Die Wahrheit: Der mit dem Rüssel winkt

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (82): Der Russische Desman ist eine Art Wassermaulwurf und weltweit einzigartig.

Ein Wassermaulwurf

Jedes Mal stinkt der Russische Desman mit seinen Drüsen die Gegend voll Foto: Andrey Zvoznikov/Okapia

Der Russische Desman, dort auch Wychochol genannt, ist ein im Wasser lebender Maulwurf mit einer langen dünnen Schnauze, die er als Schnorchel benutzen kann. Das auch als „Wassermaulwurf“ bezeichnete Tier ist sehr selten geworden, für das Magazin Focus ist der Desman schon „fast ein Fabelwesen“, aber für Kreuzworträtsellöser ist diese Maulwurfsart mit sechs Buchstaben ziemlich real.

Das deutsche Fernsehen finanzierte im Frühjahr ein Naturfilmteam, um einen lebenden Desman im Wolgagebiet aufzuspüren und zu filmen. Als Sprecher wollten sie den Schriftsteller Wladimir Kaminer verpflichten. Der fragte den Redakteur verwundert: „Haben Sie etwa so wenig gute Sprecher, dass sie einen Laien mit starkem russischen Akzent anheuern müssen?“ Er nahm dann aber den Job doch gern an.

Anschließend erzählte er: „Die Landschaft ist wunderschön, die Aufnahmen sind spektakulär, doch exotische Tiere kann die mittelrussische Ebene nicht bieten. Die Fauna an der Wolga ist den Deutschen gut vertraut, Wildschweine und Elche, Biber und Schildkröten, Adler, Mäuse und jede Menge Mücken. Das einzige Tier, das es nur an der Wolga und sonst nirgends auf der Welt gibt, heißt Wychochol.“

Es gibt dieses Tier allerdings auch noch – etwas kleiner und mit längerem Rüssel – in den Pyrenäen, wo es ebenfalls immer seltener wird. Die BBC drehte einmal einen Film über diesen „Galemys pyrenaicus“, der sich gern an schnell fließenden Gebirgsbächen aufhält, während der russische „Desmana moschata“ eher an Seen und Teichen zu finden ist. Beide haben Schwimmhäute zwischen den Zehen, können mit ihren Krallen aber auch gut klettern. Ihre Augen sind winzig, wirken jedoch durch eine weiße Umrandung sehr viel größer.

Uralter Überlebenskünstler

Kaminer bekam vom Sender weitere Informationen über dieses selten gewordene Tier, das einst über ganz Europa verbreitet war: „Es soll ein Millionen Jahre altes Relikt sein, ein Überlebenskünstler, es hat die Mammuts überlebt und Waldbrände und Weltkriege, es hat die Eiszeit und den Kommunismus überlebt und den Niedergang der Sowjetunion ebenfalls, der in meiner Heimat nach wie vor als GGKJ, ‚größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts‘ bezeichnet wird. Die besondere Wehrhaftigkeit des Wychochol, das Geheimnis seines langen Lebens, ist im Schwanz des Tierchens versteckt. Es sind Drüsen, die einen dermaßen stark riechenden Duft produzieren, dass die Kühe das Wasser nicht mehr aus dem Fluss trinken, wenn dort zuvor ein Wychochol vorbeigeschwommen ist.“

Wegen ihres Fells und des Drüsensekrets, das man für die Parfümherstellung verwendete, hat man die Desmane intensiv verfolgt, sodass sie an den Rand der Ausrottung gerieten, 1957 wurde die Jagd auf sie deswegen verboten, zuvor gab es bereits einige regionale Schutzzonen für die Tiere, deren Fell an der Oberseite rotbraun und an der Unterseite aschgrau gefärbt ist.

1933 hieß es in einer Zusammenfassung über den Stand der russischen Wychochol-Forschung: „In den letzten Jahren wurde eine Reihe sehr interessanter Arbeiten über die Lebensweise des Desman, dieses kostbaren Pelztieres, veröffentlicht. Während der nun fast zehnjährigen Schutzperiode wuchs der Bestand der Art merklich, sodass wir sie nicht mehr als aussterbendes Tier, sondern nur als leicht ausrottbares bezeichnen können.“

Es gab wiederholt Versuche, die Wassermaulwürfe in Gefangenschaft zu halten und zu züchten – aber ohne großen Erfolg, weil es sich als zu schwierig erwies, sie richtig zu ernähren. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte den Desmanen neben der Jagd mehr und mehr die Gewässerverschmutzung zu. Laut Wikipedia richteten die sowjetischen Naturschutzbehörden daraufhin mehrere Schutzgebiete ein und initiierten Umsiedlungsprogramme, neben dem Wolgagebiet auch am Ob und am Dnepr, wo die Desmane früher nicht heimisch waren.

Gelegentlich werden heute noch Umsiedlungsprogramme durchgeführt: 1983 wurde eine Städtepartnerschaft zwischen Erlangen und Wladimir, einer Stadt am Fluss Kljasma, vereinbart. Im Internetblog „erlangenwladimir“ wird berichtet, dass 2019 die Arbeiten an der neuen Bahnstrecke für Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Moskau und Kasan begonnen haben. Es ist ein chinesisch-russisches Gemeinschaftsprojekt. Die Züge sollen in Wladimir halten – die Hauptstadt des gleichnamigen Oblast liegt an der Kljasma, einem Nebenfluss der Oka, die in die Wolga mündet.

Bei den Planungsarbeiten ging es darum, einen Ausgleich zwischen Verkehr und Umwelt zu finden: „So will man etwa 20 Wassermaulwürfe – der Blog berichtete schon öfter über diese fast ausgestorbenen Kleinsäuger – aus einer Zone im Becken der Kljasma umsiedeln, weil man befürchtet, die in der Nähe verlaufende Trasse könnte den Russischen Desman stören.“

Akzent für Exotik

An der Wolga musste das Filmteam das kleine, etwa rattengroße Tier lange suchen: „Es folgte seinem Geruch am Fluss, verlief sich beinahe im Wald und wurde dann aber doch fündig: 20 Sekunden lang tauchte der Wychochol aus dem Wasser auf, winkte mit dem Rüssel dem deutschen Zuschauer und verschwand wieder. Schon schön, sagte die Redaktion bei der Abnahme des Films, aber etwas zu wenig Exotik. Deswegen wurde ich als Sprecher mit russischem Akzent angeheuert“, so Kaminer.

Dem Film ist nicht zu entnehmen, dass die Desmane im Gegensatz zu den Maulwürfen sozial leben, das heißt, dass sie sich oft zu mehreren einen Bau am Ufer teilen, dessen Eingänge unter der Wasseroberfläche liegen und den sie mit Pflanzenmaterial auspolstern. Gelegentlich legen sie ihre Baue auch in Biberburgen an.

Biber ebenso wie Bisamratten sind Nagetiere und fressen Pflanzen, sind also keine Nahrungskonkurrenten für die Desmane, die man gelegentlich auch als Bisamrüssler bezeichnet. Sie zählen zur Ordnung der Insektenfresser, jagen nachts und haben es dabei auf kleine Fische ebenso wie auf Krebstiere und Amphibien abgesehen, auch Insekten verschmähen sie nicht, das gilt noch mehr für den Pyrenäen-Desman, der sich hauptsächlich von Wasserinsekten und deren Larven sowie von Blutegeln, Ringelwürmern und Schnecken ernährt.

„Er lebt in monogamer Einehe“, behaupten jedenfalls die Autoren von „tierdoku.de“, die an anderer Stelle jedoch schrei-ben: „Über das Fortpflanzungsverhalten der Pyrenäen-Desmane ist nur sehr wenig bekannt“, gleiches gilt für die Lebenserwartung in ihren natürlichen Lebensräumen. Sie graben keine Baue, sondern nutzen Felsspalten und -höhlen.

Über den Russischen Desman, von dem es noch etwa 30.000 Exemplare geben soll, schrieb Alfred Brehm: „Oft steckt er seinen Rüssel in das Maul und läßt dann schnatternde Töne hören, welche denen einer Ente ähneln. Reizt man ihn oder greift man ihn an, so pfeift und quiekt er wie eine Spitzmaus.“

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.