Kunstgeschichte aufgemischt: Ins Barock geschmuggelt

Mitten in die überschwängliche Ausstattungskunst des Schlosses Caputh bei Potsdam haben vier Künstlerinnen aktuelle Arbeiten platziert.

Über einer Reihe von Stühlen hängen die Porträts römischer Kaiser. Darüber Medaillons mit Filmheldinnen, die alle eine Waffe in der Hand haben.

Sie zielen auf den Betrachter: Galerie der Starken Frauen von Myriam Thyes über den Kaiserbildern Foto: Daniel Lindner/Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg

Die ersten Putten, zwischen Wolken schwebend und eine Krone schleppend, begegnen einem schon im knarzenden Treppenhaus von Schloss Caputh. Das kleine Schloss unweit von Potsdam kann mit einer barocken Ausstattung prunken, die auf das späte 17. Jahrhundert zurückgeht, als die Kurfürstin Dorothea von Holstein-Glücksburg, verheiratet mit dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm den Bau erweitern und luxuriös ausstatten ließ.

In dieses Ensemble aus niederländischer Malerei, Porzellanen aus Japan und China, von Stuckdecken und Kachelöfen haben sich für einen Sommer vier zeitgenössische Künstlerinnen eingeschmuggelt.

Barock ist die Kunst des Überschwangs, der reichen Goldrahmen, der machtvollen Repräsentation, der Reiterstandbilder und der Blumenstillleben. Die kolonialen Reiche, die viel zum Reichtum Europas beitrugen, finden sich in allegorischen Darstellungen und der Liebe zu importiertem Kunsthandwerk.

Der Vergangenheit antworten

All das findet man auf Schloss Caputh, und auf all das gehen die Werke von Margret Eicher, Luzia Simons, Rebecca Stevenson und Myriam Thyes ein. Drei Jahre lang beschäftigten sie sich mit dem Schloss und seiner Geschichte. Wie sie mit der Ästhetik korrespondieren und die Inhalte kontern, ist ein Vergnügen. Dass zeitgenössische Kunst so ideenreich auf die Vergangenheit antwortet, ist selten zu erleben.

B.A.R.O.C.K., bis 31. Oktober in Schloss Caputh.

Begleitband B.A.R.O.C.K., edition cantz, 24,80 Euro

Heute, nach vielen finanzkapitalistischen Blasen der jüngsten Vergangenheit, ist die Tulpenmanie des frühen 17. Jahrhunderts berüchtigt und bekannt. Sie gilt als die erste gut dokumentierte Spekulationsblase: Für Tulpenzwiebeln waren in den 1630er Jahren die Preise so in die Höhe geschossen, dass der Markt zusammenbrach. Nun war die Tulpe nicht nur gehandelt, sondern auch viel gemalt worden, oft schon in Stadien des Welkens, und dieses Vanitas-Motiv, diese Warnung vor der Endlichkeit alles irdischen Glücks, passt natürlich hervorragend zur Geschichte vom Crash des Marktes.

Sie wird in den Tulpenbildern der aus Brasilien stammenden Künstlerin Luzia Simons immer wieder aufgerufen, die mit ihren monumentalen Blüten und den Hell-Dunkel-Effekten sehr an die Dramatik barocker Gemälde erinnern. Tatsächlich entstehen die Bilder am Scanner, die Blumen werden auf eine Glasplatte gelegt und abgetastet. Nun hängen sie zwischen Landschaften, Schiffen, Interieurs und Porträts auf übervollen Wänden im Kabinett der Kurfürstin.

Im Vorgemach des Kurfürsten zeugt eine Serie von Porträts antiker römischer Kaiser, darunter Caesar, Augustus, Caligula, vom ungestörten Bild männlicher Macht. Sie repräsentierten in den von Rubens und anderen gemalten Bildern nicht nur sich selbst, sondern jeweils auch eine Tugend. Über sie hängt Myriam Thyes Medaillons von Heldinnen, die freilich den Schönheitsfehler haben, fiktional zu sein, und so ein starker Ausdruck des Wunsches sind, diese Fehlstelle zu besetzen. Das Kino bringt sie ins Rennen, Ellen Ripley aus „Alien“, Arya Stark aus „Games of Thrones“, Lola aus „Lola rennt“. Sie alle zielen auf den Betrachter, mit Pistolen oder Pfeil und Bogen.

Blasen im barocken Stuck

Hier vergnügt sich jeder Besucher damit, Namen zu raten. Die Filmheldinnen werden viel schneller erkannt als die langweiligen Kaiser. Das ist ja schon mal was. Auch wenn es eine banale Replik auf barocke Repräsentationssucht scheint, eine einfache Verschwisterung von Kommerz und Feminismus. Allein jeder, der schon einmal beim Rundgang durch ein Schloss gemerkt hat, wie herzlich egal einem spätestens ab dem dritten Saal die zahlreich Porträtierten sind, ist für den spannungsreichen Kontrast dankbar. Man hat wieder Lust, zu gucken.

Blasen blubbern, nicht nur in der Tulpenspekulation, auch an der Decke im Schlafgemach der Kurfürstin, wo Myriam Thyes in einen Stuckrahmen passgenau eine Videoprojektion einfügt. Treibende Luftblasen und Planeten erinnern an alte Modelle des Kosmos. Doch das Leichte und Luftige bleibt nicht, sondern wird zugestellt mit Modellen berühmter Architekturen.

An die Decke der Porzellankammer sind Europa und Afrika als Frauen personifiziert gemalt. Hier stehen die Vasen aus China und Japan und vier „Mohren­skulpturen“ aus schwarzem und weißem Marmor, individuelle Porträts von … – das eben weiß man nicht. Die britische Künstlerin Rebecca Stevenson nennt ihre Porträtbüsten aus Wachs „Dreamer“. Bei ihr ist Europa schwarz und Afrika weiß.

Neue Seeschlacht

Besonders verblüffend sind die Tapisserien von Margret Eicher, tatsächlich in Belgien, dem Land der alten Teppichkunst, nach ihren digitalen Vorlagen hergestellt. Durch ihre Materialität, die blassen Farben und Bildordnungen, die reichen Ornamente der Rahmen und auch durch die Orte ihrer Hängung kann man sie einen kurzen Moment für alt halten. Das Staunen und Bewundernwollen ist als Impuls schon da, bevor man zu stutzen beginnt über die zusammengefügten Bildelemente, Zitate aus Popkultur und Trash, News und Renaissance.

Zwischen alten Seeschlachtbildern, die auch territorialen Ansprüchen galten, hängt ihre „Große Seeschlacht“. Urzeitliche Vögel fliegen durch die Luft neben historischen Kriegsflugzeugen. Die kenternden Boote im Wasser lassen sofort an die Flüchtlinge in Seenot denken. Man schluckt, die große Emotion, von der man sich in den historischen Gemälden so schön ergreifen und wegtragen lassen kann, gerät ins Stocken.

Es ist die Konfrontation von Barock und Gegenwart, die nicht nur diese Tapisserie, sondern die ganze Ausstellung, die der Kurator Mark Gisbourne initiiert hat, so anregend macht. Das passiert nicht oft, schon gar nicht in alten Schlössern. Schloss Caputh kam 1995 in die Obhut der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, die über 30 Schlösser, 100.000 Kunstwerke und 800 Hektar Gärten verwaltet. Schloss Caputh wurde restauriert und wieder eingerichtet mit barocken Werken. Es wäre schön, wenn das jetzt gelungene Experiment der Einladung zeitgenössischer Künstler zu Wiederholungstaten anregen würde.

In der Zeit der DDR wurde das Schloss als Berufsschule und Internat genutzt. Eine Besonderheit ist der mit niederländischen Fliesen gekachelte Speisesaal im Untergeschoss. Hier war die Kantine der Berufsschüler, eine Freundin hat mir das erzählt, die eine Fotografenlehre machte. Damals, erzählt sie heute, fanden sie es schon toll und irgendwie gerecht, als Kinder der Arbeiterklasse im Schloss zu speisen. Aber jetzt ist sie froh, dass die Schäden beseitigt und das Schloss als Museum eingerichtet ist.

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