berliner szenen
: Der karge Boden von Kiss FM

Die Kinder lieben Kiss FM und freuen sich über die deutschen HipHop-Songs, die jetzt Tracks genannt werden, und schreibe ich eine solche Bemerkung, fühle ich mich steinalt. Bei jeder Autofahrt ins Umland gilt die Verabredung: Hinfahrt ihr, Rückfahrt wir. Seit ein paar Monaten höre ich wieder HipHop. Das kann mit meiner Midlife-Crisis zu tun haben, die ich selbstverständlich nicht habe, weil ich reinen Herzens und erhobenen Kopfes mein Älterwerden für das Normalste der Welt halte.

Auf Kiss FM wird, wenn von Berlin gesprochen wird, „Mudderstadt“ gesagt, das Adjektiv „geil“ steht für alles, was irgendwie toll ist, die Nachrichten zur vollen Stunde bestehen aus Wohnungsbränden und Musikfestivals. Manchmal bin ich mir sicher, dass für die Kinder ein Leben bei Kiss FM das Beste der Welt ist.

Als wir am 1. Mai unterwegs waren und sich der DGB am Brandenburger Tor traf, und, nachdem wir ein zweites Mal den einen und ein zweites Mal den anderen Track hörten, schon wieder von der DFB-Demo gesprochen wurde, öffnete C., die auf dem Beifahrersitz döste, die Augen. Ich sagte: „Ach komm, is auch egal, das merkt da eh keiner!“ Wir fahren auf den Funkturm zu. Zwischen zwei Tracks sagt der Moderator „Homosexuelle angreifen, ey, wie behindert kann man sein, dass man denkt, dass da auch nur einer dann nicht mehr homosexuell sein will!“

Es ist ein Satz, nach dem nur noch karger Boden kommt. Dann rappt Capital Bra: „Ich bang die Pussy, ich trag nur noch Gucci.“ C. sagt laut „Nein“ und schaltet um. Die Rückbank beschwert sich lautstark. Ein Lied von Abba, das ganz sicher kein Track ist, beginnt, und C. und ich schaukeln ein wenig mit. „Das ist Abba“, sage ich. Der Sohn murrt, die kleine Tochter sagt: „Voll langweilig“ und die große: „Abba kennt kein Mensch!“ Björn Kuhligk