Das Ende ist nah

Der Klimawandel ist zu groß, als dass einzelne ihn wirklich verstünden – aber zu wichtig, um ignoriert zu werden: In Hamburg will eine innovative Art Vortrag mehr Verständnis bewirken

Maximale Vogelperspektive: grönländische Gletscher vom Weltraum aus gesehen. Das Schmelzen von Eis auf der größten Insel der Erde hat zwischen 1992 und 2012 den globalen Meeresspiegel um sieben Millimeter ansteigen lassen – ist das viel? Oder gerade nicht? Foto: ESA/dpa

Von Alexander Diehl

Man könnte die Sinnfrage stellen zu dem Klimakatastrophen-Event, das der Schweizer Journalist Hannes Grassegger am Samstag in der Hamburger Kampnagel-Kulturfabrik steigen lässt: Müssen, von all den Leser*innen all der Zeitungen und -schriften, Blogs und Foren, ausgerechnet die der taz noch hingewiesen werden auf dieses Ding namens Klimawandel?

Darauf, dass er eine Bedrohung von globalem Ausmaß darstellt – eine, deren günstigster projizierter Ausgang immer noch „Tod und Leiden im Ausmaß von 25 Holocausts“ bedeuten könnte, wie es David Wallace-Wells in seinem Klimakrisen-Bestseller „Die unbewohnbare Erde“ schreibt. Gehörte so ein Text, wie ihn Wallace-Wells auf Kampnagel vorstellen wird, nicht dringender dahin, wo die Wirtschaftsressorts unbeirrt das Wachstum bejubeln? Ins Umfeld pseudoredaktioneller Beiträge über SUVs oder Kreuzfahrtschiffe?

Hmnjoa – außer: nö. Das Problem sind gar nicht immer nur die anderen. Und es kann flott zu wenig mehr als Selbstlob gerinnen, ringt sich jemand zum etwas korrekten Konsum durch, lässt manche Plastiktüten weg oder und geht gelegentlich mit der Bahn auf Reisen. Sicher: Alles sinnvoll – aber wie viel kann’s bewirken angesichts des, wie gesagt, globalen Problems?

Anders gefragt: Wie viele abgelaufene Joghurts muss ich auslöffeln, statt sie schnöde wegzuschmeißen, um die Reise irgendeiner Delegation zu irgendeiner Umweltzuständigenkonferenz wiedergutzumachen, abgehalten in einer vollklimatisierten Premiumlocation in einer Gegend, deren Gedeih auf dem Export von Erdöl fußt?

Sollten wir das auf dem Öko-Wochenmarkt zusätzlich ausgegebene Geld nicht lieber bündeln, um Politik damit zu machen, mit den Mitteln des Lobbyismus? Den haben die anderen allemal drauf: die, deren Geschäfte Kohlendioxidausstoß vorsehen, und dass die verbrauchten Ressourcen bloß nie eingepreist werden.

Nicht in Fatalismus verfallen, aber auch nicht überschätzen, was auf der individuellen Ebene machbar ist: Das wäre vielleicht, worum es zu gehen hätte. „Ich bin kein Umweltschützer und ich sehe mich nicht einmal als Naturliebhaber“, schreibt Wallace-Wells zu Beginn seines dann bestürzend detailliert die absehbaren Folgen des Klimawandels durchdeklinierenden Buchs. „Ich habe mein gesamtes Leben in Städten verbracht und erfreue mich an Apparaten, die in industriellen Lieferketten entstehen, auf die ich kaum einen Gedanken verschwende.“

Mit diesem Bekenntnis zum Widersprüchlichen ist der Mann nicht allein in der westlichen Welt. Vielleicht erklärt sich der Erfolg des Buches darüber, dass er in nennenswerter Zahl Menschen da abzuholen versteht, wo sie stehen, in dieser Frage: weit weg von tröstlichen Antworten, aber auch von falschen Gewissheiten.

Eine Reise ans Ende der Welt

Die Sorge ums Klima in einen „New York Times“- Bestseller gegossen: David Wallace-Wells, Autor von „Die unbewohnbare Erde“ Foto: Beowulf Sheehan

So überschreibt Grassegger, was er vorhat am Samstagnachmittag in Hamburg, beim Sommerfestival auf Kampnagel: „3GradPlus“ ist die „Live-Reportage“ betitelt, und wer nun an TV-Pionierleistungen denkt, an Schalten zu entfernten Reporter*innen, der hat sogar irgendwie recht: In Hamburg, vor dem Publikum in der Halle, laufen die Fäden zusammen, die ihren Ausgang in London nehmen oder an den Vorzeige-Unis in Princeton und Notre Dame, Indiana.

Physisch anwesend sind bei dem „experimentellen Konferenz-Format“ Grassegger und Wallace-Wells, der die soeben erschienene Übersetzung seines Erfolgsbuches mitbringt. Dem ging 2017 ein viel beachteter Artikel des New York Magazine-Redakteurs voraus. Schon darin deklinierte er die absehbaren Veränderungen durch: von der „Bahrain-Werdung New Yorks“ über das „Ende der Nahrung“ und „vergiftete Ozeane“ bis hin zum „trostlosen Kapitalismus“ und der Frage, warum eigentlich noch ein einziges Buch geschrieben wird, das nicht von diesen größten Fragen handelt.

Per Skype hinzu geschaltet Jem Bendell, ein führender Vertreter der „Extinction Rebellion“ und Autor des viral gegangenen Thesenpapiers „Deep Adap­tation“. Ebenfalls medial vermittelt diskutiert Roy Scranton mit, ehemals US-Marine, der im Irak-Krieg lernte, wie man trotz der Angst weiterleben kann. Bereits in dem sehr guten Artikel „Von der Klima-Angst radikalisiert“ ließ Grassegger den heute in Notre Dame lehrenden Scranton zu Wort kommen: als eine Art Philosoph der Angst. Wozu die führt, welcher Art also die Radikalisierung ist, die Prepper, Identitäre oder Öko-Terroristen hinter sich haben: Darüber wird am Samstag sicher gesprochen werden.

Weitere aus der Ferne Beitragende: die Datenanalystin Danica Brozowski vom Network Contagion Research Institute (Princeton) und der Extremismusexperte Jacob Davey vom Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD). Und vielleicht ja, weil’s doch eine Art Theaterbühne ist, auf der das alles sich bündeln soll, gibt es auch Musik: von James Ferraro, der angekündigt wird mit Kompositionen „zwischen Dunkelheit und Euphorie“, ja: einem „dystopischen Soundtrack“. Aber nicht gleich wieder in wohlfeilen Weltende-Grusel verfallen!

David Wallace-Wells: „Die unbewohnbare Erde – Leben nach der Erderwärmung“, aus dem Amerikanischen von Elisabeth Schmalen, Ludwig 2019, 336 S., 18 Euro, E-Book 13,99 Euro

„3GradPlus“: Live-Reportage mit Hannes Grassegger, David Wallace-Wells u. a.: Sa, 17. 8., 15 Uhr, Hamburg, Kampnagel/P1