Rückforderungen des Jobcenters: Unverschuldet in die Bredouille

Fast 4.000 Euro muss eine Bremerin an das Jobcenter zurückzahlen. Der Bremer Erwerbslosenverband hat täglich mit solchen Fällen zu tun.

Eine Hand hält einen Stempel mit der Aufschrift "Hartz IV".

Kann böse Überraschungen beinhalten: Hartz IV Foto: dpa

BREMEN taz | 4.000 Euro soll Lea Beyer (Name geändert) an das Jobcenter zurückzahlen: Das geht aus einem Bescheid hervor, den die angehende Erzieherin vor Kurzem erhielt. Das Jobcenter hatte ihr im vergangenen halben Jahr monatlich 600 Euro zu viel ausgezahlt.

Im sicheren Glauben, das Geld stehe ihr zu, hatte Beyer zuvor mit der Summe ihren Lebensunterhalt bestritten. Die Rückforderung ist ein Schock für die alleinerziehende Mutter eines Sohnes, die als Berufspraktikantin im Anerkennungsjahr etwa 1.400 Euro brutto im Monat verdient und ihr Einkommen mit Hartz IV aufstocken muss.

Sie sei sich sicher, bei der Beantragung des Geldes beim Jobcenter alle nötigen Unterlagen eingereicht zu haben, sagt Beyer. Dazu zählen Einkommensnachweis, Mietvertrag, Heizkostennachweis und die Kontoauszüge der vergangenen sechs Monate.

Von den nun zurückgeforderten 4.000 Euro werden knapp 1.500 Euro ihrem volljährigen Sohn in Rechnung gestellt. Er soll laut Jobcenter dieses Geld persönlich bezahlen, obwohl er „weder einen Antrag gestellt noch irgendetwas unterschrieben hatte“, so Beyer.

Lea Beyer reichte Widerspruch gegen die Nachzahlung ein – vergebens: Nach Angaben des Jobcenters sei alles rechtens verlaufen. Nun stehen sie und ihr Sohn vor einem Schuldenberg. „Wie soll man da auf einen grünen Zweig kommen und unabhängig von Sozialleistungen werden?“, fragt Beyer.

Im Land Bremen wurden im vergangenen Jahr 60,7 Millionen Euro an Hartz-IV-Leistungen zurückgefordert

Nach Angaben des Redaktionsnetzwerks Deutschland wurden im vergangenen Jahr 2,6 Milliarden Euro an Hartz-IV-Leistungen zurückgefordert. Davon fielen allein auf das Land Bremen laut Bundesagentur für Arbeit 60,7 Millionen Euro. Der bürokratische Aufwand, der mit den Rückzahlungsforderungen einhergeht, ist derart groß, dass die Verantwortlichkeit von den einzelnen Jobcentern auf zen­trale Inkassobüros in Deutschland ausgelagert wurde.

Tobias Helfst vom Bremer Erwerbslosenverband (BEV) hat täglich mit Fällen wie dem von Lea Beyer zu tun. „Wir ­schreiben in der Woche 25 bis 30 Widersprüche für Hartz-IV-Empfänger*innen, denen unverschuldet Rückzahlungsforderungen aufgebrummt wurden“, berichtet er.

Die Betroffenen, die die Beratung des BEV in Anspruch nehmen, sind größtenteils Menschen mit schlechten Deutschkenntnissen. Das sperrige Beamtendeutsch auf den Rückzahlungsbescheiden sei für sie unmöglich zu verstehen. „Deshalb lassen sie oft die Fristen für einen Widerspruch verstreichen und wenden sich zu spät an uns“, sagt Helfst. Sofern die fällige Summe nach vier Wochen noch nicht gezahlt und kein Widerspruch eingereicht werde, gebe es Post vom Inkassobüro.

Betroffene müssen laut Helfst ab einer bestimmten Geldsumme mit einem Strafverfahren rechnen, wenn sie für die Rückzahlungsforderung nicht rechtzeitig aufkommen. Dann schreite der Zoll ein, dessen Verantwortung es sei zu prüfen, inwieweit es sich im konkreten Fall um gewerbsmäßige Unterschlagung handeln könne. „Im ungünstigsten Fall wartet auf die Betroffenen eine zusätzliche Strafgebühr von 300 Euro vom Amtsgericht“, sagt Helfst.

Eine Ursache für die Probleme seien die prekären Arbeitsverhältnisse im Jobcenter, so Helfst: „Die Sachbearbeiter werden in Teams aufgeteilt und bewertet. Es herrscht permanent Konkurrenzdenken und dadurch lastet viel Druck auf den Einzelnen.“ Das Jobcenter leide zudem unter stetigem Personalwechsel. „Die Systematik des Jobcenters bedingt menschliches Versagen“, sagt Helfst.

Keine Bagatellgrenze

Auch die aktuelle Gesetzeslage leistet ihren Beitrag zu den Problemen der Jobcenter. Diese sind verpflichtet, auch Kleinstbeträge zurückzufordern. „Ein Aufwand, der in keinem Verhältnis zum Ertrag steht“, sagt Anja Wichitill von der Pressestelle des Bremer Senats für Wirtschaft. Auf die Forderung nach einer Bagatellgrenze, durch die geringe Rückzahlungsforderungen entfallen könnten, gebe es seitens der Bundesregierung bisher nur verhaltene Signale.

Zum Fall Lea Beyer macht das Jobcenter mit Verweis auf den Datenschutz keine Angaben. Jobcenter-Sprecherin Silke Sönksen beteuert aber, dass so hohe Rückzahlungsforderungen wie bei ihr „nicht der Regelfall“ seien. Rückzahlungsforderungen entstünden meistens dann, wenn sich die Einkommenssituation der betroffenen Person verändert habe, diese Veränderung aber nicht gemeldet würde.

Sönksen räumt ein, dass auch dem Jobcenter Fehler passierten. Durch umfangreiche Mitarbeiter-Qualifizierungen sollten diese jedoch „möglichst gering gehalten werden“.

Lea Beyer muss nach der Abweisung ihres Widerspruchs aller Voraussicht nach für die fällige Summe aufkommen. Es ist nur ein schwacher Trost, dass die Inkassobüros der Bundesagentur die Möglichkeit einer Ratenzahlung anbieten.

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