Uli Hannemann
Liebling der Massen
: Auf der Jagd mit der Soko Klauschwein

Im Bürobunker der Soko hängt die Wand voll mit Bildern vom Tatort

Nanu? Im Sichtfenster des Schreibens, das ich aus meinem Briefkasten ziehe, steht ein mir unbekannter Absender: AA Berlin, Kirchstraße 6. Eine komische Abkürzung, was kann das wohl sein? Ist es nun schon so weit, dass sich die Anonymen Alkoholiker entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheiten von sich aus bei mir melden? Das haben sie bis dahin bei keinem Menschen je getan. Die müssen sich ganz schön Sorgen machen. Ich bin fast ein bisschen gerührt, das gebe ich an dieser Stelle gerne zu.

Ich öffne den Brief: Aha, bei AA handelt es sich um die Amtsanwaltschaft. Bestimmt geht es um mein gestohlenes Fahrrad. Endlich haben sie den Strolch gefangen! Das wurde aber auch mal Zeit: Fast fünf Wochen ist das her. Allerdings waren in den letzten Tagen in meiner näheren Umgebung häufig Polizeisirenen zu vernehmen. Da hatte ich schon so ein zuversichtliches Gefühl: Die kesseln den jetzt langsam ein; lange kann das nicht mehr dauern. Et voilà!

Ich beginne zu lesen und meine Miene verfinstert sich. Enttäuschung macht sich breit. Es geht in der Tat um den „Tatvorwurf: Besonders schwerer Fall des Diebstahls“. Doch: „Die eingeleiteten Ermittlungen haben bisher leider nicht zur Feststellung des Täters geführt. Das Verfahren ist daher eingestellt worden.“

Ja, spinnen die denn? „Eingeleitete Ermittlungen“ – ich bin mir ja nicht sicher, ob die alles versucht haben. Hausdurchsuchungen, Check-Points, Rasterfahndung, Verhängung des Ausnahmezustands, allgemeine Ausgangssperre. Immerhin handelt es sich um „besonders schweren Diebstahl“, das schreiben die doch schließlich selbst, das habe ich ja nicht erfunden.

Ich stelle mir die Elitebeamten der eigens gebildeten Soko „Klauschwein“ im „LKA VII für besonders schwere Diebstähle“ vor. Im Bürobunker direkt unter der Amtsanwaltschaft in der Moabiter Kirchstraße hängt die Wand voll mit Bildern vom Tatort, dem Fahrrad des Opfers, dem Opfer sowie den hundert Hauptverdächtigen. Dazwischen überall bekritzelte Post-it-Zettelchen und mit verschiedenfarbigen Eddings gezogene Verbindungspfeile.

Irgendwo dort unter all den Zetteln und Pfeilen müssen sich die Elitebeamten verfranst und die Spur verloren oder gar nicht erst gefunden haben. Und daraufhin haben diese emsigen Bienchen der Bürgersicherheit sich verzweifelt die Haare gerauft, resigniert den Bettel hingeschmissen und mir jenen Brief geschrieben, einen schnöden Formbrief, wie ich nun sogar befürchte.

Herrschaften, so geht das nicht. Es ist doch wohl überhaupt kein Problem, sämtlichen einschlägig bekannten Fahrraddieben der Stadt mal einen klitzekleinen Besuch abzustatten: „Herr Rabe-Langfinger: Wo waren Sie am 10. Juni 2019 zwischen 12 Uhr 30 und 14 Uhr 30?“ Und er antwortet: „Ich war noch nie in der Hasenheide. Und das Fahrrad habe ich auch nicht gestohlen.“

„Wer hat denn etwas von Hasenheide gesagt? Oder von Fahrrad?“, merkt die erfahrene Kommissarin gespielt beiläufig an. Das macht sie wirklich sehr geschickt. Das muss man ihr lassen. „Das Fahrrad, äh …“ Der Verdächtige gerät ins Stottern. Seine braunen Zähne klappern im Takt der Lüge, in den aufgerissenen Mundwinkeln bilden sich schaumige kleine Spuckewülste. Ekelhaft sieht das aus. „… Äh, Sie doch. Ich nicht. Ich habe gar nichts gesagt.“

Doch er merkt, dass er längst in der Falle sitzt, rennt plötzlich los, und wird beim Versuch, über die Zwischenmauer zum Hof des Nachbarhauses zu türmen, von hinten in beide Beine getroffen. Die Schreie klingen entsetzlich. Der arme Hund wird nie wieder richtig laufen können. Im Keller wird das Rad sichergestellt. Leider nicht meins, schade. Die Jagd geht weiter.