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Ende einer unmöglichen Freundschaft

Eine Übergangsregierung könnte Italien vor dem baldigen Rechtsruck bewahren. Die Fünf Sterne wollen Reformen umsetzen und das Parlament abspecken. Die Lega will rasch neue Wahlen

Als Italiens Populisten noch auf gemeinsamen Pfaden wandelten: Die Minister Di Maio, Salvini und Premierminister Comte verlassen 2018 eine Kabinettssitzung Foto: Remo Casilli/reuters

Aus Rom Michael Braun

Neuwahlen schon im Oktober oder aber eine Übergangsregierung für einige Monate? Ab Montag stehen in Italiens Senat und in der Abgeordnetenkammer Treffen der Fraktions­vorsitzenden an, um über einen Termin für das Misstrauensvotum zu beraten. Italiens Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini kehrt der Regierungskoalition unter Ministerpräsident Giuseppe Conte den Rücken.

Salvinis radikal rechte Lega würde als einzige Partei von baldigen Wahlen profitieren. Meinungsumfragen der letzten Wochen geben ihr 37 Prozent und damit mehr als als Doppelte im Vergleich zum Ergebnis der Parlamentswahlen im März 2018, als sie 17 Prozent gewann. Ginge es nach Salvini, würde der Senat schon am Dienstag zusammentreten, um über den von der Lega eingebrachten Misstrauensantrag gegen die Regierung Conte zu befinden.

Unterstützung findet Salvinis Ansinnen bei Silvio Berlusconis Forza Italia sowie bei Fratelli d’Italia (FdI), den rechtsradikalen „Brüdern Italiens“, die schon darauf spekulieren, in Zukunft als Juniorpartner mit Salvini zu koalieren. Sowohl die bisherigen Koalitionspartner, das Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) unter Luigi Di Maio, als auch die stärkste Oppositionspartei, die gemäßigt linke Partito Democratico (PD), steuern jedoch einen Termin für das Misstrauensvotum frühestens am 20. August an. Die vorgezogenen Neuwahlen könnten damit nicht vor Ende Oktober stattfinden, was Italien vor ein großes Problem stellen würde: Bis Dezember muss der Staatshaushalt 2020 verabschiedet werden. Das wäre für das neue Parlament, wenn es sich erst im November konstituiert, zeitlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Ohne Etat gäbe es eine „provisorische Haushaltsführung“, die wiederum die Italiener teuer zu stehen käme. Italien hat sich der EU gegenüber verpflichtet, bei Nichteinhaltung zugesagter Sparziele die Mehrwertsteuer automatisch von bisher 22 auf 25 Prozent anzuheben. Das allein stärkt die Position derer, die auf eine Übergangsregierung hinarbeiten. Doch gerade die Fünf Sterne haben noch einen weiteren guten Grund: Am 9. September sollte das Parlament endgültig die Verfassungsänderung verabschieden, die das Abgeordnetenhaus von 630 auf 400 Sitze und den Senat von 315 auf 200 reduzieren würde – ein Kernanliegen des M5S, das ja nicht zuletzt als Bewegung gegen die „politische Kaste“ gegründet worden war.

Retten ließe sich die Verfassungsänderung nur, wenn das Abgeordnetenhaus noch vor dem Misstrauensvotum die Reform verabschiedet. Dazu bräuchte man die Stimmen der PD. Mehr noch: Um die Reform umzusetzen, müsste ein neues Wahlgesetz verabschiedet werden, und dafür braucht es eine mindestens sechs Monate lang amtierende Übergangsregierung.

Über Tage hüllte sich der Fünf-Sterne-Gründer und Übervater Beppe Grillo in Schweigen. Er hatte sich schon vor den letzten Parlamentswahlen aus der Tagespolitik zurückgezogen, bleibt aber in der Bewegung weiterhin der „Garant“ und kann in allen Fragen das letzte Wort für sich beanspruchen.

Mit einem Eintrag auf seiner Website forderte er am Wochenende schließlich die Fünf Sterne zu einem neuen Pragmatismus auf. Es gelte, „Italien vor den neuen Barbaren“ zu retten, predigte Grillo in Anspielung auf Salvini. Es sei deshalb verkehrt, wenn sich das M5S als „Kamikaze“-Truppe präsentiere. Grillo fordert dazu auf, „Kohärenz nicht mit Rigidität zu verwechseln“. Anstelle von Neuwahlen gelte es nun, den angestrebten Wandel, allen voran die Verkleinerung der beiden Kammern des Parlaments, „sofort“ in Angriff zu nehmen. „Wir überleben“, macht Grillo dem M5S Mut.

Grillo ermutigt, den Wandel voranzu­treiben, statt Italien den Barbaren zu überlassen

Bei den Wahlen im März 2018 waren, weil er damals 33 Prozent der Stimmen bekam, mehr als 300 M5S-Kandidaten ins Abgeordnetenhaus und in den Senat gewählt worden. Zurzeit ergeben Meinungsumfragen für M5S nur noch 17 Prozent. Dazu kommt, dass viele Politiker, allen voran M5S-Chef Luigi Di Maio, Italiens Arbeits- und Wirtschaftsminister, gar nicht mehr antreten dürften, da in der Bewegung die Beschränkung auf zwei Legislaturperioden gilt.

Eine Übergangsregierung könnte jedoch nur mithilfe der PD zustande kommen. Zwar schließt der im März 2019 gewählte PD-Chef Nicola Zingaretti eine solche Lösung aus; auch er verlangt sofortige Neuwahlen. Doch sein Vorgänger und innerparteilicher Gegenspieler Matteo Renzi, dem weiterhin große Teile der PD-Parlamentsfraktionen folgen, zeigte sich in einem Facebook-Eintrag vom Samstag offen für die Verkleinerung der beiden Kammern des Parlaments. Eine „institutionelle Regierung“, die mindestens ein Jahr amtiert, schwebt Renzi vor. So könne die Mehrwertsteuererhöhung abgewendet und die Verfassungsreform zur Verkleinerung des Parlaments realisiert werden. Noble Gründe, hinter denen sich die Interessen seines Parteiflügels verstecken. Die Renzi-Anhänger müssen damit rechnen, bei Neuwahlen Einfluss zugunsten des Lagers von Parteichef Zingaretti einzubüßen.

Auf der anderen Seite gibt es offensichtliche Gründe, die gegen eine auch nur taktische Allianz von M5S und PD sprechen. Das Bündnis müsste einen Staatshaushalt verabschieden, der ihm nicht zuletzt angesichts der lahmenden Konjunktur Popularitätsverluste einbringen würde. Und es wäre für Salvini leicht, es als Allianz der Verlierer, die sich vor Wahlen drücken wollen, zu brandmarken.

Sollte es doch im Oktober zu den von Salvini angestrebten Wahlen kommen, könnte die Lega mit fast 300 der 630 Abgeordnetensitze rechnen. Dazu kämen rund 60 Abgeordnete der rechtsradikalen FdI, die anders als Salvini die Häfen nicht bloß schließen, sondern die Rettungsschiffe gleich versenken will. Sein Wahlkampfthema hat Salvini jedenfalls schon: die Senkung der Steuern, einen expansiven Haushalt, auch an den EU-Vorgaben vorbei, und zur Not auch den direkten Zusammenstoß mit Brüssel.