Postkarte in die Vergangenheit: Lieber Wilhelm, …

Das Museum für Kommunikation beschäftigt sich mit der Historie der Postkarte. Zu diesem Anlass schreibt auch unser Autor mal wieder eine Karte

Eine Postkarte mit zwei Männern, einer davon der Hauptmann von Köpenick, mit Poststempel vom 16. August 1908

Das bist du, Wilhelm – eine Postkarte, 1908 verschickt, bildet den Hauptmann von Köpenick ab Foto: Museum für Kommunikation Berlin

… vor über 100 Jahren hast du es geschafft, ein Star zu werden, ein Influencer deiner Zeit quasi. Du hast die Obrigkeit geprankt, und das, obwohl dich noch nicht mal jemand dabei filmte. Trotzdem wussten schnell alle, wie verwegen du bist. Sie kannten ihn, den Hauptmann von Köpenick. Heute wärst du ein Youtube-Star, du wärst ein Rezo ohne blaue Haare, dafür aber mit Zwirbelbart.

Statt zum Internetphänomen wurdest du Anfang des vergangenen Jahrhunderts zum Motiv einer Postkarte – dem Medium, durch das vermutlich auch viele Deutsche erstmals von deiner Aktion erfuhren. Damals war die Postkarte noch der schnellste Weg, Informationen auszutauschen. Nach ein paar Tagen erfuhr der Adressat von den amüsanten Neuigkeiten.

Er las dann so etwas wie: „Hey, hast du schon gehört? In Berlin hat ein Trickbetrüger den Bürgermeister festgenommen. Er hat sich bei einem Potsdamer Trödler eine Hauptmannsuniform gekauft und dank seines schauspielerischen Talents zehn Soldaten davon überzeugt, er handle im Auftrag des Kaisers. Sie marschierten zum Rathaus, beschlagtnahmten die Stadtkasse und führten Bürgermeister und Gattin zur Neuen Wache in Berlin. Verrückt, oder?“ Das warst natürlich du, klar, du kennst die Geschichte ja. Aber ich muss sagen: Ich bin beeindruckt.

Heute schickt man übrigens keine Postkarten mehr. Zum Ansichtskartenmotiv zu werden, das war damals eine echte Auszeichnung. Heute würde es kaum mehr jemand bemerken. Heute geht es um Klicks und Smileys. Du hättest Fanboys und Fangirls, und du hättest Hater. Der Internetkommentar, der Post, ist die Postkarte von heute.

150 Jahre Postkarte – ab Mittwoch, 21. August bis 5. Januar 2020 im Museum für Kommunikation, Leipziger Str. 16, in Mitte. Die Ausstellung zeigt mehr als 500 Postkarten. Eintritt: regulär 6 Euro, ermäßigt 3 Euro. (taz)

Posts sind aber nicht so schön wie Postkarten. Das gilt auch für den Urlaubspost. Bei Bildern vom Strand, die man auf sein Handy geschickt bekommt, entsteht selten große Freude. Neun neue Nachrichten in irgendeiner Gruppe, lauter Fotos von schönen Landschaften und Menschen mit Sonnenbrillen. Man sieht sie beispielsweise, während man sich gerade müde auf die Bürotoilette schleppt und einen kurzen Blick auf seinen Handybildschirm wirft. Schnell schickt man einen Smiley mit Herzaugen zurück.

Eine Postkarte hingegen, die man abends aus dem Briefkasten zieht, ist was anderes. Der Urlauber hat ein Motiv ausgewählt, die Karte gekauft, sie beschriftet, eine eklige Briefmarke abgeleckt und draufgeklebt und dann noch einen Briefkasten gesucht. Das ist ein Aufwand, der zeigt: Ich bin im Urlaub, mir geht es gut – und dabei denke ich an dich. Du bist es mir wert, meine schöne Urlaubszeit damit zu verbringen, dir zu schreiben.

Früher, das weißt du ja, Wilhelm, war die Postkarte nicht unbedingt ein Urlaubsgrußmedium. Die erste Postkarte der Welt landete 1869 im Briefkasten. Der Verfasser wollte einen Besuchstermin mit Freunden abstimmen. Richtig gehypt wurde sie dann erstmals kurz nach deinem Coup im Ersten Weltkrieg. Kostenlos konnten Soldaten Feldpostkarten nach Hause schicken, um sich bei ihren Liebsten zu melden, dass sie noch ­leben.

Nach Kriegsende kam die Wirtschaftskrise, die musstest du ja nicht mehr miterleben, sei froh. Das Postkartengeschäft litt übrigens auch. Die Flaute endete schnell, allerdings nicht gerade in positiver Hinsicht: Die Postkarte wurde zum Propagandamittel der Nazis. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verlor sie ihre politische Bedeutung wieder, dafür wuchs ihre gesellschaftliche – Urlaubsgrüße, Grüße zum Geburtstag, für so etwas brauchten wir die Postkarte.

150 Jahre lang schicken Menschen mittlerweile Postkarten durch die Gegend. In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren es in Deutschland mehr als 900 Millionen Stück pro Jahr. Heutzutage sind es weniger. Aber auch 2017, das hat die Deutsche Post gezählt, kamen immerhin noch 173 Millionen Postkarten beim Empfänger an. Das beliebteste Motiv der Deutschen ist übrigens – nein, das bist leider nicht du. Es ist eine Robbe – frag mich nicht, warum.

Zum Schluss noch was Schalkhaftes, Wilhelm, das hätte dir vielleicht gefallen: Beim Postcrossing können sich Postkartenfans online registrieren, dann wird ihnen eine zufällige Empfängeradresse mitgeteilt und eine Postkartenfreundschaft kann, jedenfalls theoretisch, entstehen. Das klingt reichlich kompliziert, aber immerhin trägt es dazu bei, die Postkarte als Teil unserer Kommunikation zu erhalten.

Denn genauso wie dein Zwirbelbart natürlich viel mehr Stil hat als die blaue Haarsträhne Rezos, hat auch die Postkarte mehr Stil als eine WhatsApp-Nachricht. Ab Mittwoch können sich die BerlinerInnen das selbst anschauen – im Museum für Kommunikation, wo eine Ausstellung zum runden Geburtstag des Mediums eröffnet. Leider wirst du dich dort nicht mehr selbst begucken und mir nicht mehr antworten können, lieber Wilhelm. Es hat mich trotzdem gefreut, dir zu schreiben.

Viele Grüße aus der taz-Berlin-Redaktion, dein Lukas

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.