winter, den teuren Stoff versehentlich über einen Radiator, mit dem sie sich die Füße wärmte und sengte so Brandlöcher hinein. Es war ein herzzerreißendes Drama. Mit dem Kopf lag sie auf dem Tisch und schluchzte. Ich mochte sie nicht so, aber in dem Augenblick tat sie mir leid.

Der vermeintliche Müll schmeckt bombastisch

Und ich erinnerte mich, wie in der zweiten Familie plötzlich Pferde in den Hof gejagt wurden, die den frischen Asphalt zerstörten. Der Landlord hatte den Hof kurz zuvor teeren lassen, ohne Rechnung, auf Handschlag, sich dann aber nicht an die Abmachungen gehalten. Ich lag gerade mit der jüngsten Tochter im Garten als die Pferde kamen und es war nicht lustig. Heute indes ist die Szene als Erinnerung stark. Deshalb vielleicht gab ich dem Brot eine zweite Chance. Mal gucken, was noch kommt.

Aber dieses Mal experimentierte ich. Ach, so ein wenig glutenfreies Maismehl kann nicht schaden, dachte ich. Und Flohsamen mit Sesam zu den Haferflocken ebenso wenig. Einen Löffel Mondamin – längst abgelaufen, aber mottenfrei – rührte ich dazu und etwas Gomasio, das noch nicht ranzig roch. Es stellte sich heraus: Es schadet wirklich nicht. Und mit etwas mehr Cumin wird auch der Backpulvergeruch gedimmt.

Beim dritten Versuch kamen noch Sonnenblumen- und Hirsemehl rein. Statt Cumin wurde mit Kardamom abgeschmeckt. Ah, und eine Prise Brennnesselblätter hat den Geschmack ebenfalls nicht verdorben. So kämpfe ich mich sogar an die Kräutertees ran, die ein jahrelanges Dasein im Teefach fristeten.

Das Spektrum der Zutaten wurde sukzessive erweitert, die Schrankhüter systematisch verwendet. Das Brot schmeckte jedes Mal fantastischer. Mittlerweile muss ich mindestens zweimal in der Woche backen. Am besten ist das Brot, wenn es frisch aus dem Ofen kommt; ist es nicht mehr ganz frisch, schmeckt’s getoastet, obwohl Toaster verbannt werden sollten. (Aber wohin? Auf den Müll?)

175 Gramm Dinkelmehl

100 Gramm einer Mischung aus Lein-, Lupinen-, Buchweizen-, Kichererbsenmehl (jeweils beliebige Mengen, bis die 100 Gramm voll sind)

2 EL Maisstärke

75 Gramm einer Mischung aus ungeschälten Hanfsamen, Haferflocken, Sesam und Leinsaat

1,5 TL Salz

1 Päckchen Backpulver

1 TL Schabzigerklee

1 EL Chiasamen

200 ml Milch

200 ml Joghurt

1 EL Rübensirup

Oder alles andere, was Sie noch im Schrank haben. Lediglich das Verhältnis von Mehl, Backpulver, Saaten, Salz, Milch und Joghurt sollte ungefähr stimmen. Experimentieren Sie! Dann wie gehabt 50 Minuten bei 220 Grad backen.

Alles muss weg

Unsere Schrankhüter sind inzwischen verschwunden. Selbst die angefangenen Packungen aus der Frühstücksbreiphase sind leer, wie auch das Glas Melasse, das mal zum Sonderpreis gekauft wurde, wegen des abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatums. Ein Esslöffel davon in der Milchjoghurtmischung aufgelöst neutralisiert den Backpulvergeruch, außerdem hilft es, das Brot locker zu machen. Und super: Schabzigerklee, den hatte ich vor Jahren von einer Freundin geschenkt bekommen. Der gibt dem Brot richtigen Pep.

Gestern habe ich wieder gebacken. Die doppelte Menge, um Gas zu sparen. Eine Hälfte wird eingefroren. Habe ich ausprobiert, es ist auch aufgetaut gut essbar.

Das Brot, das am Ende entstand, schmeckte mir phänomenal. Nur eine Frage habe ich: Ist das jetzt „Schöner Müll“?

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