berliner verkäuferinnen und wie sie den laden hier am laufen halten
: Heute: Vio Mütter

Vio Mütter Foto: Dorothee Wenner

Als Vio Mütter noch schräg gegenüber von der Kuchenmanufaktur Frau Zeller,ihrer derzeitigen Arbeitgeberin, am zentralen Bistrostand der Markthalle Neun arbeitete, trug sie im Dienst stets eine gut sichtbare Plakette: INFO-POINT. Die hatte sie sich selber gebastelt bzw. das Amt dazu selbst erfunden. „Ich kenne mich halt aus mit Markthallen in Berlin, welche Bedeutung sie früher hatten, und natürlich mit allem, was sich heute darin so ereignet.“

Die Plakette war so was wie eine permanente Einladung an Touristen und Nachbarn, die aus erster Hand etwas über den Ort erfahren wollten, bzw. hoffte Vio Mütter, so mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Am Bistro, wo sich vor allem samstags ein buntes Völkchen aus Arbeitern und Akademikern zu old-school Filterkaffee, Kindl und Bockwurst trifft, hatte Vio Mütter zwar etwas mehr Möglichkeiten zum Plaudern, aber bei Frau Zeller, die Konditoreiwaren nach schwäbischen und anderen Originalrezepten verkauft, sind viele Kunden einem kleinen Schnack auch nicht abgeneigt. „Offline-netzwerken“ nennt Vio das, mit einem schicksalsergebenen Verweis auf ihre rheinländische Herkunft. Aus Sicht von Vio Mütter steht Frau Zeller als Person und mit ihren Konditoreiwaren für alles, was an der Markthalle prima ist. „Da schmeckt gnadenlos alles, selbst der einfache Streuselkuchen, weil Frau Zeller feinste Zutaten verwendet und weil sie Passion hat.

Die Cadillacs im Sortiment sind die Wolkentorten, es gibt sie mit Erdbeeren, Himbeeren und Zitrone. Und: Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.“

Das hat sich in der Stadt herumgesprochen, dennoch oder gerade deswegen kommen auch immer wieder Qualitätskontrolleure. „Das sind gestandene Damen vom Fach – nicht selten schwäbischer Herkunft. Die sind erst wortkarg, kaufen etwas, gehen wieder und probieren unseren Kuchen im Schutz der Anonymität. Danach kommen sie aber wieder, outen sich und sagen: Besser geht es nicht!“ Unter den Stammkunden gibt es auch einige Engländer, die sich regelmäßig am Wochenende mit Frau Zellers Shortbread eindecken – eine Rezeptur, die sie während eines Inselurlaubs in einem alten Küchenschrank entdeckt hat.

Zweimal die Woche arbeitet Vio Mütter als Verkäuferin. Ihr beruflicher Werdegang begann mit einem Grafikstudium, dann schloss sie eine Meisterausbildung für Maßschuhe an und arbeitet heute freiberuflich als humoristische Zeichnerin. Letzteres steht im direkten Bezug zu ihrer Verkäuferinnentätigkeit, hier schließt sich der Kreis zum Info-Point.

Aus einer hübschen Mappe zieht Vio Mütter Entwürfe für ein grandioses Bilderbuch hervor. Es sind Geschichten von einem Kobold namens Urk, die alle in der Markthalle Neun spielen. Beim Durchblättern stellt sich dieser tolle Effekt ein, Leute, Verkaufsstände und vertraute Szenen in den Zeichnungen auf Anhieb wiederzuerkennen. Ein Kalender könnte es auch werden, meint Vio Mütter, so als fortlaufende Chronik eines Orts in Kreuzberg mit vielen erzählenswerten Geschichten.

Dorothee Wenner