Rassistische Wohnungsmarktpolitik

Die Massendeportationen von Berliner Jüdinnen und Juden folgten Albert Speers „Germania“-Planungen. Die Historikerin Susanne Willems sprach beim „Geschichtssommer“ rund um den Tempelhofer „Naziklotz“

Das Foto zeigt Abbrucharbeiten für den Runden Platz an der Potsdamer Straße, Viktoriastraße und Margaretenstraße im Jahr 1938 Foto: Heinz Fremke/ullstein bild

Von Inga Barthels

Gleich neben der Kolonnenbrücke in Berlin-Tempelhof ragt hinter grünen Bäumen und Sträuchern ein graues Ungetüm aus massivem Beton hervor. Der Zylinder, 14 Meter hoch und mit einem Durchmesser von 21 Metern, ist eines der letzten Zeugnisse der megalomanischen Pläne Albert Speers und Adolf Hitlers, Berlin in die „Welthauptstadt Germania“ umzuwandeln. Speer plante hier, nahe dem Flughafen Tempelhof, einen über 100 Meter hohen Triumphbogen zu bauen – das Pariser Vorbild hätte locker darunter Platz gefunden. Um die Tragfähigkeit des Baugrundes zu testen, ließ Speer 1941 den heute auch „Naziklotz“ genannten Baukörper errichten.

Zum zweiten Mal veranstalten die Museen Tempelhof-Schöneberg dieses Jahr einen „Geschichtssommer“ rund um den Schwerbelastungskörper. Bis Oktober finden jeden Sonntag um 16 Uhr kostenlose Führungen statt, begleitet von Vorträgen im Schöneberg-Museum. Die Historikerin Susanne Willems sprach dort am Donnerstagabend darüber, welche Folgen Speers Pläne für die Wohnungsmarktpolitik in der Stadt hatten und wie sie zu der Entrechtung und Deportation tausender jüdischer Mieter*innen führten. Willems brachte zu diesem Thema 2002 das Buch „Der entsiedelte Jude“ heraus.

Willems betont, dass die Stadtumbaumaßnahmen keineswegs automatisch mit der rassistischen Verfolgung von Juden und Jüdinnen zusammenhingen. Speer hatte vielmehr beides bewusst verknüpft, da Juden seit 1938 die am leichtesten zu entrechtende Gruppe waren, was es ihm ermöglichte, seine Pläne auf ihre Kosten umzusetzen. „In dieser Verknüpfung entsteht rassistische Wohnungsmarktpolitik“, sagte Willems. Ihre Forschung reiht sich in ein in Publikationen über Speer, die seit den achtziger Jahren darlegen, dass der Generalbauinspektor keineswegs der „verführte Bürger“ war, als der er sich nach dem Krieg stilisierte. Zwanzig Jahre lang durchforstete Willems Akten und konnte rekonstruieren, dass Speer maßgeblich verantwortlich war für die Massendeportationen von Juden und Jüdinnen aus Berlin.

Für die Neugestaltung von Berlin nach Speers Plänen waren bis zu 150.000 Wohnungsabbrüche nötig. In Berlin herrschte allerdings bereits eklatanter Wohnungsmangel, insbesondere große Wohnungen gab es nicht. Wo sollten sie also hin, die „Abbruchmieter“? Speers Plan im September 1938 war zunächst, Juden aus großen Wohnungen zu „entmieten“ und sie in „noch zu errichtende“ kleinere Wohnungen am Stadtrand umzusiedeln. Das „Projekt Judensiedlung“ in Buch war eines der Projekte von Speer.

Die Novemberpogrome von 1938 kamen dem Generalbauinspektor gelegen. Viele Juden und Jüdinnen flüchteten aus Berlin und kündigten ihre Wohnungen. Speer wollt seine „Abbruchmieter“ dort unterbringen. Da er es nicht schaffte, rechtzeitig alle freigewordenen Wohnungen zu besetzen, ließ er im Mai 1939 sogenannte „judenreine Gebiete“ bestimmen. In diesen Vierteln blieben Juden so lange in ihren Wohnungen, bis sie für Mieter*innen aus den Abbruchvierteln gebraucht wurden. „Juden hielten ihre eigenen Wohnungen bereit für den Bedarf anderer“, sagt Willems.

Speer verknüpfte den Stadtumbau mit rassistischer Verfolgung von Juden und Jüdinnen

Speer war entschlossen, sein Projekt auch während des Krieges weiterzuführen. Mit Hitler handelte er einen Kompromiss aus: Während des Krieges sollten keine neuen Häuser abgerissen werden, der Leerstand sollte für Ausgebombte freigehalten werden. Speer sah in dieser Notwendigkeit eine Begründung für Räumungen. „Arische“ Mieter*innen aus den Abbruchvierteln erhielten einen Mietberechtigungsschein, der ihnen den Zugriff auf die geräumten Wohnungen ermöglichte.

Immer wieder drängte Speer Hitler dazu, Massendeportationen aus Berlin zuzulassen und ließ entsprechende Pläne ausarbeiten. Warum Hitler dies zunächst nicht wollte, sei unklar, sagt Willems. Doch für die Historikerin ist Fakt, dass Hitler neben sich andere treibende Kräfte für Massendeportationen hatte und dass eine von ihnen Albert Speer war. Im September 1941 setzte er sich durch: Mithilfe der Gestapo wurden Tausende Wohnungen in Berlin geräumt.

„Speer ist nicht ein gelegentlicher Nutznießer, sondern ein früher Interessent und politisch ein Initiator von Massendeportationen“, lautet das Fazit der Historikerin. Ab Mitte 1942 hatte Speer, der inzwischen Rüstungsminister geworden war, keine Skrupel, jüdische Familien nach Auschwitz-Birkenau deportieren zu lassen und arbeitsfähige Juden dort für sein „Baukontingent“ aussortieren zu lassen. Der Ausbau von Birkenau trug auch den Namen „Sonderprogramm Professor Speer“. Was mit den restlichen Familienmitgliedern geschah, interessierte Hitlers Architekten nicht.

Nächste Veranstaltung: Albert Speers Rolle in „Hitlers Hofstaat“ mit Heike Görtemaker. Donnerstag, 22. August, 19 Uhr im Schöneberg-Museum, Hauptstraße 40/42